04/05/2021

Zum 80. Geburtstag von Wolfdieter Dreibholz

Eine Würdigung von
Karin Tschavgova

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Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

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04/05/2021
©: Karin Tschavgova

„Im Rampenlicht“, virtuell, für eine verdienstvolle Persönlichkeit

Feiern wir die 80, nehmen wir sie zum Anlass, einen Mann zu beglückwünschen, der gerade 80 wurde. Seine Verdienste wirken bis heute nach, daher: Ehre, wem Ehrerbietung gebührt. Wolfdieter Dreibholz hat sich 20 Jahre lang, von 1978 bis 1998, als Beamter für die Entwicklung der Steiermark eingesetzt und stark gemacht.

Nachdem GAT ohne Protokoll auftritt und ein Informationsportal ist, das weder Orden noch Titel verleiht, sei hier, vor allem für jüngere ArchitektInnen, die die Ära Dreibholz nicht miterlebt haben, ein kurzer Abriss seiner Verdienste angeführt.

1978 wurde Dreibholz, der damals Assistent von Professor Dimitriou (Institut für Kunstgeschichte) an der Technischen Hochschule in Graz war, von Josef Krainer jun., dem späteren Landeshauptmann von 1980 – 96 in die Abteilung Hochbau 4a der Landesregierung berufen. Dreibholz hatte in mehreren Artikeln in der Kleinen Zeitung scharfe Kritik an der landeseigenen Hochbauplanung geübt und Krainer soll gesagt haben: „Waun’s schon kritisieren, dann kummens ins Amt und mochen‘s es besser.“ Dreibholz nahm Krainer beim Wort und ergriff die Chance, zu gestalten.

Der Landeshochbau wurde reformiert, das Amt stand fürderhin „nur mehr“ für Vermittlung, Projektgenese, Organisation und Begleitung von Prozessen. Das war genug an Aufgaben, wenn sie, wie Dreibholz sie begriff, kreativ, offensiv und qualitätssteigernd in Angriff genommen wurden. Die amtseigene Planung wurde abgeschafft, für Bauten, die in die Zuständigkeit des Landes fielen, wurden Architekturwettbewerbe ausgeschrieben und auch junge Architekten, die noch keine großen Referenzen vorweisen konnten, eingeladen, sich daran zu beteiligen. Die Ermunterung zur Erneuerung der Architektur, zu Innovation und größerer Vielfalt kam punktgenau und sollte die Nachkriegsära des Bauens in einer verflachten Moderne nachhaltig abschließen. Auch Universitätsbauten, vom Bund finanziert und beauftragt, fielen in die Zuständigkeit des Landesbauamts und so kam es, dass in der Steiermark eine Vielzahl von neuen Bauten für den Hochschulbereich entstehen konnte, Gebäude, die auch international Aufmerksamkeit erreichten, weil sie eine neue, frische Architektursprache ausdrückten. Für den mit Landesmitteln geförderten Wohnungsbau setzte Dreibholz Reformen durch. Ab einer Anzahl von 50 Wohneinheiten wurde den Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften ein Wettbewerb vorgeschrieben, und Dreibholz, immer strategisch denkend, lockte mit früher ausgeschütteten Fördermitteln, wenn auch für kleinere Wohnsiedlungen Einladungen zur Wettbewerbsteilnahme ausgesprochen wurden. Das, was dadurch entstehen konnte, macht damalige Tendenzen gesellschaftlicher Veränderungen sichtbar. Verkrustete, erstarrte Strukturen wurden verabschiedet und neue, auch alternative Formen des Wohnens konnten gebaut und erprobt werden. Heiner Hierzegger schreibt im Katalog zum Wohnbau in der Steiermark 1980-86 zum Geleit: „Auf die Zukunft gerichtet kann sie (Anmerk.: Architektur) nicht Nachahmung, nicht Wiederholung traditioneller Formen sein. Ihre Kontinuität und Tradition zeigt sich im Qualitätsanspruch an das zu Bauende, im Mut, ausgetretene Wege zu verlassen und unkonventionelle Lösungen anzubieten.“

Vieles, was damals entstehen konnte, fiel unter „Experimenteller Wohnbau“, wenn auch der Begriff vermutlich nicht im Amt geprägt worden war, sondern eher in den Redaktionen der internationalen Fachzeitschriften, die das Potenzial der ArchitektInnen aus der Steiermark längst erkannt hatten und kontinuierlich über das Neueste aus Graz berichteten. Die steirische Architektur wurde zum vielbesuchten und bestaunten „Outstanding“, einem Sonderfall in Europa, der Beachtung verdiente. Sie glauben, ich übertreibe? Mitnichten. Ein Blick in mein Archiv zeigt mir, dass ich von 1995 bis 1998 für das HDA mehrere Dutzend Gruppen von Interessierten aus Berlin, Ljubljana, Uppsala bis Zürich durch Graz und die Steiermark führte, um Zeitgenössische Architektur aus Graz zu zeigen. Graz, im südöstlichsten Eck des westlichen Europa gelegen, nahm eine singuläre Stellung ein, die Universitäten wie Wohnungsgesellschaften gleichermaßen neugierig machte.

1996 verlor die ÖVP ihre absolute Macht und Zuständigkeiten wurden nach Mandaten neu vergeben. Der neue Landesrat für den Wohnungsbau, Architekt Michael Schmid (FPÖ) verkündete, dass die Zeit für Experimente im Wohnbau zu Ende sei. Was er nicht begriffen hatte, war, dass jedes Suchen nach dem Besseren, jedes Sich auf unsicherem Terrain bewegen naturgemäß auch Fehler und Scheitern impliziert. Das C’est fini hatte weitreichende Folgen: Vereinbarungen mit Wohnbaugenossenschaften wurden zurückgenommen, offene Wettbewerbe verschwanden und der Wohnungsbau in der Steiermark versank in Bedeutungslosigkeit. In den Publikationen und Zeitschriften der nachfolgenden Jahre lässt sich dies gut ablesen – Graz kam kaum mehr vor.

Wäre nicht der mehrgeschoßige Holzbau gefolgt. Erste Aufmerksamkeit errang dieser im Bayrischen Programm(!) für Migrantenunterkünfte (nach dem Krieg in Jugoslawien) durch Wettbewerbserfolge von Hubert Rieß. Mehrgeschoßiger Wohnungsbau in Holz, bestenfalls mit Brettsperrholz, das in der Steiermark miterfunden wurde, hieß fortan die Devise, mit der man in der Steiermark neben den Vorarlberger Pionieren eines neuen Holzbaus, die im Ländle den Geschoßbau nicht forcierten, reüssieren wollte. Auch der Titel Kulturhauptstadt Graz 2003 verhalf der Architektur in und aus Graz zu neuer Bekanntheit und internationalem Interesse.

Wolfdieter Dreibholz sah 1998, nach demontierenden Änderungen durch die Politik, keine Möglichkeit mehr, seinen Weg weiterzugehen und verließ das Amt – und zwei Jahre später auch die Stadt. Die Rückendeckung der Politik war verloren. Was ihn als starke Persönlichkeit in seinem Amt auszeichnete, gab es seither nie mehr in solch gebündelter Form: Verantwortung zu übernehmen, der unbedingte Wille, etwas beizutragen zur Entwicklung des Landes. Mut zu zeitgemäßer Veränderung, auch zu unbeliebten Reformen und selbst zum Anecken. Mut zum Experiment – im Wohnbau zur Mitbestimmung und zur Entwicklung von Räumen/Freiräumen, die Rückzug zugleich mit gesellschaftlicher Teilhabe ermöglichen.

Falls Sie, werter Leser, werte Leserin, meinen, dass heute andere Prämissen zählen, so möchte ich Ihnen Band 17 der Zeitschrift politikum ans Herz legen. Zum Heftthema Umwelt schrieb Dreibholz damals, im November 1983, über Ressourcenverbrauch und – verschwendung in einer Form, die mir aufzeigt, dass es noch etwas braucht, um die Zukunft mitgestalten zu können. Weitblick – der Blick über mannigfache, auch selbst auferlegte Grenzen.

Geschätzter Wolfdieter Dreibholz, Ihnen sei gedankt für Ihr Engagement, das heute fehlt – für Ihre Verdienste um die Architektur aus Graz und Ihren Beitrag zum Ruf, den Graz als Architekturstadt immer noch hat. Ich rechne damit, in der Steiermark-Ausstellung Wie es war auf Sie zu treffen. Jedenfalls entbietet GAT Ihnen die besten Wünsche für Ihr neues Lebensjahr, das Sie, wenn ich nicht irre, aktiv mit Weitblick verbringen werden. Ad muchos anos!

Sepp Szedonja

Danke für den tollen Kommentar (wie immer, aber nun besonders auch und auch die Zusammenfassung für die jüngeren Kollegen)- ohne Dreibholz würde es in der Steiermark wohl ganz anders ausschauen

Di. 04/05/2021 2:42 Permalink
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