25/02/2015

Elisabeth Gaus-Hegner ist Dozentin für Kunst und Design an der Pädagogischen Hochschule in Zürich. Außerdem leitet sie die Gestaltungsschule Kunst, Design und Architektur in Kloten, die jeweils samstags mit Kindern und Jugendlichen gestalterische Projekte ausarbeitet. Ihre wissenschaftlichen Arbeiten behandeln die Entwicklung der Raumvorstellung im dreidimensionalen Gestalten bei vier- bis achtjährigen Kindern

25/02/2015

Kinder sind sehr interessiert an den Bauten anderer Kinder und geben sich gerne gegenseitig Anregungen. Das Sprechen über die Arbeiten regt ihre Vorstellungsfähigkeit an und macht Sachverhalte bewusst. Vier- bis achtjährige Kinder können jedoch auch schon komplexe Objekte bauen, wenn sie diese verbal noch nicht beschreiben können.

©: Elisabeth Gaus-Hegner

Elisabeth Gaus-Hegner vor dem Hegnerhof, Kloten

©: Elisabeth Gaus-Hegner

Das fertige "Haus" der sechsjährigen Leonie ist in seiner Form- und Farbgebung bereits ausdifferenziert.

©: Elisabeth Gaus-Hegner

Leonies "Haus"

©: Elisabeth Gaus-Hegner

Beim Bauen wird auch geforscht und experimentiert.

©: Elisabeth Gaus-Hegner

Dabei hat die Wahl des Materials entsprechend den technischen und formalen Möglichkeiten einen hohen Einfluss auf Prozess und Resultat.

©: Elisabeth Gaus-Hegner
©: Elisabeth Gaus-Hegner

Das "Haus" des sechsjährigen Jaime

©: Elisabeth Gaus-Hegner
©: Elisabeth Gaus-Hegner

Elisabeth Gaus-Hegner ist Dozentin für Kunst und Design an der Pädagogischen Hochschule in Zürich. Außerdem leitet sie die Gestaltungsschule Kunst, Design und Architektur in Kloten, die jeweils samstags mit Kindern und Jugendlichen gestalterische Projekte ausarbeitet. Ihre wissenschaftlichen Arbeiten behandeln die Entwicklung der Raumvorstellung im dreidimensionalen Gestalten bei vier- bis achtjährigen Kindern (1). Eine erste Studie befasste sich mit Kindergartenkindern, die mit Holz, Ton oder Papier Häuser gestalten durften. Die zweite Studie bezog Kinder der 1. Primarstufe mit ein.
Die Forschungsfragen bezogen sich auf die Bedeutung des räumlich- plastischen Handelns für die Vorstellungsbildung: Inwiefern setzen Material und Formgebung bestimmte Intentionen frei? Welche Lernschritte werden in Gestaltungsprozessen und in Gesprächen mit den Kindern über ihre Arbeiten deutlich? Wie divergent sind die Vorgehensweisen? Was sind die Konsequenzen für die Arbeit mit jungen Kindern?

Frau Gaus, was für Erkenntnisse konnten Sie aus der Studie gewinnen?

Ich habe zwei Studien gemacht, eine Vorstudie mit 72 Kindergartenkindern, mit verblüffenden Erkenntnissen, und danach eine Forschungsstudie mit 130 Kindern, die zwischen vier und acht Jahre alt waren. Ich wollte bewusst jüngere Kinder ins Zentrum meiner Arbeit stellen. Die zweite Studie beschränkte sich auf die Analyse der reflexiven Aussagen von Kindern zu ihren eigenen Bauten. Dabei zeigte sich deutlich, welche vorstellungsbildende Wirkung die Auseinandersetzung mit Raum und das konkrete Bauen mit Material hat. 
Aus meiner Erfahrung muss das Verständnis von Raum – egal in welchem Alter – erst zu Bewusstsein gebracht werden. Raumvorstellung ist eine Fähigkeit und auf Training angewiesen. Es gibt ein Experiment, das ich mit Kindern und Jugendlichen, später auch mit Studierenden gemacht habe. Wir haben uns auf den Pausenplatz gestellt und ich fragte sie „In welcher Richtung liegt euer Zuhause?“ Manche wissen es, andere haben keine Ahnung davon.

Wie war ihre Forschungsstudie aufgebaut?

Bei den qualitativen Studien ging es darum, die Kinder in einem didaktisch vorgegebenen Unterrichtssetting mit offener Aufgabenstellung zu beobachten. Wir haben diese Studie mit Videografie, Teilnehmender Beobachtung, Interviews und Fotografien der gebauten Objekte dokumentiert. Wesentlich war, wie die Kinder ihr eigenes Handeln sehen, wie sie darüber sprechen. Bei den Studien wollte ich erfahren, wie die Kinder von der Fläche in den Raum gehen. Wenn sie selbst konstruieren dürfen, was ist ablesbar? 
Das Bauen mit Material folgte jeweils einem vorgegebenen Setting. Nach einer vorausgehenden Experimentierphase zur Erprobung von Materialien und Techniken und dem Erzählen einer einführenden Geschichte starteten die Kinder mit Bauen. Da die Vorstudie aufzeigte, dass bereits die Form des Grundrisses die Bauten beeinflusst, konnten die Kinder in der zweiten Studie zwischen einer ovalen, rechteckigen oder sechseckigen Form auswählen. 
In der Startphase des Bauens mit dem Material (Holz bzw. Foamcore) gab es einen Haufen von gleich vielen gleichen wie ungleichen Teilen. Die Kinder konnten sich also eigentlich Bauteile mit Parallelen raussuchen. So konnten wir zum Beispiel beobachten, welche Kinder bereits beim Aussuchen des Materials schauen, welche Teile parallel sind, weil sie wissen, dass sie dann einfacher bauen können. Jüngere Kinder haben darauf weniger geschaut, aber es gab auch Vierjährige, die gezielt Parallelen ausgesucht haben, und Erstklässler, denen das nicht wichtig war.
Ein Tag nach dem Bauen, in einer separaten Reflexionsrunde, stellten wir ihnen drei Fragen, nämlich „Wie heißt dein Haus?“, „Was hast du gemacht?“ und „Was würdest du bauen, wenn du noch weiter machen könntest?“ Durch die Antworten konnte man erkennen, auf welcher Ebene das Kind seine Ideen umgesetzt hat und erfahren, wie weit es in seiner Vorstellung planen kann.

Was waren die Ergebnisse dieser Studie?

Kinder werden in ihrem eigenen Gestaltungsvermögen unterschätzt. Sie schaffen es bereits im Vorschulalter, komplexe dreidimensionale Objekte zu schaffen, auch wenn sie diese im Voraus weder zeichnerisch erfassen noch verbal benennen können. Frappant war etwa auch der Unterschied zwischen Mädchen und Knaben. Das Niveau ist insgesamt etwa gleich gut. Knaben arbeiten eher skulpturaler, stellen das gebaute Äußere dar, die Mädchen arbeiteten genauer, farbiger und haben teils schon von Beginn an das soziale Zusammenleben in den Räumen bedacht. Mit fortschreitendem Alter nehmen plastisch-räumliche Differenziertheit und Detaillierungsgrad zu.
Deutlich wurde auch der hohe Einfluss von Materialien, unterschiedlichen Formen und den technischen Möglichkeiten. Sie sind bestimmend für das Vorgehen, lösen Richtungsänderungen aus und inspirieren zu neuen Ideen. Auch das Erleben und Erinnern – hörbar im verbalen Austausch der Kinder über ihre Arbeit – lenkt das Bauen. Das Hantieren mit Material generiert Vorstellungsbilder und setzt oft auch einen sprachlichen Fluss in Gang. 

Wie fließen Ihre Erkenntnisse in Ihre Arbeit an der Pädagogischen Hochschule ein?

Ich bin Bereichsleiterin von Kunst und Design für die Eingangsstufe. Als weitere Eingangsbereiche gibt es bei uns Mathematik, Mensch und Umwelt, Musik und Performance, Bewegung und Sport sowie Sprachen. In der Eingangsstufe verstehen wir uns als Team und arbeiten vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Bildungsverständnisses. Heute ist es klar, dass es – als Beispiel – für das Erleben des Kreises, für das Mathematikverständnis, auch wichtig ist, Purzelbäume zu lernen.  Das „Erleben“ und Bewusstmachen von Mathematik in einer sinnlichen Erfahrung ist überall möglich. Es gibt Bestrebungen von offenen Lernformen, die interdisziplinäre Projekte zulassen und auch das Raumverständnis mehr einbeziehen. Das fächerübergreifende Arbeiten an einem „Projekt“, ermöglicht verschiedenste Zugänge.

Wie stehen Sie zur Partizipation beim Bauen mit Kindern?

Mit Partizipation und Teilnahme spüren Kinder, dass sie ernstgenommen werden. Dabei entwickeln Kinder ein Interesse an einem Sachverhalt, stellen sich dadurch auch eigenen Herausforderungen und nehmen Verantwortung wahr. Letztlich führt Partizipation auch zur Selbständigkeit als mündige Bürger, die Entscheidungen treffen können. Kinder sollen die Fähigkeit entwickeln ihre eigene, differenzierte Meinung zu einem Thema haben. Das kann man mit Partizipation und Teilnahme lernen. 
Es wundert mich, weshalb Themen der Baukultur nicht präsenter in der Schule verankert sind, denn Bauen hat direkt mit der Lebenswelt der Kinder zu tun. Bauen fasziniert sie und lässt unendlich viele Möglichkeiten partizipativen Handelns zu. 



(1) Gaus, E.: Architektur von Vorschulkindern. Entwicklung der Raumvorstellung im dreidimensionalen Gestalten, Schlussbericht (inkl. DVD). PH Zürich 2004; diese Studie bezog sich auf 72 Kinder im Kindergartenaltern.
Im Projektstatus: „Entwicklung der Raumvorstellung in dreidimensionalen funktionalen Gestalten bei vier- bis achtjährigen Kindern“ (2005-2008); hier wurde mit 130 Kindern gearbeitet.

Quellenangaben zum Text:
Interview mit Elisabeth Gaus-Hegner vom 17.08.2013, Hegnerhof, Kloten mit Katharina Wyss
_ Artikel von Elisabeth Gaus-Hegner (mit freundlicher Unterstützung von ihr zur Verfügung gestellt): “Wie bauen junge Kinder und was stellen sie sich dabei vor? Zur Entwicklung der Raumvorstellung im räumlich-plastischen Gestalten von Kindergartenkindern“. Dieser Beitrag wurde in den Werkspuren publiziert (2/2005 Nr. 98. Zug: Balmer)
Plakat von Elisabeth Gaus-Hegner: „Vorstellungsbildung und plastisch-räumliches Handeln. Zur Entwicklung der Raumvorstellung im dreidimensionalen funktionalen Gestalten bei vier- bis achtjährigen Kindern“

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