12/07/2013

Kultur:Stadt
Kulturbauten von Bilbao bis Zeche Zollverein

Ausstellung der Akademie der Künste Berlin
Kurator: Matthias Sauerbruch
bis 13.10.2013 im Kunsthaus Graz, Space02

Rahmenprogramm
_ Matthias Sauerbruch
: Werkvortrag Sauerbruch/Hutton, 19.9.2013, 19 Uhr, XAL - Center
_ Chris Dercon: Tate Modern London – An Extreme Example of Popular Urban Development, 28.9.2013, 17 Uhr, Kunsthaus Graz
_ Studierenden-Tag 2013: Workshops und Gespräche rund um „Städtische Modellwelten – Utopien und Visionen“, 09.10.2013, TU Graz
_ Alain Thierstein: Evaluierung von Politik- und Unternehmensmaßnahmen im Zusammenhang städtischer Entwicklung – Graz als Fallbeispiel, 16.10.2013, 19 Uhr, HDA Graz

12/07/2013

Ausstellungsansicht im Kunsthaus Graz.

©: Universalmuseum Joanneum

Die Ikone der Kultur-Ikonen: Frank Gehrys Guggenheim Museum in Billbao, 1993-97. Foto: David Heald, © The Solomon R. Guggenheim Foundation, New York

Centre Georges Pompidou von Renzo Piano und Richard Rogers, 1971-77. Schnitt / Collage, Courtesy: RPBW, Renzo Piano Building Workshop

Auf dem iPad befindet sich eine Ausstellungs-App, die umfangreiches Material zu den 37 ausgestellten Projekten bietet: Fotos, Pläne und Daten, ein Videokommentar von Matthias Sauerbruch und oft einen zusätzlichen Autoren-Kurzfilm zum Projekt. Foto: UMJ / N. Lackner

Seattle Central Library von OMA / LMN, 1999-2004. Foto: Philippe Ruault

Detroit Soup: Monatliches Abendessen zur Aufbringung von finanziellen Mitteln für kreative Projekte in Detroit. Foto: David Lewinski

Metropol Parasol in Sevilla von Jürgen Mayer H., 2004-11. Foto: Fernando Alda

„Die Museen und Theater sind die geistigen Projektionsflächen der postreligiösen Gesellschaft, sie setzen Zeichen für das Selbstverständnis der Städte und ihrer Bewohner.“ So paradigmatisch wird im Ausstellungskatalog die Rolle von Kulturbauten in der heutigen Gesellschaft charakterisiert. Sie bewirken Veränderungen des städtischen Lebens, des öffentlichen und sozialen Raums einerseits und schaffen andererseits Zeichen, die über die Stadt hinaus wirken und zunehmend auch wirtschaftliche Bedeutung haben. Die von der Berliner Akademie der Künste konzipierte Ausstellung Kultur:Stadt, die derzeit im Kunsthaus Graz zu sehen ist, widmet sich der Frage, wie kulturelle Angebote und deren Manifestation als gebaute Stadt sich als Faktor urbaner Entwicklung äußern. Und wie sie gesellschaftliche Veränderungen (mit)auslösen können. Große Kulturbauten, wie sie seit dem Guggenheim Museum in Bilbao jede Stadt haben will, werden in der Schau mit alternativen Kultur- und Kunstprojekten, mit selbst organisierten Initiativen in Stadtteilen oder in umprogrammierten Gebäuden konfrontiert.

Ausgangspunkt der Ausstellung ist das ab 1960 von Hans Scharoun geplante Kulturforum in Berlin. Idee und Architektur sind hier ein Spiegel der Gesellschaft: demokratisch, niederschwellig – und nicht ikonisch. Ein „sozialer Raum jenseits der Inszenierung“. Dieses erste von sechs Kapiteln, in denen Kurator Matthias Sauerbruch das Thema aufrollt, zeigt Vorläufer der heute verbreiteten Kultur-Ikonen, neben dem Kulturforum etwa das Kulturhuset in Stockholm, das Centre Pompidou oder das Opernhaus in Sydney, das als erste Ikone gelten kann.
In den 1990ern wurde in Bilbao schließlich mit dem Guggenheim Museum gezielt ein spektakuläres Zeichen gesetzt, das die Transformation der Stadt verkörpern sollte und sie erfolgreich auf die kulturelle (und touristische) Weltkarte setzte. Der sogenannte Bilbao-Effekt – der wirtschaftliche Aufschwung einer ganzen, meist durch Strukturprobleme infolge der Deindustrialisierung darniederliegenden Stadt oder Region durch die Kraft eines ikonischen Kulturbaus – wurde seitdem fast ebenso oft kopiert wie zitiert. Und viele Städte sind daran gescheitert. Wieso – und warum es in Bilbao funktioniert hat – erfährt der Besucher jedoch leider nicht in der Ausstellung, sondern nur im Katalog. Dafür findet er weitere „Neue Ikonen“ wie die Tate Modern, die Elbphilharmonie oder den Espacio Andaluz de Creación Contemporánea Córdoba von den in Graz nicht unbekannten Nieto Sobejano Arquitectos.

Das Interesse der Ausstellungsmacher gilt allerdings vor allem den Post-Bilbao-Strategien: verschiedenen Ansätzen der Integration von Kultureinrichtungen in die sozialen Strukturen und kreativen Netzwerke von Städten. Das Grazer Kunsthaus findet sich im Kapitel „Akkupunkturen“ wieder, das kleinere Bauten betrachtet, die einen Einfluss auf ihr unmittelbares städtisches Umfeld haben. Die Freude, dass sich „unser“ Friendly Alien (wie übrigens auch die explizit unikonische Wiener Generali Foundation von Jarbonegg-Pálffy) im Kreis der 37 betrachteten Projekte wieder findet, kommt punktgenau richtig zum 10. Geburtstag des Kunsthaus Graz, der im September dieses Jahres begangen wird.

„Die Stadt wird von der Kultur ihrer Bewohner geprägt werden müssen, sonst wird sie zur Prägeform ihrer Bewohner und wirkt sich gegen sie aus.“

Diese Worte von Hans Scharoun aus dem Jahr 1946 bringen ein wichtiges Kriterium auf den Punkt: Richtet sich die in Architektur gemeißelte Kultur (auch) an die lokale Bevölkerung und erwächst (auch) aus ihr oder ist sie bloß ein möglichst grell leuchtendes Zeichen im internationalen Städtewettbewerb? Dass eine Symbiose aus beidem möglich ist, beweisen vor allem die gezeigten Bibliotheken, die zu Orten des Austauschs und zu einem Teil des öffentlichen Raums geworden sind. Die Seattle Central Library von OMA wurde für viele Obdachlose zum Ersatz für ein Zuhause und ist zugleich eine formale Ikone, die Parque Bibliotheca España im kolumbianischen Medellín bietet den Bewohnern eines von Armut geprägten Arbeiterviertels Zugang zur Wissensgesellschaft und dem Quartier eine neue Identität. Unter den stark sozial geprägten Projekten der Schau stechen außerdem das eher unscheinbare Inner-City Arts in Los Angeles und das ganz ohne Architektur auskommende Projekt Detroit Soup heraus.
Zu sehen sind auch umstrittene Projekte wie der Metropol Parasol von Jürgen Mayer H. in Sevilla, der oft als völlig deplatziertes, auf sich selbst bezogenes Objekt kritisiert wird, das der Altstadt öffentlichen Raum raubt, durch seine Ikonizität aber auch zum Ort sozialer Proteste wurde und damit seine Rolle als Markierung eines politischen Raums gefunden hat.

Der Rundgang durch die Ausstellung schließt mit zwei sehr unterschiedlichen Projekten, der Cidade da Cultura de Galicia von Peter Eisenman, die als überdimensioniertes Beispiel des Scheiterns auf vielen Ebenen betrachtet werden muss und der Großen Weltausstellung am Flughafen Tempelhof von Matthias Lilienthal und raumlabor, deren temporäre Kunsträume jenseits traditioneller Architektur inzwischen schon wieder verschwunden sind.

Besonders bei vielseitigen und sehr unterschiedlich rezipierten Projekten zeigt sich der Schwachpunkt der Ausstellung: Auch mit den umfangreichen und gut aufbereiteten Informationen auf dem (will man nicht nur schöne und teils selten gezeigte Architekturmodelle schau’n) unverzichtbaren iPad, werden die Projekte zwar aus mehreren Perspektiven, insgesamt aber doch sehr unkritisch präsentiert. Fachlich versiertem Publikum wird das zu undifferenziert sein und weniger mit der Materie vertrauten Besuchern wird der Unterschied zwischen der sozial wirksamen Ikonizität einer Parque Bibliotheca España und Projekten wie Zaha Hadids Guangzhou Opera, die doch eher dem Aufpolieren des Außenbildes eines zweifelhaften Regimes dient als den Bewohnern ihres Umfelds, auch durch den Videokommentar des Kurators nicht näher gebracht. Die kritische Betrachtung bleibt den Filmbeiträgen von Absolventen der Deutschen Film- und Fernsehakademie vorbehalten, die zu etwa der Hälfte der Projekte existieren. Und dem sehr empfehlenswerten Katalog, der neben ausführlichen Beschreibungen der ausgestellten Projekte auch zahlreiche Texte von Autoren wie Richard Sennett, Ricky Burdett oder dem Künstler Jochen Gerz enthält, die sich aus verschiedenen Sichtweisen teilweise sehr kritisch zu den konkreten Projekten und zur allgemeinen Entwicklung der Kultur- und Stadtarchitektur äußern.
Insgesamt zeigt Kultur:Stadt anhand durchgehend interessanter und sehenswerter Kulturbauten von den 1960ern bis zu noch im Bau befindlichen Projekten wie diese im Idealfall das kulturelle Leben von Städten und deren Bewohnern prägen und kulturelle Aktivitäten zur Entfaltung bringen. Und wie sich auf der anderen Seite Städte und Architekten im Wettlauf um eine (meist nur kurzlebige) mediale Aufmerksamkeit immer wieder zu Extravaganzen hinreißen lassen, die nur einen sehr überschaubaren Mehrwert für Stadt und Gesellschaft bergen.

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