22/10/2014

Von 3.-12. Oktober 2014 fand zum fünften Mal das urbanize! Festival in Wien statt. Im Mittelpunkt standen vielfältige Annäherungen an das Thema Sicherheit, wobei ein thematischer Bogen von der Frage nach Sicherheitsbedürfnissen über Kontrollmechanismen bis hin zu solidarischen Gesellschaftskonzepten gespannt wurde.

22/10/2014

urbanize! Festival 2014 – das mobile Stadtlabor am Karlsplatz diente als Festivalzentrale

©: Johannes Hloch

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©: Art Direction: Atelier Liska Wesle

„Ich will nicht betteln, aber dürfen muss ich“ – Gespräche im kleinen Kreis im mobilen Stadtlabor

©: Johannes Hloch

Einblicke: Miss Baltazar's Laboratory im Rahmen der „Stadtexpedition Bildung“

©: Johannes Hloch

Filmstill „Moja Ulica / Meine Straße“

©: Marcin Latałło

Diskussionsrunde im AZW: „Building Solidarity“

©: Johannes Hloch

Die diesjährige Ausgabe des vom Verein dérive veranstalteten urbanize! Festivals in Wien widmete sich unter dem Motto Safe City zehn Tage lang dem Thema Sicherheit im urbanen Raum.

Der Sicherheitsbegriff im Wandel
Ausgehend von einem Bedeutungswandel des städtischen Sicherheitsbegriffs – von der Perspektive sozialer Sicherheit (Sicherstellung grundlegender Bedürfnisse wie Wohnraum, Zugang zu Ressourcen etc.) hin zu einem Sicherheitsdiskurs, der von Fragen zu Kontrolle und Überwachung geprägt ist – wurden im Rahmen des Festivals unterschiedliche Begriffsinterpretationen berücksichtigt, untersucht und infrage gestellt.
Inwieweit schreiben sich Machtstrukturen in den Stadtraum ein und äußern sich z.B. in Form verstärkter Kontrollmechanismen und -techniken, anhand der Verdrängung „unerwünschter“ Personen aus dem innerstädtischen Stadtbild oder mittels repressiver, sicherheitspolitischer Operationen? Welchen, durch mediale und politische Debatten konstruierten Sicherheitsbedürfnissen werden diese Maßnahmen gerecht? Inwiefern kann wiederum emanzipierte Teilhabe an unterschiedlichen städtischen Prozessen Einfluss auf die Gestaltung des Stadtraumes abseits wirtschaftspolitischer Interessen nehmen? Welche kooperativen, solidarischen Initiativen formieren sich – zumeist in gesellschaftlichen Nischen – und fördern durch konkrete, selbstbestimmte Praktiken soziale Sicherheit und souveräne Handlungsformen?
Das Festivalprogramm spannte einen Bogen im Kontext dieser Fragestellungen und einer breit gefächerten Auseinandersetzung in Form von Workshops, Vorträgen, Stadtspaziergängen, Filmscreenings, Performances etc. Das mobile Stadtlabor – eine, von Studierenden errichtete, verschachtelte Containerarchitektur und Teil des future.lab an der Fakultät für Architektur und Raumplanung der TU Wien – diente als Festivalzentrale und wandelbare Infrastruktur am Karlsplatz. Der Knotenpunkt des Festivals befand sich somit auch an einem Ort, auf den sich in der Vergangenheit die Sicherheitsdiskurse konzentriert hatten und an dem die Kriminalisierung und Verdrängung marginalisierter Personengruppen durch die Errichtung einer Schutzzone zur Realität geworden war.

Zwischen Sicherheitsanspruch und Verdrängung
Auf Verdrängungspraktiken wurde auch im Rahmen der Veranstaltung Ich will nicht betteln, aber dürfen muss ich der Bettellobby Wien eingegangen. Im Gegensatz zu populistischen und hetzerischen Debatten, die bettelnde Menschen als „kriminelle Bedrohung“ thematisieren und in einigen österreichischen Städten in Bettelverboten gipfelten, wurde die Aufmerksamkeit hier auf das oftmals ausgeblendete Sicherheitsbedürfnis von Bettlern und Bettlerinnen selbst gelenkt. Welchen Repressionen bettelnde Menschen im öffentlichen Raum tagtäglich ausgesetzt sind diskutierten die Teilnehmenden nach einem performativen Workshop anhand von Erfahrungsberichten, zudem wurde auf rechtliche Grundlagen und die Möglichkeit einer Rechtshilfe für betroffene Menschen eingegangen. Im Anschluss kamen im kleineren Kreis Betroffene selbst zu Wort – in respektvollen Gesprächen konnten persönliche Erfahrungen, Lebens- und Alltagsgeschichten im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Abhängigkeit vermittelt werden.

Zwischenräume der Wissensvermittlung
In Form von Stadtexpeditionen eröffneten Anna Kokalanova und Gerhard Rauscher einen Blick auf unterschiedliche Projekte in Wien, die sich dem Tausch von Ressourcen bzw. der Wissensvermittlung abseits etablierter Institutionen widmen. Die Teilnehmenden konnten Fragen stellen und erforschen, inwieweit die Projekte alternative Möglichkeiten bieten offene Zugänge zu Wissen und Ressourcen zu schaffen und soziale Stadträume zu generieren. Kann das in jenen Räumen erlangte und ausgetauschte Wissen in weiterer Folge – auch Personen, die aus unterschiedlichen Gründen von gewissen gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen sind – als Basis und Absicherung eines selbstbestimmten Lebens dienen? Im Rahmen der Stadtexpedition #2: Bildung. Vom Wissen, Teilen und Weitergeben wurden ein selbstverwalteter, nicht gewinnorientierter Druckraum, ein queer-feministischer Hackerspace und das Projekt PROSA – Projekt Schule für Alle! – eine Initiative, die jungen AsylwerberInnen den Zugang zu Bildung ermöglicht – besucht. Einerseits verdeutlichten sich die unterschiedlichen Motive, Zielgruppen und Finanzierungsmodelle wie z.B. die Annahme oder bewusste Ablehnung von Förderungen, Finanzierung durch private Spenden oder regelmäßige Einnahmen durch Veranstaltungen etc. Andererseits wurden auch die prekären Verhältnisse aufgezeigt, mit denen derartige Projekte selbst zu kämpfen haben und die sich in Abhängigkeiten, Ressourcenmangel, finanziellen und rechtlichen Hürden etc. widerspiegeln.

Skizze einer prekären Lebenssituation
Der Dokumentarfilm Moja Ulica / Meine Straße (2012) wurde im Stadtkino in Kooperation mit dem Polnischen Institut Wien gezeigt. Der Filmemacher Marcin Latałło begleitet eine Familie fünf Jahre lang in der vormals bedeutenden Textilindustriestadt Łódź. Die leerstehende Textilfabrik – früher Arbeits-und Lebensmittelpunkt sowie fortwährendes Identifikationsobjekt – wird im Laufe des Films zu einem Konsumtempel umgebaut. Der Vorfilm Z miasta Łodzi (Aus der Stadt Łódź) von Krzysztof Kieślowski portraitiert Arbeiter_innen exakt jener Fabrik im Jahr 1968 und gibt einen Einblick in Arbeitswelten im sozialistischen Polen.
Moja Ulica / Meine Straße skizziert einen Schauplatz städtischen Wandels und die Konsequenzen für die hier lebenden Menschen. Das Leben der Familie, die seit Generationen die Arbeitersiedlung gegenüber der Fabrik bewohnt, ist heute geprägt von Unsicherheiten: Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, prekäre Wohnsituation und Zukunftsängste. Das Einkaufszentrum – in die Mauern der ehemaligen Textilfabrik eingeschrieben – wird zur Projektion von Wünschen und Sehnsüchten und konfrontiert die sozial benachteiligten BewohnerInnen tagtäglich mit einer scheinbar erstrebenswerten Konsumwelt, deren Zugang ihnen jedoch verwehrt bleibt.

Solidarische Wohnkonzepte
Im Architekturzentrum Wien wurden unter dem Titel Building Solidarity. Solidarisch bauen, solidarisch Wohnen Projekte aus Wien, Turin und Belgrad vorgestellt und diskutiert. Die vielfältigen Ansätze gehen der Frage nach, wie in partizipativen Prozessen günstiger Wohnraum mit sozialem Anspruch geschaffen werden kann.
Neben dem Wohnprojekt Wien (einszueins.architektur), das am Nordbahnhofgelände in gemeinsamer Planung mit den BewohnerInnen mit der Vision eines nachhaltigen und solidarischen Zusammenlebens entstand, wurde mit dem VinziRast-mittendrin (gaupenraup +/-) ein weiteres Wohnbauprojekt in Wien präsentiert: In einem umgebauten Biedermeierhaus im neunten Bezirk wohnen ehemals obdachlose Menschen gemeinsam mit Studierenden in Wohngemeinschaften.
In Turin entstand das von Familien und Studierenden bewohnte soziale Wohnprojekt Buena Vista Social Housing des Social Club (eine Vereinigung sozialer Initiativen) als Nachnutzung von leerstehenden Gebäuden des Olympiadorfes. In Reaktion auf Immobilienspekulationen, Privatisierungen und intransparente Planungsentscheidungen wurde in Belgrad die Plattform Ko Gradi Grad (Who Builds The City?) gegründet, um alternative und partizipative Methoden der Stadtplanung zu erforschen. Teil des Projekts Pametnija zgrada (Smarter Building Belgrad) war es Arbeitsgruppen einzurichten, die sich auf das Thema Wohnbau fokussieren und zukünftig einen Prototyp kollektiven Wohnens in Belgrad realisieren wollen.
In der anschließenden Diskussion wurde unter anderem die Frage reflektiert, ob die besprochenen Projekte als Ergänzung oder Alternative zu bestehenden Modellen zu werten sind und welche Antworten sie auf essentielle Fragen liefern.

Die vorgestellten Veranstaltungen bieten einen Einblick in das vielfältige Programm des urbanize! Festivals. Die (aktuelle) dérive-Ausgabe No. 57 Safe City kann als ergänzende Zeitschrift zum Festival betrachtet werden.

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