19/10/2023

Der österreichische Diskursraum erscheint als eine topologisch unlogische Landschaft. Dort abgeholzt, da beschnitten, von Asphalt überwuchert. Die Erde, bereits tot? Diese Landschaft zu sezieren, bedarf kartografischen Feinsinns oder eines Faibles für Selbstkasteiung. Wie steht es also um die österreichischen Architekturmedien? Welche Ansprüche und Notwendigkeiten richten sich an die nächsten autochthonen Medien? Und wie könnte deren Genese aussehen? Eine Spurensuche.

19/10/2023

Fremdbestimmter Diskurs 
Architekturmedien befinden sich in einer schwierigen Gemengelage. Abgesehen von digitalen Plattformen, neuen beziehungsweise verschränkten Medien, Post-Corona-Fatigue und Finanzierungsproblematik bestimmen zum großen Teil ausländische deutschsprachige Marken den österreichischen Mediendiskurs: Baumeister, ARCH+, Detail, Archithese, BauNetz (Campus) und kontextur stehen einer architektur.aktuell gegenüber, die zwar als großformatiges Heft grafisch aufgemascherlt, aber relativ alleine daherkommt.

Fragmentierter Diskursraum
Daneben gibt es die historisch anmutende und bei Jüngeren irrelevante Homepage der Grazer Architektur Tage, (www.gat.st [A.d.R: www.gat.news seit Oktober 2023 unter den Stichworten Gesellschaft Architektur Transformation], ja genau dieses Medium hier). Auf universitärer Ebene haben sich immer wieder auch Studierende vorgenommen, gegen den Strom konstruktiv zum Architekturdiskurs beizutragen. Projekte wie Schauraum Architekturmagazin oder das LAMA sind jedoch eingestellt beziehungsweise abgeschlossen. Das Feedback für derartiges ist zwar durchwegs positiv, die Leser*innenschaft allerdings überschaubar sowie die Medienlandschaft nachhaltig unbeeindruckt. 

Und schließlich gibt es auch das viel geschätzte Bauforum längst nicht mehr. Das großformatige Bauforum war eine Basis für Kritik, Information und Neuigkeiten, abonniert von jedem Architekturbüro, das etwas auf sich und seinen progressiven Geist hielt. 

Der Rest des öffentlichen Diskurses verkommt in den einzelnen Landesarchitekturhäusern zum föderalen Provinzereignis. Etablierte Architekturschaffende geben sich bei Veranstaltungen und Ausstellungen vor Ort ein Stelldichein in Klassenfahrtsmanier. Man bleibt gern unter sich, auch wenn man den interdisziplinären Austausch als trendiges Bekenntnis auf den Lippen trägt. Und sind die Themen noch so interdisziplinär relevant: Invasive Arten verirren sich selten zu diesen sozialen Ereignissen; die Orientierung in und das Dechiffrieren von der architektonischen Semantik sowie dem Habitus fallen zu schwer.

Wir müssen uns daher die Frage stellen, wie sich das aktuelle System noch aufrechterhält. Es mag schmerzen, aber Kritik kann nicht im Wohlfühlbereich bleiben, wenn der Status quo auf so vielen Ebenen defizitär ist. Es leidet nicht nur der Nachwuchs darunter, sondern auch die Architektur und folglich die Gesellschaft unter den gebundenen Händen der Planung, für die wir als Architekturschaffende sogar curricular verpflichtet werden: Wir haben eine Verantwortung. Von Stolz war schließlich nie die Rede.

Bedeutung kritischer Architekturmedien in Österreich
Aktuell kompromittiert die Wirtschaft tatsächlich jede Redaktion in irgendeiner Form. Die großen, internationalen Marken haben eines gemeinsam: Ihre Inhalte fußen auf Bauprojekten, doch langsam dringt das (Nicht-)Bauen als legitime Praxis von den Universitäten und Abweichler*innen in den Mainstream durch. (Nicht-)Bauen wird keineswegs so wohlwollend wie Neubauen rezipiert. Damit sind schließlich weniger Materialeinsatz und weniger Produktionsfirmen verbunden als bei kleineren, nachhaltigen und wiederverwendenden Maßnahmen. Jene Firmen allerdings sind es, die Medienpartnerschaften forcieren, um mit Werbeschaltungen und Sponsored Content (also bezahlten Einschaltungen) ihr Image und ihre Umsätze zu lenken. Das ist das Fundament, auf dem der aktuelle Architekturjournalismus steht – und er könnte nicht aus der Zeit gefallener sein als in unserer Gegenwart. 

Colin Crouch wunderte sich bereits 2011 über „das befremdliche Überleben des Neoliberalismus”, indem er feststellt, dass die Wirtschaft mit ihren Interessen die Politik und Gesellschaft erodiert. 12 Jahre später sollten wir bereits einen Schritt weiter sein. Die Notwendigkeit kritischer Architekturmedien aus Österreich könnte man mit einem Handwisch abtun. Es gibt das Internet, um jegliche Informationen zu erschließen, auch heimische. Schon junge Studierende meinen zu wissen, dass digitaler Inhalt aktueller und vermeintlich besser ist als jene verstaubten Textpassagen in den Büchern der Bibliothek. Das Internet bildet den unbürokratischen Zugang zu einer diversen und globalen Wissensbasis, die in vielen Fällen gratis verfügbar ist. In Foren findet hierarchielos Austausch statt.

Der digitale Wert
Das Aber ist ein Großes. Denn trotz der beschriebenen Vorteile der grenzenlosen Vernetzung ist es für geübte Medienlandschaftsbeobachter*innen ein Leichtes, die Nachteile zu identifizieren: Die Informationen sind viel zu oft schlecht recherchiert; die Intention hinter Texten ist primär das Generieren von Klicks und das Erreichen von höherer Verweildauer auf den einzelnen Seiten – jene Aspekte, die auch Google belohnt. Denn je mehr Menschen ein Inhalt anspricht, desto weiter oben im Google-Ranking erscheinen die Homepages bei Suchanfragen und desto eher werden sie angeklickt und durchgescrollt. Dadurch werden die Inhalte beliebiger und reißerischer, aber verlieren an Substanz mangels akkurater Recherche. Die Medien befinden sich damit in einer wirtschaftlich signifikanten Zwickmühle: Entweder viel und breitenwirksamen Content erstellen und gut bei Google Analytics ranken, oder qualitative Inhalte mit geringerer Reichweite und damit einhergehend weniger Werbewert online stellen. Eine Paywall scheint gar dem sicheren Verderben gleichzukommen.

Das Wissen in Büchern hingegen mag nicht immer das aktuellste sein, dafür gibt es einen spezifischen, einordbaren Kontext wieder, sei er gesellschaftlichen, zeitlichen oder sozialen Ursprungs. Oftmals wird fälschlicherweise angenommen, dass aktuellere Informationen automatisch zu einem höheren Erkenntnisgewinn beitragen. Selbst in schnelllebigen und inhärent digitalen Branchen wie BIM, generativen Visualisierungs- und Textprogrammen, gibt es mit Fachjournals zuverlässigere Quellen als personalisierte (und damit uneinheitliche) Google-Suchergebnisse. Oberflächliche Recherchen kurzer Online-Texte ersetzen in keiner adäquaten Weise die Bibliotheks- oder Archivrecherche sowie die basale Auseinandersetzung mit der gewachsenen Wissensmaterie.

So abhängig wie nötig – oder so unabhängig wie möglich? 
Als zu Unrecht vernachlässigter Aspekt gilt außerdem der abgebildete Zeitgeist in Heftreihen – seien sie digitaler oder physischer Natur. Nichts eignet sich so gut wie Zeitschriften, um eine Entwicklung greifbar zu machen, deren Fortgang man im Auge des Sturms selbst nicht zu deuten vermag, sondern der erst im Nachhinein und mit zeitlichem, ideellem und persönlichem Abstand erschließbar wird und Sinn ergibt. Dann erst zeigt sich der vielschichtige Mehrwert der authentischen, aus dem Redaktionsfluss heraus entstandenen Abbildung der Architekturbranche – und nicht der Geldströme von einzelnen Produktionsfirmen in Form von gefälligem Sponsored Content.

Die große Herausforderung unserer Zeit ist nicht, qualitative Inhalte zu produzieren, sondern sie erstens zum Zielpublikum zu transportieren und zweitens für sie, deren Unabhängigkeit und Fortbestand einzutreten. Es ist zwar leicht, auf den Zug, der in diesem Zusammenhang salopp formulierten „Digitalisierung“ aufzuspringen: Aus einem Heft wird eine Homepage, es werden dynamischere und diverse Werbepartnerschaften eingegangen, die Inhalte werden immer mehr zu Inhalten der Werbepartner*innen, eingerahmt von Werbebannern und Co. Daher müssen wir die Parameter des Wettbewerbs überdenken. Der Blick auf das (Werbe-)Wirtschaften ist zu wenig, um über den Fortbestand von Medien mit Informations- und Diskursauftrag zu entscheiden. Die Debatte um moralische Ansprüche gegen wirtschaftliche Rahmenbedingungen muss geführt werden. Welche Lösungen kann es geben, um Architekturmedien unabhängiger zu machen?

Nach unserem derzeitigen Wirtschaftssystem ist die heimische Medienlandschaft schlichtweg unrentabel. Der Markt ist zu klein, die Leser*innenschaft kaum vorhanden, Potenzial nach oben begrenzt. Wer glaubt, es fehle lediglich am Willen, der*die denkt zu kurz. Doch längst ist bekannt, dass es für nachhaltiges Wirtschaften mehr braucht als nur nackte Zahlen und Rentabilität. Ein österreichisches, qualitatives und multimediales Architekturorgan würde nicht nur den guten Umgang mit Architektur, sondern auch das Selbstbild heimischer Architekturschaffender fördern. Es kann zu einer internationalen Positionierung beitragen, den Wiedererkennungswert erhöhen und eine allgemeine Wertschätzung fördern. Zwei österreichische, qualitative und multimediale Architekturmedien würden den Diskurs ungleich potenzieren und die Vielfältigkeit vorhandener Zugänge zum (Nicht-)Bauen besser wiedergeben.

Typisch Österreichisch
In Sachen Informationsfluss benötigt man in Österreich vor allem eines: die richtigen Kontakte. Architekturschaffende organisieren sich in inoffiziellen Grüppchen, die lokale, bildungstechnische oder voruniversitäre Gemeinsamkeiten aufweisen, aus denen sich Seilschaften und dadurch besonders Informationskanäle bilden. Dieses System ist bewusst elitär und nicht nachhaltig, denn nachfolgende Generationen werden nicht nur initial davon ausgeschlossen, sondern sind nur dann taktisch im Vorteil, wenn sich deren direktes Umfeld bereits aus Architekturschaffenden speist. So wird in Österreich nicht nur ganz standesgemäß die Bildung vererbt, sondern in Sachen Architekturarbeit auch die Kontaktbildung. Dieser Mechanismus zieht sich aus der Universität in alle anderen Bereiche der Branche. Dabei könnte es auch anders gehen.

Traditionen und Antagonismen
Ein wirklich relevanter Diskurs schafft die selbstverständliche Integration des Nachwuchses. Jede Generation aufs Neue muss sich mühselig bis jetzt den Platz am Tisch erkämpfen – und dies geschieht fast ausschließlich durch eine Bewährungsprobe in den Büros selbst, die als Gatekeeper fungieren und den Diskurs elitär belassen. Am Tisch angekommen wird man dann plötzlich irgendwann selbst mit der Kritik der Jungen konfrontiert, dass das System undurchlässig zu den jüngeren Jahrgängen hin sei. Welche Schärfe bleibt dann überhaupt noch übrig, in den schwerfällig selbstbeweihräuchernden Kreisen der immerselben Schwarzträger*innen? Ist es nicht ein Zeichen mangelnder Qualität, wenn es keine freche Kritik gibt, die neuen Impulse setzen kann?

In den etablierten Fachzeitschriften gelten derweilen noch immer die großen, internationalen Architekturbüros als Umsatzbringer. Der Mythos des Star-Architekten hält sich hartnäckig, der in Personalunion aufgrund seines Genies die großen Wettbewerbe gewinnt. Das Sujet zieht vermeintlich. Der Schritt hinaus, ins ungewisse Feld des exotisch wirkenden Nachwuchses, ist schließlich wirtschaftlich gefährlich und eine Unternehmens-strategische Gratwanderung. Eine finanzielle Absicherung der Redaktionsarbeit, unabhängig vergeben nach festgelegten Qualitätskriterien, könnte hier die Artenvielfalt fördern. Ideen einer solchen gibt es bereits im Bereich der Medienförderung (ein ebenso typisch österreichischer Problempunkt). 

Eine mediale Dreifelderwirtschaft, aber nicht zeitlich verstanden, sondern durch unterschiedliche Standpunkte, täte behäbigen Strukturen genauso gut wie dem Nachwuchs, der nicht nur vom öffentlich nachvollziehbaren und egalitären Diskurs profitieren würde, sondern auch von der Möglichkeit einer medialen Repräsentation und Wertschätzung der eigenen Arbeiten. Vielleicht fehlt einfach noch das nötige Quäntchen an Solidarität; dass wir verstehen, dass wir ohneeinander nicht können und ein Mehr für die anderen auch ein Mehr für uns selbst bedeutet. Wenn wir Informationen mit einer größtmöglichen Masse teilen, profitiert jeder und jede einzelne von uns vom Anstieg der Schwarmintelligenz.

Antrieb
Die Landesarchitekturhäuser in ihrer föderalen Tradition führen zur Vereinzelung der österreichischen Architekturbranche. Als Bund brauchen wir ein inhaltlich zeitgenössisches Fixum, das wiederkehrend allen Interessierten eine Plattform bietet – einerseits für Information und Kritik, andererseits für den (auch informellen) Austausch. Ein Forum für Junge wie Alte, das ein Miteinander fördert, anstelle eines Gegeneinanders oder Ohneeinanders. Ein Fixum, das Identifikation ermöglicht für mehr als nur dem Auslaufmodell Archetypus Architekt, das mehr kann, als nur Wien, Ost- oder Westösterreich zu vertreten.
Der Kampf der österreichischen Architekturmedien ist und bleibt jedenfalls kein Kampf um Reichweite, sondern ein Wettlauf um die junge Leser*innenschaft. Denn sie ist weder den aktuellen Printmedien sonderlich zugetan, noch von ihnen groß berücksichtigt oder mit ihren Themenschwerpunkten vertreten. Die Jungen haben ihre eigenen Kanäle, ihre eigenen Zugänge zu Themen und weichen notgedrungen auf andere Ebenen der Zusammenkünfte aus, bilden Parallelszenen in Clubs und Ausstellungsräumen, und feiern sich ganz ohne Medienpräsenz – denn sie selbst sind ihre Medien. 

Auf herkömmlichem wirtschaftlichem Wege wird es zu keinem neuerlichen Aufblühen der Medienlandschaft kommen. Es bedarf neuer, unabhängiger Finanzierungsmöglichkeiten, um die Diversität nicht nur abbilden zu können, sondern damit auch weiter zu fördern, allen Architekturschaffenden eine Plattform zu bieten und so zu einem kritischen und qualitätsvollen Umgang mit (Nicht-)Bauen beizutragen. In Anbetracht der klimatischen Herausforderungen eine mehr als drängende Agenda.

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