12/01/2024

Mit der Digitalisierung hat sich auch das Abgabeverfahren bei Wettbewerben weitestgehend verändert. Der Innsbrucker Architekt Georg Pendl zeigt in seinem Kommentar, dass die Anonymität dabei gefährdet sein könnte und es bereits in manchem Fall zu nicht nachvollziehbaren Ausschlüssen einzelner Wettbewerbsbeiträge gekommen ist. Er spricht von einem schmerzlichen Wettbewerbskulturverlust.

12/01/2024

Einleitend und allenfalls zur Erinnerung der Hinweis: Architekturwettbewerbe sind anonyme Verfahren. Nur so ist gewährleistet, dass die Qualität des Projekts Grundlage für die Auswahlentscheidung ist, und nicht jedwelche Kriterien bezüglich die Verfasser betreffend. Architekturwettbewerbsbeiträge werden daher anonym abgegeben.

Zur Identifikation des Verfassers dient bekanntermaßen der Verfasserbrief, welcher nach Abschluss der Jurierung durch den Vorsitzenden der Jury im Beisein derselben geöffnet und der Name des Autors damit öffentlich wird.
Im Falle des Fehlens dieses Verfasserbriefes kann dieser aufgrund seiner Eigenschaft als verbesserungsfähiger Mangel nachgefordert werden. Dazu besteht eine Judikatur, Anlass war ein Verfahren für ein Gymnasium in Eisenstadt in den Nullerjahren. Das Fehlen des Verfasserbriefes ist ein verbesserbarer Mangel und daher kein Ausschließungsgrund.

Seit geraumer Zeit werden nun Architekturwettbewerbsbeiträge nicht nur materiell abgegeben, sondern digital auf einen Server geladen. Zuvor werden die Unterlagen heruntergeladen und es erfolgt eine entsprechende Anmeldung. Bereits dieser Anmeldungsvorgang zeigt dem Nutzer, dass der Architekturwettbewerb hier in ein sprachliches Korsett der Preisvergabe gezwängt wird, das Vokabular reicht auf den Vergabeplattformen von Bieter bis Antragsteller, etc.

Doch nicht nur die Sprache ist jene des Preiswettbewerbs, sondern den Systemen immanent sind auch andere, der Kultur des Architekturwettbewerbs entgegenstehende Eigenschaften. Alle existierenden Portale dienen ihrer Natur und Konzeption nach Vorgängen im Bereich von Preiswettbewerben, bzw. im Bereich der materiellen Vergabe.

Für den Bereich der kreativen Leistungen (intellectual services in Englisch) gibt es dazu offenbar keine Software. Aus meiner Sicht ein klares Versäumnis der Berufsvertretungen. Nach der Etablierung der Architekturwettbewerbsseite in den Nullerjahren, eine Maßnahme, mit welcher ebendiese Berufsvertretung eine gewisse Hoheit über das Thema erlangt hat, wäre das Anbieten bzw. Etablieren eines entsprechenden Vergabetools der wichtige nächste Schritt gewesen. (An Stelle dessen erfolgte kürzlich eine Erneuerung der Seite durch mehr Farbe).

Aber nun zu einem konkreten Fall, einem Ingenieursleistungs- und Architekturwettbewerbs für ein Brücken- bzw. Verkehrsbauwerk in Innsbruck:

Wie oben beschrieben, war alles digital abzugeben und das Hochladen der Daten musste durch die digitale Signatur abgeschlossen werden (!). Ein groteskes Unding. Die anonym abzugebenden Unterlagen werden mit Namen, Siegel und digitaler Unterschrift signiert, was wohl das Gegenteil eines anonymen Vorgangs ist.

Bei 2-stufigen Wettbewerben wird zwecks Informationsfluss zwischen Teilnehmern und Auslobung ein Notar geschaltet, was leider dem vermutlich begründeten Misstrauen gegenüber unnotariellen Personen entspricht. Im Fall der digitalen Abgabe ist das offenbar anders, hier vertraut der Österreicher oder auch die Österreicherinnen dem Algorithmus einer digital tätigen Agentur.

Im Fall des genannten Wettbewerbs, misslang diese digitale Unterzeichnung. Es konnte in der Folge ermittelt werden, dass die gesamten Unterlagen wie erforderlich auf dem Server waren. Lediglich die digitale Unterschrift fehlte. Die auch materiell abzugebenden Unterlagen samt Verfasserbrief wurden zudem rechtzeitig abgegeben.

Die Teilnehmer wurden von der Jury ausgeschieden, damit Arbeit mehrerer Personen im Umfang mehrerer Monate gekübelt.

Diese Entscheidung ist in zweifacher Hinsicht absurd. 

Zum einen könnte eine Analogie zum Fall „Eisenstadt“ gesehen werden. Das hätte bedeutet, das Fehlen der digitalen Unterschrift wird wie das Fehlen eines Verfasserbriefes als behebbarer Mangel gesehen, dessen Behebung ja ohnedies durch das Vorliegen des materiellen Verfasserbriefes bereits erfolgt wäre.

Zum anderen wird etwas zum Mangel oder Fehler erklärt, was ursächlich im Widerspruch zu einem anonymen Verfahren steht, nämlich die Unterzeichnung, also (N)Onymisierung eines Beitrages.

Der Mangel des Bestands eines eigenen Internettools für die Auslobung und Abwicklung von Architekturwettbewerben ermöglicht derartige Absurditäten. Das Bestehen eines solchen Tools würde zugleich den Einfluss der wesentlichen Protagonisten auf diesem Gebiet – nämlich jenen, die seit Generationen oder 150 Jahren das Prinzip Architekturwettbewerb entwickelt und hochgehalten haben, der Architektenschaft – sichern. So wie es derzeit ist, sind wir aber einer unsäglichen Kombination von juristisch und digital behaupteten Zwängen ausgeliefert. Der Anfang vom Ende der Wettbewerbskultur.

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