01/07/2021

MINUS – Stadtplanung
Teil 1

"Entwicklung“ der Ungergasse in Graz-Gries durch private Investoren im Beobachtungszeitraum
2015 – 2021

Missbräuchliche Verwendung der Kerngebietswidmung – tanzt die Grazer Stadtplanung nach den Pfeife der Investoren? 

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01/07/2021

Die Ungergasse mit dem BAN-Gebäude 2015, vor der "Entwicklung" durch private Investoren

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

BAN-Gebäude vor dem Abbruch 2015

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Baustelle am Gelände des ehem. BAN-Gebäudes, 2016. Blick auf Josef-Huber-Park

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Ungergasse im Jahr 2018

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Westliche Ungergasse vor der "Entwicklung" durch die IMMOLA

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Ungergasse 37, ehemalige Pizzeria mit Sitzgarten im Grünen

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Ungergasse 35-37 vor der "Entwicklung" durch die IMMOLA

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Ungergasse nach der "Entwicklung" durch Pongratz und IMMOLA

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Ungergasse, Detail: Durchgang gesperrt (!) Der Fläwi will hier in Form einer ausgewiesenen Vorbehaltsfläche einen Zugang zum Josef-Huber-Park (!) gewährleisten (?)

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Ungergasse, Ansicht vom Westen. gewidmet als "Kerngebiet" – trotzdem mit Wohnungen im Erdgeschoß (!)

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

IMMOLAS Verständnis von dichter Urbanität: Wohnen im Erdgeschoß, Erschließung über Laubengänge

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

"Entwicklung“ der Ungergasse durch private Investoren
im Beobachtungszeitraum 2015 – 2021

Der östliche Abschnitt der Ungergasse bis zur Kreuzung Idlhofgasse ist durch eine homogene mehrheitlich gründerzeitliche Verbauung geprägt. Der westliche Teil der Straße war von heterogenen Gewerbestrukturen, Wohnhochhäusern und einem historisch bedeutsamen Vorstadthaus aus dem 18. Jh. geprägt. Dieses Gebäude war eines der letzten Bauten der ehemals auch Elendgasse genannten Straße (weitere Infos unter den Link > grazerbe.at).
Bis zum Abbruch im Jahr 2015 war hier die ehemalige BAN Tischlerei untergebracht. 2015 schrieb Peter Lauckhardt auf Graz Erbe: "Mit dem Verlust dieses malerischen Bauensembles mit altem Baumbestand an der Ecke zur Ungergasse wird im Bezirk Gries eine weiteres altes Viertel verloren gehen.“ Und das ist auch so geschehen. Als zwei Jahre später das gegenüberliegende Eckgebäude abgebrochen wurde, ging ein weiteres Stück Viertelidentität verloren. Der feine Trödelladen vom sozioökonomischen Projekt BAN lockte zahlreiche Kund*innen aus ganz Graz an. Die Auslagengestaltung war legendär. Zusätzlich konnte man dort Problemstoffe und alte Geräte abgeben. Ein wunderbares Dienstleistungsangebot. In der dazugehörigen Tischlerei konnte man alte Möbel reparieren lassen. 2017 waren dann beide Eckgebäude weg, sie mussten gesichtslosen Wohnbauten mit Dichten bis 2,6 und Wohnen im Erdgeschoß weichen. Beide Eckgrundstücke wurden von der Firma Pongratz entwickelt und errichtet. Die Wohnungen sind zu 100% Anlegerwohnungen und als vom Land Steiermark geförderte Mietwohnungen vermietet.

Der nächste Schritt der in der Transformation Ungergasse erfolgte 2017 mit der Auflage des Bebauungsplans 05.32.0 Ungergasse-Steinfeldgasse. Auf Ansuchen der Firma Tonweber wurde ein Bebauungsplan erstellt. Bei der öffentlichen Präsentation des Bebauungsplans gab es viel Kritik von Bewohner*innen. Sie kritisierten neben der hohen Dichte und der zu hohen Gebäudehöhe auch, dass die Abtretungsfläche zum Straßenraum mit ca. 2,6 m zu schmal für eine Baumreihe sei. Diese Kritik wurde von der zuständigen Referentin des Stadtplanungsamt entkräftet. Die Ungergasse sei breit genug für eine Baumreihe im öffentlichen Straßenraum. Diese sei jedoch im Plan nicht eingetragen, weil der Straßenraum im Bebauungsplan nicht dargestellt werden dürfe. ("Wie bitte?", fragte ich damals aus dem Publikum heraus? Die Gestaltung des Straßenraums gehört wohl zu den wichtigsten stadtplanerischen Aufgabenstellungen.) So sind beispielsweise in Wien die Vorgaben für den Straßenraum ein wesentlicher Bestandteil von Bebauungsplänen. Die vielen Einwendungen hatten einen kleinen Erfolg, ein Geschoß wurde abgespeckt und der Abstand zum angrenzenden Park vergrößert.

Tonweber gab das Projekt Ungergasse 39-41 an die IMMOLA ab, die dieses unter dem Motto "4U – es grünt so grün" im Gries weiterentwickelte. Daneben betrieb die Immola die Aufstockung und den Totalumbau der direkt angrenzenden Häuser Nr. 35 und 37. Dafür wurden Einzelbaubewilligungen mit städtebaulichen Gutachten erteilt, obwohl diese Objekte sowie auch die beiden von Pongratz realisierten Eckgebäude im bebauungsplanpflichtigen Gebiet liegen. Rückwirkend wurden im Bebauungsplan die Dichteüberschreitungen auf diesen Grundstücken als zulässig erklärt, und das bei einer erlaubten Höchstdichte von 2,5! Eine seltsame Vorgehensweise der Stadtplanung. Die zwei Gebäude waren vorher  2- bzw. 3-geschoßige nette Vorstadthäuser und wurden mit 3 bzw. 4 Geschoßen überdimensional aufgestockt. Musste das sein? Nur Gierige tun so etwas. Das hätte die Stadtplanung verhindern müssen. Stattdessen hat sie abenteuerlich begründete Dichteüberschreitungen erlaubt.

Wie üblich schwärmt Immola in hohen Tönen vom eigenen Projekt. Originaltext Homepage Immola: 
"Südwestlich der Grazer Altstadt entsteht ein neues Wohnbauprojekt der IMMOLA. Der Projektentwickler hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen mit der Entwicklung von hochwertigem Wohnraum in Grazer Stadtteilen mit hohem Zukunftspotential gemacht. Die Ungergasse 39-41 ist nicht mehr länger Heimat von ungenutzten Firmenhallen mit ganzheitlich, versiegelten Vorplätzen, sondern wird zur ästhetischen Wohnstätte von 75 Parteien. (…). Besonderen Komfort bieten Balkone und Tiefgaragenplätze“. Balkone und Tiefgaragen gehören wohl zur Standardausstattung von Wohnanlagen und diesen Bau als "ästhetische Wohnstätte" zu bezeichnen ist eine schamlose Übertreibung.
"In enger Kooperation mit der Grazer Stadtplanung konzipierte die IMMOLA eine Symbiose aus qualitativem Innenraum und großzügigen Erholungsflächen im Freien. Charakteristisch für das neue Bauobjekt ist die straßenseitige Bebauung und die daraus resultierende hofseitige Idylle. Insgesamt bleiben mehr als zwei Fünftel der bestehenden Fläche unbebaut und bieten besonders viel Platz für 'grüne Wohnzimmer'“.
Außer den eingezäunten privaten Gärten ohne Sichtschutz zu den Nebenwohnungen bleibt nur wenig an Freiflächen, es gibt keinen Spielplatz und keine Bänke. Die einzig einladende Freifläche ist der direkt angrenzende Park. Die Behauptung, dass aus der straßenseitigen Bebauung die "hofseitige Idylle" resultiert, ist in Anbetracht der ausgeführten Freiräume einfach unwahr. Die einzige "Idylle" bietet der Blick auf den Park, wobei vom Blick auf die Wohnanlage im Umkehrschluss nicht von Idylle gesprochen werden kann.

Man stellt sich die in anderem Kontext bekannte Frage: „Wo war die Leistung der Stadtplanung“?

– Dass am Laubengang zu ebener Erde gewohnt wird und der einzige Schlafraum der Kleinwohnungen das Fenster zum Laubengang hat? Dieser Laubengang ist laut Festlegungen zum Typ Blockrandbebauung im Räumlichen Leitbild ausgeschlossen. Die Stadtplanung negiert ihre eigenen gesetzlichen Vorgaben. Auch hier wieder ein abenteuerliche Begründung: "Aufgrund der Einfügung in den Gebietscharakter (Bsp.: Neubauten Idlhofgasse 40 und 48) sind straßenseitige Laubengänge im untergeordneten Ausmaß zulässig". Vor der Errichtung dieser Neubauten durch Pongratz gab es natürlich nirgendwo in diesem Stadtteil straßenseitige Laubengänge. Die Stadtplanung definiert moderne Bausünden als Gebietscharakter, das ist eine ziemliche Frechheit und kommt ausschließlich dem wirtschaftlich denkenden Investoren zu Gute: Eine Laubengangerschließung mit nur einem Lifttreppenhaus spart Kosten gegenüber mehreren adressbildenden Treppenhäusern.
– Dass in der Widmungskategorie Kerngebiet mit Überlagerung Wohnen und hoher Dichte von 2,5 zu 100% gewohnt wird, ist ebenfalls keine stadtplanerische Leistung. Im Gegenteil. Hier entstehen in wertvollen, zentralen Lagen unattraktive  reine Wohngebiete. Das Raumordnungsgesetz definiert Kerngebiete so:
"Kerngebiete, das sind Flächen mit einer im Vergleich zu anderen Baugebieten höheren Nutzungsvielfalt und Bebauungsdichte in entsprechender Verkehrslage, die vornehmlich für bauliche Anlagen für–Erziehungs-, Bildungs-und sonstige kulturelle und soziale Zwecke,–Handels-und Dienstleistungseinrichtungen,–Hotels, Gast-und Vergnügungsstätten,–Verwaltung und Büros und dergleichen bestimmt sind, wobei auch Wohngebäude und Garagen sowie Betriebe zulässig sind."

Resümee: die Entwicklung der Ungergasse ist nachhaltig misslungen. Nie mehr wird sich hier ein vielfältiges, belebtes und lebenswertes Stadtviertel ausbilden. Die Stadtplanung hat aufs Gröbste versagt. Sie ist den Wünschen der Investoren gefolgt und hat ihre eigenen im STEK definierten Planungsziele aufgegeben. Dies ist nur ein schreckliches Beispiel von vielen. Fortsetzung folgt.

anonym

das resümee dieses sehr zutreffenden kommentars kann man auf viele grazer gebiete anwenden. st. peter wurde zugebaut und wird weiter sinnlos nachverdichtet, dasselbe passiert in der lendgegend, in andtirtz oder mariatrost. man hat das gefühl, dass es keine funktionerende stadtplanung in graz gibt. vielleicht sollten grazer für die kommende gemeinderatswahl .daran dernken, dass der herr bürgermeister nagl dafür zuständigs ist. versiegelung zubetoniererei etc...
es wird zeit für einen echten wechsel, warum nicht einmal ein gründe planungsreferentin?

Mi. 07/07/2021 4:07 Permalink
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