25/07/2023

Eine Frage der Intelligenz

König Leopold II. von Belgien hat auf seinem Privatanwesen, dem Freistaat Kongo, mit der tatkräftigen Unterstützung von Privatkonzernen aus Kautschuk, Elfenbein, Tantal und Cobalt eine künstliche Intelligenz entwickelt, um die Ausbeutung zu ökonomisieren und die Geschichte des Landes auf die Zukunft hingerichtet neu schreiben zu lassen. Oder so ähnlich.

25/07/2023

am I a real robot?

©: Severin Hirsch

Eine Frage der Intelligenz

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Nokia, König Leopold II. von Belgien und der Belgisch-Kongo: Ausbeutung, Sklaven, Tantal und Kautschuk

Nokia, ein finnisches Unternehmen, ist ein Name, der in den Köpfen vieler Menschen mit Mobiltelefonen und Kommunikationstechnologie verbunden ist. Es wurde 1865 gegründet und hat seitdem eine bewegte Geschichte durchlebt. Eine andere Geschichte, die eng mit Nokia und dem belgischen König Leopold II. verbunden ist, ist die des Belgisch-Kongo.

König Leopold II. von Belgien regierte von 1865 bis zu seinem Tod 1909. Während seiner Herrschaft betrachtete er es als seine private Kolonie und keine offizielle belgische Kolonie. Das Land war reich an natürlichen Ressourcen wie Tantal und Kautschuk, was es zu einem wertvollen Ziel für wirtschaftliche Ausbeutung machte.

Die Ausbeutung der Ressourcen im Belgisch-Kongo erfolgte auf Kosten der einheimischen Bevölkerung, die unter einem brutalen Regime von Zwangsarbeit und Sklaverei litt. Unter dem Vorwand der "Zivilisierung" des Kongo und der Förderung des Fortschritts versklavte und tötete Leopold II. Millionen von Kongolesen, um seinen persönlichen Reichtum zu mehren und die industrielle Entwicklung in Belgien zu fördern.

Die Kolonialherren zwangen die Einheimischen zur Ernte von Kautschuk und sammelten Tantal, ein seltenes Metall, das für die Herstellung von elektronischen Geräten wie Handys und Computerchips von entscheidender Bedeutung ist. Die Gewinnung dieser Ressourcen erfolgte unter unmenschlichen Bedingungen, die zu unzähligen Todesfällen und großem Leid führten.

Der Raubbau an den Ressourcen des Belgisch-Kongo war ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Landes und führte zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen. Berichte über Grausamkeiten erreichten schließlich die internationale Gemeinschaft und führten zu einer internationalen Empörung.

Einer der bekanntesten Kritiker dieser Ausbeutung war der britische Journalist und Forscher Edmund D. Morel, der die Gründung der "Congo Reform Association" im Jahr 1904 leitete. Diese Organisation setzte sich für die Beendigung der Sklaverei und des Missbrauchs im Kongo ein und sorgte für eine breitere Sensibilisierung und internationale Unterstützung.

Die Enthüllungen über die Ausbeutung im Belgisch-Kongo führten dazu, dass der belgische Staat schließlich die direkte Kontrolle über die Kolonie übernahm, anstatt sie weiter als Leopolds persönliches Eigentum zu betrachten. 1960 erlangte der Kongo schließlich seine Unabhängigkeit von Belgien, aber die Auswirkungen der Kolonialzeit waren weiterhin spürbar.

Zurück zu Nokia, dem finnischen Unternehmen, das in dieser Zeit aktiv war. Es ist wichtig zu betonen, dass Nokia als Unternehmen nicht direkt an den Vorfällen im Belgisch-Kongo beteiligt war. Es wurde erst später, in der Ära der modernen Technologie, zu einem der bekanntesten Unternehmen der Mobilfunkbranche. Nokia hat jedoch seitdem viele Veränderungen und Entwicklungen durchlaufen und ist zu einem wichtigen Akteur in der Telekommunikationsindustrie geworden.

Abschließend zeigt die Verbindung zwischen Nokia und dem belgischen König Leopold II. und dem Belgisch-Kongo, wie historische Ereignisse, auch wenn sie auf den ersten Blick weit voneinander entfernt zu sein scheinen, miteinander verflochten sein können. Die Geschichte des Kongo erinnert uns daran, dass die Ausbeutung von Ressourcen und Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit eine verheerende Auswirkung hatten und uns heute dazu anhalten sollten, eine gerechtere und nachhaltigere Welt zu schaffen.

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Gut, vielleicht wäre es erwähnenswert, dass ab 1876 der „Freistaat“ Kongo unter König Leopold II. neben Kautschuk hauptsächlich aufgrund von Elfenbein, Kakao und Palmöl, sowie Kupfer, Blei, Zink und Diamanten – und weniger wegen Tantal ob der damals noch schwach vertretenen Mikroelektronik- und Mobilfunkindustrie – grausam und brutal ausgebeutet wurde und Belgien in weiterer Folge zu einer ökonomisch erfolgreichen Kolonialmacht aufsteigen ließ. Ebenso soll die Tatsache Erwähnung finden, dass Leopold II. große Teile des Landes an Privatkonzerne verpachtete, da er sich wegen der Größe und mühseligen Durchdringbarkeit des Kongos mit der alleinigen Ausbeutung überfordert sah – die Ökonomisierung der Ausbeutung. 1865, als Leopold II. den belgischen Königsthron bestieg, wurde in Finnland das Unternehmen „Nokia“ zur Produktion von Papiererzeugnissen gegründet, das seit 1868 seinen Firmensitz in der Stadt Nokia hat und seit 1871 als Mischkonzern – unter anderem für Stromerzeugung – weitergeführt wurde. Ab etwa 1900 wurden hauptsächlich Gebrauchsgegenstände wie Gummistiefel und Reifenmäntel produziert – Produkte, deren Grundmaterial Kautschuk (tränender oder blutender Baum) ist, was uns wieder in den Kongo führt. 

Es ist eine unbewiesene Mutmaßung meinerseits, dass Nokia schon damals die Rohstoffe für seine Produktion aus dem Kongo bezog, eine intensivere Recherche darüber wäre aber durchaus wünschenswert, zumal die Beweislast beim Unternehmen liegen sollte, hat man sich doch nach der Fusion der drei Nokia-Betriebe 1967 (Papier-, Gummi- und Kabelwerk) immer mehr in Richtung Hochtechnologie orientiert. Mobiltelefone (wie fast alle digital-elektronischen Geräte) bedürfen der Rohstoffe Tantal (das Anders Gustav Ekeberg 1802 ausgerechnet in Finnland und Schweden entdeckte)/Coltan für Elektrolytkondensatoren und Cobalt für Akkumulatoren (wie auch für die Elektromobilität). Die größten Vorkommnisse dieser für die modernen Technologien so wichtigen Rohstoffe gibt es in der Demokratischen Republik Kongo, wo sie durch moderne Sklaverei in Minen abgebaut werden. Die grausamen Ausbeutungen in der europäischen Kolonisationsgeschichte finden in diesen Minen ihre Fortsetzung. Für wenige ist es auch ihre Erfolgsgeschichte, für die neben den Bäumen auch Millionen von Menschen weinen und bluten mussten und ihr Leben für diese wenigen Geschichten ließen und es weiterhin tun. 

Nokias Geschichte ist nur eine von vielen, es klänge aber durchaus plausibel, hätten sie im Laufe der Geschichte zwar das Produkt verändert, aber die Bezugsquelle beibehalten. Um das „Theater der Grausamkeiten“ in diesem Land und die Erfolgsgeschichte moderner Technologiekonzerne noch abzurunden, sei noch an Patrice Lumumba (s. zeitenweise-22) erinnert, den ersten Ministerpräsidenten einer unabhängigen Demokratischen Republik Kongo, der sein Amt von Juni bis September (!) 1960 innehatte und die totale wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit seines Landes forderte, worauf er auf Interventionen seitens der USA und Belgiens abgesetzt wurde und nach mehreren Inhaftierungs- und Fluchtversuchen Anfang 1961 auf ominöse und immer noch ungeklärte Weise ums Leben kam. Wer einmal seinen Fuß in der Tür hat, will sie weiter offen halten und noch weiter öffnen.

Joseph Conrads Herz der Fisternis aus dem Jahre 1899 oder Mario Vargas Llosas Roman Der Traum des Kelten über die Aufdeckung der Gräueltaten und Massaker durch den britischen Reederei-Logistiker und Journalisten Edmund Dene Morel und den irisch-britischen Diplomaten (und späteren – von den Briten erhängten – irischen Nationalhelden) Roger Casement geben beeindruckend-bedrückende Einblicke in den Kongo zur Zeit Leopolds II. Heute, in einer Zeit, in der viel mehr Menschen viel mehr Zugang zu viel mehr Wissen und Informationen haben, tragen wir diese Verantwortung viel leichtfertiger mit uns herum. Wir benutzen kopf- und gedankenlos unsere Mobiltelefone, unsere Elektrofahrräder und Elektroautos der Umwelt zuliebe, ohne die Konsequenzen in Betracht zu ziehen. Wir sind Nutznießende, Besitzende, Mitwissende. Auch so machen wir uns der Ausbeutung mitschuldig. Auch ohne Elfenbeinelefanten. Vielleicht wäre ein Paar Gummistiefel sinnvoller.   

Diese Anmerkungen waren notwendig, um mir den ersten Teil dieser Kolumne anzueignen, die Geschichte über Belgisch-Kongo, die Demokratische Republik Kongo zu meiner Erzählung zu machen. Ich habe ein kleines Experiment gewagt und mich in ChatGPT, einem auf künstlicher Intelligenz basierenden Chatbot zur Generierung von textbasierten Nachrichten/Antworten, eingeloggt, um einen Einblick in die vieldiskutierte Software zu erhalten. Nachdem ich den „Befehl“ „schreibe einen text über 2000 zeichen über nokia, könig leopold 2. von belgien, über belgisch kongo, ausbeutung, sklaven, tantal und kautschuk“ einspeiste, erhielt ich als Antwort den vorangestellten Text – inklusive Überschrift und Conclusio. Im Großen und Ganzen qualitativ nicht minderwertiger als ein Großteil der Texte, die man im Internet zu diversen Themen zu lesen bekommt. Nur an die Zeichenvorgabe hat sich die KI/AI nicht ganz gehalten und ist weit über das Ziel hinausgeschossen. Aber das passiert mir auch ständig. Dennoch wollte ich Ihnen, geschätzte Leserinnen und Leser, den Text in seiner Gänze nicht vorenthalten, allein aus dem Interesse heraus, ob und welchen Unterschied es macht, einen Text eigenhändig zu verfassen oder ihn durch Schlagwortfütterung von einer KI-Software schreiben zu lassen – und ob es überhaupt jemandem auffällt. Nach weiterer Recherche fand ich zudem heraus, dass der Chatbot durch Präsentation des eigenen Schreibstils und Satzbaus diesen nachzuahmen versucht, was eine Unterscheidung zwischen Schreiben und Schreiben-Lassen noch schwieriger machen dürfte. Zudem kann das Programm dichten, Songtexte erstellen, psychotherapieren und Ratschläge erteilen. Nur auf meinen Verdacht einer Verbindung zwischen Nokia und der Rohstoff- und Menschenausbeutung im Kongo – damals wie heute – wollte es partout nicht eingehen. ChatGPT wurde im Übrigen vom US-amerikanischen Unternehmen OpenAI entwickelt und im November 2022 veröffentlicht. Im Jänner 2023 kaufte sich Microsoft für zehn Milliarden US-Dollar als Partner ein. Jenes Microsoft, dem immer wieder Monopolisierung und Wettbewerbsverletzungen vorgeworfen werden, hat unter anderem auch 2014 die Mobiltelefonsparte von Nokia übernommen. Und jetzt übernimmt es das Schreiben von Texten.

Der vorliegende Text versteckt geschickt die wissenschaftliche Forschung und die philosophische Diskussion rund um die Fragen künstlicher Intelligenz, die spätestens seit den 1950-ern aufkeimten. Computing Machinery and Intelligence von Alan M. Turing aus dem Jahr 1950 war der Aufschwung und die theoretische Grundlage für die KI-Forschung und beinhaltete den berühmten Turing-Test, der beweisen sollte, ob ein Computer intelligentes Verhalten zeigen und ein Unterschied zwischen menschlichen und computergenerierten Antworten am Bildschirm eruiert werden kann. Doch dazu ein anderes Mal.

„Ein weiterer Vergleich wäre ein Atomreaktor unterhalb der kritischen Größe: die eingegebene Idee soll hier einem Neutron entsprechen, welches von außen in den Reaktor eindringt. Jedes solches Neutron wird eine gewisse Störung verursachen, die schließlich abklingt. Ist der Reaktor jedoch hinreichend groß, wird die durch das eingedrungene Neutron verursachte Störung eine Kettenreaktion auslösen, die schließlich zur Zerstörung des Reaktors führt. […] Der Verstand der meisten Menschen scheint unterkritisch zu sein, d.h., er entspricht bei dieser Analogie den Reaktoren unterkritischer Größe: eine einem solchen Verstand mitgeteilte Idee ruft als Erwiderung im Durchschnitt weniger als eine Idee hervor. Nur ein winziger Teil ist überkritisch: eine einem solchen Verstand mitgeteilte Idee ruft eine ganze ‚Theorie‘ hervor, bestehend aus sekundären, tertiären und noch ferner liegenden Ideen.“ (Alan M Turing, Kann eine Maschine denken? In: Künstliche Intelligenz. Philosophische Probleme. Herausgegeben von Walther Ch. Zimmerli und Stefan Wolf. Stuttgart 1994. S. 39-78. S. 69f.)   

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