22/05/2018

Der Ortskernkümmerer. Versuch einer Job-Deskription

In Trofaiach in der Steiermark hat sich die Kombination eines Masterplans mit einem Innen-stadtkümmerer als Basis für eine gelungene Stadtkern-entwicklung bewährt. Da die Profession des Kümmerers noch in der Pionier- und Entwicklungsphase ist, hatte das erste Vernetzungstreffen vom 5. bis 6. April 2018 in Trofaiach, veranstaltet von der Stadtgemeinde Trofaiach und dem Architekturbüro nonconform, das Ziel, den persönlichen Austausch zu fördern und die Rahmenbedingungen der Tätigkeit zu präzisieren.

Bericht vom ersten Vernetzungstreffen der Orts- und Stadtkernkümmerer – OSKÜR von Elisabeth Anderl
Teil 2

22/05/2018

Innenstadtkoordinator Hans Stixenberger, Waidhofen / Ybbs

©: nonconform architektur vor ort

Innenstadtkoordinator Erich Biberich, Trofaiach

©: nonconform architektur vor ort

Diskussionsrunde mit Korbinian Kroiß, nonconform (stehend)

©: nonconform architektur vor ort

Arbeitgruppe

©: nonconform architektur vor ort

Zum allererste Vernetzungstreffen in Trofaiach sind erfahrene, frisch „g’fangte“ und zukünftige Kümmerer aus ganz Österreich gekommen, sie sind entweder ausschließlich für die Prozeßorganisation angestellte Koordinatoren oder auch in Personalunion Bürgermeister und Verwaltungsbeamte. Und ihre Zuständigkeiten sind so vielfältig wie die Gemeinden und deren Problemstellungen, gemeinsam ist ihnen aber, dass sie für die öffentliche Wahrnehmung einmal offiziell gefasster Veränderungsstrategien zuständig sind und deren Umsetzungsprozess im Fluss halten sollen.
Gemeinsam mit den Initiatoren der zweitägigen Veranstaltung versuchten sie in zahlreichen Workshops und anhand von Tätigkeitsberichten einzelner Kümmerer, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und Anforderungen und Begrifflichkeiten zu klären um letztlich eine allgemeingültige Job-Deskription zu entwickeln.

Die Ursachen der Veränderungsprozesse, die sie begleiten, liegen meist in der räumlichen Verschiebung von Funktionen, im durch Abwanderung und Entmischung ausgelösten Aufgabenverlust der Ortszentren und dem damit einhergehenden Nachlassen sozialer Kohäsion. Es sind immer wieder die gleichen Abläufe: Orte mit rückläufiger Infrastruktur, zugesperrten Schulen, Banken, Postämtern und Geschäften verlieren ihre informellen Treffpunkte und das Nebeneinander an Stelle des Miteinanders der BewohnerInnen nimmt zu. Zudem verliert die Ortsidentität, die durch gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Faktoren bestimmt wird, an Bedeutung und ist für viele BewohnerInnen nicht mehr greifbar, im nächsten Schritt geht dann ihre Bindung an den Ort verloren.

Ortsidentitäten
Die Wiederentdeckung einer Ortsidentität und die Entwicklung neuer Treffpunkte und Ortszentren gehörten zu den wesentlichsten Aufgaben der meisten anwesenden Kümmerer. Für den Entwicklungsprozess gibt es aber kein Rezept, der kann mit einem zentral gelegenen Leerstand beginnen, wie in Munderfing, Oberösterreich, oder mit dem Fehlen eines gemeinsamen Zentrums wie in Frantschach–St Gertraud in Kärnten. Beides sind Veränderungsprozesse, die von nonconform nach einer Ideenwerkstatt begleitet werden.
Gerade im überschaubaren Rahmen ländlicher Kommunen können aufsuchende und koordinierte Beteiligungsprozesse zielführend sein. In Städten, wie in Klagenfurt, ist das Grätzl eine entsprechende Einheit. Im Kardinalviertel versucht seit kurzem eine Viertelagentin die Bewohnerinnen und die Wirtschaftstreibenden zu verorten und zu motivieren im Grätzl gemeinsam neue Impulse zu setzen.
Dass die Ortsidentität nicht von außen bestimmt werden kann hat die Stadt Spittal an der Drau erfahren, wo ein Zuviel an Marketingidentitäten für Verwirrung sorgte und die zuständigen Abteilungen nun gemeinsam mit den BewohnerInnen für Klarheit sorgen wollen.
Eine stimmige Identität kann die Bindung an einen Ort intensivieren und die Fluktuation der BewohnerInnen begrenzen und gerade in kleinen Gemeinden über Bleiben – bzw. Rückkehren Jugendlicher und auswärtig Erwerbstätiger entscheiden.
Die alte Büchsenmacherstadt Ferlach, die seit Dezember letzten Jahres einen Stadtkümmerer für die koordinierte Entwicklung des Stadtzentrums engagiert, versucht etwa mit dem Büchsenmacherweg ihre Geschichte darzustellen. Und in Seeboden, ebefalls in Kärnten, soll die wiederhergestellte Verbindung des Ortskerns mit dem namensgebenden See die Identität der Gemeinde stärken.

Der Stadtkümmerer von Trofaiach
Erich Biberich ist der erste Innenstadtkoordinator im obersteirischen Trofaiach. Die Stadt hat das Schicksal vieler einstiger Bezirkszentren erlitten, nachdem die, das Stadtzentrum bildende, vielbefahrene Eisenstraße durch eine Umfahrungsstraße entlastet wurde, folgten die Geschäftsflächen dem Verkehrsstrom und die Erdgeschoße in der einst stolzen Hauptstraße leerten sich. Den Hausbesitzern fehlten folglich die Mieteinnahmen, was zu einem Instandsetzungsrückstand führte und die Verfallsspirale im Zentrum in Bewegung setzte.
Natürlich war die Ausgangslage in Trofaiach viel komplexer, wesentlich ist aber, dass 2015, nach einer nonconform-Ideenwerkstatt, in einem Beteiligungsverfahren mehr als 800 Ideen vorlagen und in einen Masterplan zur Zentrumsbelebung einflossen, der nun unter maßgebender Begleitung des Innenstadtkoordinators umgesetzt wird.
Dieser sitzt für Alle sichtbar und ansprechbar in einem schönen, zentralen Geschäftslokal in der Hauptstraße. Dieses Verorten und Sichtbarmachen wie auch die Transparenz des Prozesses sind wesentliche Eckpunkte seiner Tätigkeit. Für seinen heuer der Gemeinde vorgelegten Evaluierungsbericht hat Erich Biberich den Output der letzten 2,5 Jahre erhoben.
Dazu zählt, dass die Hauptstraße zu einer verkehrsberuhigten Begegnungszone umgestaltet wurde und durch die Verlegung der Musikschule in das Zentrum jetzt über 300 Schüler und deren Eltern das Zentrum frequentieren. Von den 32 leere Geschäftsräumen konnten etliche vermittelt werden, neue Lokale sperren wieder auf und mit dem Trofaiach Tandler, einem Anlaufpunkt und Verkaufsplatz für Jedermann, wurde ein BürgerInnenzentrum geschaffen. Und zusätzliche Frequenz bringen die zweiwöchentlichen Markttage der regionale Bauern.

Wie konnte das gelingen? Nicht Erich Biberich hat das alles gemacht, er hat vermittelt und unterstützt. Im Hintergrund hilft er bei der Selbstorganisation und vermittelt zwischen den vier  Interessensgruppen, die der Veränderungsprozess berührt, den politischen Vertretern, der Verwaltung, den Wirtschaftstreibenden und den betroffenen Bürgern. Ohne deren ständige Einbindung wäre dieser große Schritt in eine lebendige Zukunft nicht gelungen.
Für Erich Biberich sind vier Themenfelder, die Gestaltung des öffentlichen Raumes, das Standortmanagement, die Selbstorganisation und das Unterhaltungs- und Eventmanagement die Eckpfeiler seines Auftrags. Diesen bewältigt er mit Unterstützung eines kleinen Teams von Freiwilligen, Initiativgruppen und Vereinen. Sie helfen ihm die Probleme rechtzeitig zu erkennen, sie anzusprechen und mit den Beteiligten Lösungen zu suchen.
Und ganz wesentlich, Erich Biberich kann auf den Rückhalt seines Bürgermeisters bauen und auch gegebenenfalls politisch unbequeme Entscheidungen innerhalb seines Pouvoirs treffen, der Erfolg gibt beiden recht.

Resümee
Nach zwei Tagen lässt sich zusammenfassend sagen: Ein Kümmerer braucht eine hohe Toleranzschwelle, den unbändigen Willen, Veränderung zuzulassen und er darf nicht ungeduldig werden, denn der Wandlungsprozess verläuft selten geradlinig.
Der Kümmerer ist der Motor des Veränderungsprozesses, denn ohne seine Begleitung verlaufen viele der einmal gestarteten Prozesse im Sand. Er koordiniert, vermittelt und unterstützt und begegnet dabei seinen Ansprechpartnern immer auf Augenhöhe. Im besten Fall ist er eine Identifikationsfigur wie Hans Stixenberger aus Waidhofen an der Ybbs oder Erich Biberich aus Trofaiach, jemand der zu allen Beteiligten einen guter Draht hat und vor allem das Vertrauen seiner Auftraggeber um ein möglichst freies Gestaltungsmandat ausüben zu können.

Terminempfehlungen

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+