13/10/2023

Nach drei aufregenden Jahren im Grazer Süden schließt der Club Hybrid seine Türen. Zum Ende gab es doch noch einmal etwas sehr Besonderes, wie Wolfgang Oeggl schreibt.
 

13/10/2023

Goodbye Club Hybrid © Christina Simmerer

„[Der Hybridisierungsprozess findet] auf Plätzen wie etwa Jahrmärkten statt, auf denen sich das Exotische und das Vertraute, Dörfler und Städter, Handelnde und Zuschauer begegnen. Bei den zu überschreitenden Kategorien kann es sich auch um Kulturen, Nationen, Ethnien, Statusgruppen, Klassen oder Genres handeln, deren jeweilige Abgrenzung die Hybridisierung verwischt. Sie tritt darüber hinaus im Rahmen einer Machtbeziehung zwischen Zentrum und Rand, Hegemonie und Minderheit auf und signalisiert das Verschwimmen, die Destabilisierung oder Subversion dieser hierarchischen Beziehung.“ (Jan Nederveen Pieterse, Der Melange-Effekt. Globalisierung im Plural. In: Ulrich Beck, Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt am Main 1998. S. 87-124. S. 105.)

Nach gut zweieinhalb Jahren macht der Club Hybrid nun seine Pforten dicht. Wobei „Pforten“ sich wohl als ganz und gar ungeeigneter und unpassender Begriff für alle Besuchenden dieses Ortes offenbarte, an dem Niederschwelligkeit und Offenheit zu den Grundprinzipien für den Demonstrativbau in Graz zählten. Verschwinden wird er auch nicht, zumindest nicht aus den Köpfen, in denen die Saat des Demonstrativen bereits aufgegangen ist und die – hoffentlich – in ihren Auswucherungen noch im Stadtbild und als Lebensform erkennbar bleiben wird. Auflösen wird er sich jedenfalls, in seine materiellen und ideellen Bestandteile, in Verkauftes und Unverkäufliches, in die Transformation eines Leibes und in die Unvergänglichkeit (und Unverfänglichkeit) einer Seele, um als Metapher die abendländische Tradition zu gebrauchen, ohne der dort benachbarten muslimischen Kultusgemeinde auf die Füße treten zu wollen – ein Bau mit Seele, Spirit, (Aufbruchs-) Geist. Geistreich. Geisterreich. Die Geister, die gerufen wurden.

An diesem von den Architekt:innen Heidi Pretterhofer und Michael Rieper für das Kulturjahr 2020 konzipierten diskursiven Begegnungsort in der Herrgottwiesgasse begegnen sich auch Orte: Orte der Kunst und Religion (in Form der Moschee), Zentrum und Peripherie, Orte für Kultur und Industrie/Gewerbe. „Wohnen, Arbeiten, Lernen, Sporteln, Beten und Basteln schließen hier einander nicht aus. […] Dieser, (un)beachtete Flecken’ des Grazer Stadtraums, ein dezentrales, heterogenes Mischgebiet, ist der passende Ort, um an urbanen Notwendigkeiten und Möglichkeiten zu arbeiten.“ (aus dem Essay „Urbane Nebelzone“. www.clubhybrid.at/essays/) Ein hybrider Ort. Die beiden Architekt:innen haben an einem neuralgischen Punkt ein offenes und zaunloses Areal geschaffen – nicht um in zahnlosen Diskursen über die Köpfe der Nachbarschaften eigennützige Entscheidungen und Urteile zu fällen oder in gähnend leeren theoretischen Monologen über Partizipation oder Selbstbestimmung zu dozieren, sondern um einen Raum, um neue Räume zu öffnen, an dem/denen sich jede/r in einem offenen Dialog beteiligen, einbringen und mitgestalten kann. Die Offenheit des Gebäudes und des Geländes steht somit in einem gewollt radikalen Widerspruch zur unsäglichen Stadtpolitik und Stadtplanung des letzten Vierteljahrhunderts.

Wem gehört die Stadt? Denjenigen, die für sie zahlen, oder denen, die daran verdienen?

Als ich am 30. September den Club Hybrid zur Goodbye Party erstmalig, also viel zu spät, und vermutlich zum letzten Mal betrat, war eines für mich offensichtlich und augenscheinlich: die freundlich-freundschaftlich-familiäre Atmosphäre und unaufgeregt gute, gemütliche Stimmung. Vielmehr wie bei einer Feier unter engen, vertrauten Freund:innen fand man sich ein, Musik im Hintergrund, im Vordergrund das Zusammenkommen, das Gemeinsame, das Gemeinschaftliche. Der (Pfahl-) Bau mit seinen einladenden, offenen, großzügigen Außenflächen auf drei Ebenen erweckt ein Gefühl von Urlaub, von Freiheit, von Geborgenheit, von Menschlichkeit, von Willkommensein, von Gastfreundschaft. Fehlt nur noch das Meer. Im Herzen der freigestellten unteren Ebene, zwischen den Eisenpfählen, die Küche und Ausschank, umgeben von Tischen auf geschottertem Terrain, die zum Verweilen einladen. Auf einem großen Monitor ziehen die Bilder der Vergangenheit vorüber, von künstlerischen, gemeinschaftlichen, kreativen, diskursiven Aktivitäten, die am Areal stattgefunden haben. Ein dünenhafter, großer Sandhaufen, ein bepflanztes Gabionenkörbelabyrinth als Unterschlupf für Insekten und Kleintiere, ein kleiner Fußballplatz, der schon bald von jungen Besuchern des islamischen Kulturzentrums genutzt wird, freie Grünflächen und die Moschee selbst umgeben den Bau. Jede/r ist willkommen, jede/r ein Teil der Gemeinschaft. Ein Kontrapunkt zur derzeitigen globalen politischen Praxis. Ein flüchtiger Ort als Zufluchtsort. Auf der ersten Ebene befindet sich ein großer, heller Raum, geeignet für Workshops, Ausstellungen, Seminare, darüber Schlafgelegenheiten, alles umgeben von großen Freiflächen, gemeinschaftlichen Nutzflächen. Stahl und Eisen. Die mit Schafwolle überzogene Gebäuderückseite spendet Wärme. Der Privatraum als Rückzugsort vor dem Öffentlich-Gemeinschaftlichen tritt in den Hintergrund, alles ist von der Umgebung einsehbar, ein Gegenentwurf zu Benthams Konzept und zur staatlichen Praxis der zentralistisch gesteuerten, panoptischen Überwachungsmöglichkeiten.

Als inhaltlicher Hauptprogrammpunkt des Abends des 30.9., eloquent und humoristisch von Michael Zinganel und eSeL geführt und begleitet, kam es zu guter Letzt zu einer Familienaufstellung, um noch einmal auf die Machtverhältnisse und -verschiebungen innerhalb der Stadt zu verweisen, nachdem zuvor den Besucher:innen, Freund:innen und Sympathisant:innen des Clubs diverse gesellschaftliche, politische, berufliche Rollen in Form von bedruckten T-Shirts zugewiesen wurden: von Lai:innen über Aktivist:innen, von Vorarbeiter:innen über Minister:innen, von Besetzer:innen über Besitzer:innen, von Mitläufer:innen über Bürgermeister:innen, von Köch:innen über Investor:innen usw. wurden ein letztes Mal die Kräfteverhältnisse und die politischen Verflechtungen augenscheinlich gemacht. Im Kampf mit den unnahbaren, unsichtbaren, übermächtigen Gött:innen der Kommunalverwaltung und politischen Einflussnahme, die sich die Stadt politisch und finanziell untereinander aufteilen, wurden die Zwei-Klassen-Gesellschaft, die gesellschaftlich zugewiesenen Rollen und politischen Positionen diverser Berufsgruppen sehr klar ersichtlich.

Die offene Struktur des Demonstrativbaus, die Forderung nach offenen Strukturen, um die starke Hierarchie politischer Einflussnahme zu unterwandern und aufzubrechen, wird sich nach Heidi Pretterhofers und Michael Riepers Motto „Gekommen, um zu bleiben“ als Gedanke für mehr Mitbestimmung weiter fortführen. Auch wenn der Ort bereits seiner neuen Bestimmung entgegensieht, bleibt die Idee eines solchen Ortes, solcher Orte, im Wunsch nach offeneren Gesellschaftsformen und partizipativeren Stadtplanungen bestehen.

Michael Rieper

Was für ein grandioser Text!!!!! Wir freuen uns! Michi, Heidi und Christina

So. 15/10/2023 23:45 Permalink
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