01/09/2023

Die nordburgenländische Kleinstadt Mattersburg kommt nicht aus den Negativschlagzeilen. Nach der Zerstörung des brutalistischen Kulturzentrums bis auf ein paar Fassadenkulissen, sorgt derzeit der Umgang mit einem zentralen innerstädtischen Gebiet für intensive Diskussion und massive Kritik aus Expert:innenkreisen.

01/09/2023

Die innerstädtische Brachfläche im Sommer 2020, Foto Johann Gallis

©: Johann Gallis
Die noch völlig intakte Michael Koch Straße Mitte der 1980er Jahre_Archiv Johann Gallis,
©: Herwig Udo Graf
Das Wohnhaus Seedoch im Sommer 2020. 
Geht es nach dem aktuellen Teilbebauungsplanentwurf wird auch dieses bedeutende Objekt der Architektur der Zwischenkriegszeit im Burgenland langfristig abgerissen werden_Foto Johann Gallis
©: Johann Gallis

Martin Pucher, Direktor der mittlerweile liquidierten Commerzialbank Mattersburg, hat nicht nur einen finanziellen Schaden in Milliardenhöhe hinterlassen, sondern auch eine mehr als 12 000 Quadratmeter große Brachfläche am nordwestlichen Rand der Mattersburger Innenstadt. Seit 1993 kaufte er sukzessive intakte, teilweise architektonisch äußerst bedeutende, Bestandsbauten auf und ließ diese abreißen. Eine Bankzentrale, ein neues Rathaus für die Gemeinde, die sich Pucher in dieser Causa komplett auslieferte, und Wohnungen sollten entstehen. Doch aus den Plänen wurde nichts, die Brachfläche existiert bis heute.

Anstatt jedoch darüber nachzudenken, wie diese riesige Lücke in der historischen Stadttextur nun bestmöglich geschlossen werden kann und ein qualitativ hochwertiges Weiterbauen auf diesem Areal vonstattengehen könnte, hat die Stadtgemeinde Mattersburg – gemeinsam mit dem neuen Eigentümer, der Wiener „BWS Gruppe“ – einen Weg beschritten, der weder mit zeitgemäßem Städtebau zu tun hat, noch mit einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen.  Erneut entsteht der Eindruck, die Kommune liefere sich einem Investor aus.

2022 wurde von der Stadtgemeinde Mattersburg in Abstimmung mit der „BWS Gruppe“ ein „Ideenwettbewerb“ ohne Kooperation mit der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten ausgeschrieben. Das Verfahren sah nicht nur die Neubebauung des bereits geräumten Areals vor, sondern langfristig auch die Schleifung weiterer großer Bereiche im innerstädtischen Kontext. Für die Ortstextur essentielle Bausubstanz, darunter typische Hakenhofstrukturen und Bürgerhäuser, würde bedenkenlos geopfert. Darüber hinaus befindet sich in dieser Zone auch das Wohnhaus Seedoch, ein bedeutendes Objekt der Architektur der Zwischenkriegszeit im Burgenland, entworfen im Jahr 1935 von den Architekten Julius Kappel und Rudolf Hutter. Anstatt alles daranzusetzen, die ohnehin schon riesige Fehlstelle zu schließen und dort qualitativ hochwertig weiterzubauen, hat man sich also für die Fortführung und langfristige Intensivierung einer wenig nachhaltigen „Flächensanierung“ entschieden. Ein Instrument der Stadtplanung, von dem man sich, national und international gesehen, seit den späten 1960er Jahren aus guten Gründen verabschiedet hat.

Doch damit nicht genug: In weiterer Folge wurde das Architekturbüro Nussmüller, der siegreiche Wettbewerbsteilnehmer, aufgefordert eine Überarbeitung des Projektes durchzuführen. Das Grazer Büro sah in seinem prämierten Entwurf, lässt man die Erfüllung der Abbruchvorgabe einmal beiseite – eine im Maßstab verträgliche zwei- bis dreigeschossige Bebauung vor. Mit der Überarbeitung sollte aus dem Wettbewerbsprojekt nun eine für die Entscheidungsträger „faktisch umsetzbare und vor allem wirtschaftliche Kubatur“ entwickelt werden. Im Detail bedeutete das eine Verdopplung (!) der Bruttogeschoßfläche, eine enorme Verdichtung der Baukörper und Gebäudehöhen bis zu 28 Meter ! Und dies in besagtem, kleinstädtischen Kontext Mattersburgs.

Für dieses einzig Investoreninteressen dienende Projekt, mit dem weder das Büro Nussmüller noch der Juryvorsitzende Herfried Peyker mittlerweile mehr etwas zu tun haben, letzterer hat sich sogar in Form einer Stellungnahme explizit von der Vorgangsweise distanziert, sollten bereits in der ersten Hälfte dieses Jahres mit einem Teilbebauungsplan die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden. Erst während der Begutachtungsfrist für diesen Teilbebauungsplan, Anfang Juni 2023, ist der Stand der Dinge, der zur radikalen Transformation des Stadtbildes führen würde, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Intensive Diskussionen vor Ort waren die Folge, die Bürgerinitiative „Lebenswertes Mattersburg“ wurde gegründet. Mittlerweile wird die Causa aufgrund ihrer Tragweite und fachlichen Problematik überregional beobachtet und kommentiert. So haben sich DOCOMOMO Austria und die Österreichische Gesellschaft für Architektur (ÖGFA) zu diesem Fall in Form einer Stellungnahme zu Wort gemeldet.

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Dieser Artikel erscheint im Rahmen von GAT+.

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