09/04/2024
Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) – jeden 2. Dienstag im Monat!

Der Autor nimmt die Leser:innen in seiner Kolumne sozusagen Per Anhalter durch die Galaxis mit. Anekdotenhaft erzählt er über unknown und well-known Artists und Kunstwerke, die ins Weltall hinauskatapultiert werden.

Hier eine Kostprobe, da es sowieso an Whisky, Klopapier und Papier überhaupt mangelt: Von Umtrieben im Weltall also handelt diese Ausgabe des Wolkenschauflers, von Dingen, die über den Wolken geschehen (sein) sollen, respektive von Kunst (oder kann das weg?), die auf den Mond geschossen worden sei oder dorthin expediert werden soll. Ich kann es nicht belegen, man muss mir glauben: Vor einigen Jahren habe ich ein Dokument gesehen, aus dem hervorgeht, dass mein verstorbener Freund Emil Gruber für mehr als 1000 Schilling ein Grundstück auf dem Mond gekauft hatte. Mein „Wozu?“, erinnere ich mich, beantwortete Emil lapidar mit: „Du hast das nicht!“ – Richtig, ich bin eher erdverbunden. „Aber bis man da hinkommen wird, sind wir eh dahin.“ „Beides nicht auszuschließen“, respondierte der Grundeigentümer...

09/04/2024

Wolkenschaufler

©: Wenzel Mraček

Sofern er in der Lage gewesen wäre, die Zeitläufte besser noch zu erahnen, als er es in seinem 1960 erschienen Roman KAFF auch Mare Crisium getan hatte, wäre der Autor Arno Schmidt in seiner Fiktion wohl umso zynischer vorgegangen. Schmidt, der nach dem Zweiten und während des Kalten Krieges davon überzeugt war, das sei noch nicht alles gewesen, da käme angesichts atomarer Aufrüstung noch ein Dritter – ein endgültiger –, erzählt in seiner Fiktion, dass im Jahr 1960 ein Protagonist Karl und seine Lebensgefährtin Hertha zu Besuch bei Tante Heete in der Lüneburger Heide sind. Auch im Buchdruck in parallel geführter Handlung, erzählt Karl seiner Hertha immer wieder Episoden zweier Kolonien amerikanischer und russischer Wissenschafter im Mare Crisium, im Jahr 1980 auf dem Mond. 

Diese skurril absurden Geschichten handeln damit in einer Zeit nach dem großen Krieg auf Erden, der Terra hinkünftig unbewohnbar gemacht habe, wenngleich sich dort noch einige Versorgungseinheiten befinden. Aufgrund defekter Raumfahrzeuge aber werden Lieferungen von Eier-Ersatz, Zigaretten und Dosen-„Corned=Beef“ rar. Whisky gibt es überhaupt nur mehr zu wenigen, ganz besonderen Anlässen und dann aus Fingerhüten zu trinken. Es mangelt zusehends an Klopapier, überhaupt an Papier, die Raumanzüge werden undicht „undsoweiter“ (hier die Bitte an die Redaktion, „undsoweiter“ in dieser Form zu veröffentlichen; es handelt sich um ein Zitat aus mehreren Science-Fiction-Romanen von Kurt Vonnegut; und bitte, zur Erläuterung für Leserinnen und Leser, auch diese Bitte im Text zu belassen).

Von Umtrieben im Weltall also handelt diese Ausgabe des Wolkenschauflers, von Dingen, die über den Wolken geschehen (sein) sollen, respektive von Kunst (oder kann das weg?), die auf den Mond geschossen worden sei oder dorthin expediert werden soll. 

Ich kann es nicht belegen, man muss mir glauben: Vor einigen Jahren habe ich ein Dokument gesehen, aus dem hervorgeht, dass mein verstorbener Freund Emil Gruber für mehr als 1000 Schilling ein Grundstück auf dem Mond gekauft hatte. Mein „Wozu?“, erinnere ich mich, beantwortete Emil lapidar mit: „Du hast das nicht!“ – richtig, ich bin eher erdverbunden. „Aber bis man da hinkommen wird, sind wir eh dahin.“ 

„Beides nicht auszuschließen“, respondierte der Grundeigentümer.

Bekannt ist, dass SpaceX, eine Firma von Elon Musk, am 6. Februar 2018 ein rotes Elektroauto mit einer Falcon Heavy-Rakete ins Weltall transportierte. Heute, glauben wir einem Bericht der Frankfurter Rundschau (09. 03. 2024), befindet sich das Auto irgendwo in einer Entfernung von 327,2 Millionen Kilometern zur Erde. Abgesehen von absurd anmutender PR-Aktion hatte der Transport aber einen Zweck: Für den ersten Start der Falcon-Rakete brauchte man Nutzlast. Bei den Vorgänger-Modellen hatte man, laut Frankfurter Rundschau, deshalb noch Käselaibe verwendet. Musk kündigte – bei 50%iger Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Starts – zuvor an, „das albernste Ding, das wir uns vorstellen können“ zu transportieren: ein rotes Auto mit einem Dummy als Fahrer und im Handschuhfach eine Ausgabe von Douglas Adams‘ Roman Per Anhalter durch die Galaxis (5 Bde. 1979 – 1992).

Einer Redeweise zufolge, will man ja so manches, das niemand braucht, auf den Mond schießen. Mir fallen jetzt NFTs ein, digitale Abbilder von Kunstwerken oder deren Teile, die man um teures Geld kaufen soll und damit eine digitale Besitzurkunde erhält, die auf eine Datenmenge verweist, die wiederum eine digitale Kopie des Werks repräsentiert. Als künstlerisches Konzept vielleicht müsste man dagegen ein Unterfangen des kalifornischen Künstlers Forrest Myers bezeichnen. Eine Keramikplatte mit den Maßen 1,4 x 1,9 cm ist mit 1969 datiert, heißt Moon Museum und trägt Zeichnungen Myers‘ und der Kollegen Robert Rauschenberg, David Novros, John Chamberlain, Claes Oldenburg und Andy Warhol. Myers versuchte, die NASA für seine Idee zu gewinnen, ein winziges Museum auf dem Mond zu installieren. Erhalten ist die Fama, ein am Apollo 12-Projekt beteiligter Techniker habe das Moon Museum an einem Bein der Mondlandefähre, die am 19. November 1969 auf dem Mond landete, intrepid befestigt. Mehr ist dazu nicht zu erfahren, beziehungsweise ist das Moon Museum nach heutigem Stand perdu (auch: tschari) gegangen.

Eine Gedenktafel, Fallen Astronaut, für acht amerikanische Astronauten und sechs sowjetische Kosmonauten, die während ihrer Dienstzeit verstorben waren, konnte der belgische Künstler Paul van Hoeydonck mit Apollo 15 1971 auf dem Mond platzieren.

Mit dem 2003 explodierten Spaceshuttle Columbia flogen 1986 vier Gemälde des US-Künstlers Ellery Kurtz ins All. Als Teil eines Forschungsprojekts wurden Umwelteinflüsse auf Farbpigmente und Leinwand im Weltraum hinsichtlich der Möglichkeiten untersucht, Kunst im Orbit zu schaffen. Man muss nur die Notwendigkeiten erkennen, um die richtigen Handlungen zu setzen.

Wir überspringen hier einige weitere Kunstwerke und Aktionen im Weltraum und blicken auf den Mars, der, mit Zwischenaufenthalt auf dem Mond, ja möglichst bald von angelandeten oder ausgesetzten Menschen (schöner Ausdruck, vermutlich von Gebräuchen historischer Seefahrt stammend: marooned) betreten werden soll. Farbpunkte des Künstlers Damien Hirst waren Teil eines Kalibrierungsprogramms an der Landeeinheit Beagle 2 der ESA. Am 19. Dezember 2003 ging die Beagle 2 nach Trennung von ihrem Trägerschiff zunächst verloren und die Mission wurde als gescheitert erklärt. Irgendetwas sandte 2015 aber Fotos vom Mars, die die weich gelandete Beagle zeigen, woraus wir schließen, dass sich Hirsts Kunstwerk auf dem Mars befindet. Sehen können wir es dort offenbar nicht (mehr).

Der aktuelle Stand des Projekts Lunar Codex ist zwar nicht zu erfahren. Nach etlichen Berichten vom Dezember vergangenen Jahres, will aber der kanadische Physiker und Kunstsammler Samuel Peralta ein 30.000 internationale Werke umfassendes Konvolut von Literatur, Musik, Film und bildender Kunst auf den Mond senden, naturgemäß digitalisiert. Diese Zeitkapseln, argumentiert Peralta, sollen mit einer SpaceX-Rakete demnächst auf den Trabanten geschickt werden, um künftig dort befindlichen Menschen von ihrer Vergangenheit auf Erden zu erzählen – nachdem (siehe Arno Schmidt) Terra unbewohnbar geworden sein wird undsoweiter (siehe Kurt Vonegutt). Inzwischen aber verhandelt auch Jeff Koons mit NASA und SpaceX ein ganz ähnliches Ansinnen. 125 Mondskulpturen, versehen mit Diamanten, Smaragden und NFTs (ich sagte schon: auf den Mond damit!) tragen Titel wie Leonardo da Vinci oder David Bowie. „This is Major Tom to ground control: Tell my wife I love her very much, she knows …”

Bleiben Sie auf dem Boden (der Tatsachen), empfiehlt der Wolkenschaufler.

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