17/08/2020

Über den Golfplatz durchs Gestrüpp

GRAZRAND – eine wissenschaftlich-künstlerische Expedition führt die 60 Kilometer lange Bezirksgrenze von Graz entlang.

In Form einer Stadtumrundung rückt die Peripherie in den Fokus. Eine Woche lang untersuchte ein interdisziplinäres Team die Randlinie der Stadt und erkundete, wie die Stadt Graz an ihren Rändern aussieht, welche unterschiedlichen Räume und Landschaften von der Stadtgrenze durchschnitten werden, wo der urbane Raum mit seinem Umland verschwimmt und wie man schließlich die Stadt von ihren Rändern aus denken kann.

Durchführung
Adina F. Camhy, Coline Robin (Architektinnen)
Robin Klengel, Markus Waitschacher (Kulturanthropologen)

Projektträger
Graz Kulturjahr 2020
Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark – KIÖR

Bericht von Bettina Landl

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17/08/2020

Das KünstlerInnenkollektiv erkundet die Ränder der Stadt Graz. Sie gehen über den Golfplatz in den Murauen ...

©: Adina Felicitas Camhy

... entlang eines Maisfeldes in Raaba ...

©: Adina Felicitas Camhy

... unter der Autobahnbrücke Graz-Nord ...

©: Adina Felicitas Camhy

... über eine Wiese mit Schöckelblick ...

©: Adina Felicitas Camhy

... finden am Schaftalberg einen Platz zum Übernachten ...

©: Adina Felicitas Camhy

Weil die Peripherie und im Speziellen die Grenze immer ein wichtiger Ort ist, an dem sich Stadt ausverhandelt, ausbreitet und wächst – sich entscheidet, was erschlossen wird und was nicht – hat sich das KünstlerInnen-Kollektiv, bestehend aus den Architektinnen Adina F. Camhy und Coline Robin und den Kulturanthropologen Robin Klengel und Markus Waitschacher, diesem Phänomen angenommen und untersucht es in mehreren Etappen hinsichtlich folgender Fragen: Wie sieht die Stadt Graz an ihren Rändern aus? Welche unterschiedlichen Räume und Landschaften werden von der Stadtgrenze durchschnitten? Wo verschwimmt der urbane Raum mit seinem Umland? Wie kann man die Stadt von ihren Rändern aus denken?
Ihr Projekt trägt den Titel GRAZRAND und wird im Rahmen von Graz Kulturjahr 2020 in Kooperation mit dem Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark – KIÖR, dem HDA und GAT bis Mitte 2021 realisiert. In Form einer Stadtumrundung nahmen sie auf ihrer siebentägigen wissenschaftlich-künstlerischen Expedition die Randlinie der Stadt unter die Lupe und wanderten, ausgerüstet mit einem mobilen Kocher sowie Suppen, Nüssen, Datteln und Kaffee – Dank eines Teamtrikots inkl. passender Kopfbedeckung auch „höchst offiziell“ –, die mehr als 60 Kilometer lange Gemeindegrenze entlang: vorbei an Industriegebieten, Wohnsiedlungen, Einfamilienhäusern, Äckern und Autobahnauffahrten, über Hügel und Gewässer und durch Wälder. Auf dieser Reise sammelten sie eine Vielzahl an Fundgegenständen, Field Recordings, Zeichnungen, Texte und Gesprächsprotokolle.

Graz – eine andere Stadt
„Interessant war, dass die Stadt aus dieser Perspektive irgendwie fremd erscheint“, erzählt Adina F. Camhy. „Auch wenn man sie bereits kennt, erhält man Blicke auf die Stadt, die man noch nie zuvor hatte und wundert sich durchaus, dass das Graz sein soll, das hier vor einem liegt. Es ist immer wieder 'eine andere Stadt'. Manchmal erkennt man etwas wieder und irgendwie gleicht es einem Puzzle.“ „ – mir war hingegen nicht klar, was die Stadtgrenze alles umfasst. Beispielsweise ist der gesamte Plabutsch Teil der Stadt, wohingegen die Kirche Mariatrost sich weiter als gedacht von der Stadtgrenze entfernt befindet.“, ergänzt Robin Klengel und verweist darauf, dass sie knapp zwei Drittel des Weges im Wald unterwegs waren. Dabei hätte sich auch die Vegetation immer wieder stark verändert. „Teilweise war es so heiß und feucht, dass wir den Eindruck hatten, uns irgendwo am Mittelmeer zu befinden.“, fügt Coline Robin hinzu.
„Der Raum ist natürlich insofern spannend, dass er sich sehr divers zeigt – sowohl was die Nutzung als auch die Atmosphäre, den Charakter der Landschaft oder die Menschen betrifft“, schildert Klengel. So trafen sie etwa auf unterschiedliche ökonomische Realitäten, die (sich verkleinernde) landwirtschaftliche Nutzung und strukturelle Schwierigkeiten, in denen sich Gasthäuser in diesen Gegenden aktuell befinden. „Einige Menschen erzählten, dass man ‚früher‘ von der Landwirtschaft leben konnte, mittlerweile jedoch auch andere Berufe ausüben und oftmals ihre Wiesen verpachten müsse, da ein Überleben auf dieser Grundlage unmöglich geworden ist.“ Lösungsansätze für dieses Problem finden sich z.B. in Form von kooperativ genutzten Landwirtschaften wie im Falle der „Mantscha Müch“ oder der gemeinschaftsgetragenen Bio-Landwirtschaft Jaklhof.

Holundersaft und Kaffee
Im Verlauf ihrer Stadtumrundung traf die Gruppe auf etliche AnrainerInnen und kam mit ihnen ins Gespräch. Auf die Frage, wie sich die Gegend in den letzten Jahren entwickelt und was sich verändert hätte, wurde nicht selten mit einer langen Geschichte und Erzählungen aus der Vergangenheit reagiert. Es wurde geschildert, wie der jeweilige Ort früher ausgesehen hat, dass es oftmals nur einen Feldweg gab und einige Bauernhöfe und dass irgendwann eben – „die vielen Einfamilienhäuser” – gekommen sind, weil der Grund billig war. Dass es viel zu dicht sei und viel zu viel Verkehr gäbe, wurde auch immer wieder erwähnt, wie auch der Umstand, dass man die Nähe zur Stadt sehr schätze. Also entstand im Zuge vieler „Zaungespräche” – der Zaun wurde selbst zu einem Forschungsgegenstand – ein immer klareres Bild des Grazer Randes. Von Seiten eines Anwohners hieß es etwa: „Außerhalb von Graz existieren hauptsächlich Monokulturen, wie große Maisfelder – die Biodiversität ist hier am Rand besonders groß“. Ein anderes immer wiederkehrendes Gesprächsthema waren die Eigentumsverhältnisse, die mitunter häufig anhand der Zäune, die allgegenwärtig sind, sichtbar werden. „Ständig stößt man auf verschiedene Eigentumsmarkierungen. Oft hat man Schwierigkeiten weiterzukommen und Gebiete zu durchqueren. Es haben uns auch Leute ihres Grundstücks verwiesen. Andere haben uns eingeladen – das war sehr oft der Fall! Dann bekamen wir beispielsweise Holundersaft oder Kaffee angeboten“, betont Camhy die erlebte Gastfreundschaft. „Es gab viele Begegnungen, wo dieser Gartenzaun dazwischen stand – aber das macht(e) gleichzeitig auch so vieles möglich.“
In Zusammenhang mit diesen Entwicklungen spielt Raumplanung eine zentrale Rolle. Vieles an der Peripherie ist Landschaftsschutzgebiet, das in den hügeligen Gegenden und in den Bereichen der Murauen „eingerichtet“ wurde, wohingegen z.B. das Flachland im Süden sich stark bebaut zeigt, Flächen umgewidmet und Konzepte wie beispielsweise der Technopark Raaba realisiert wurden, wodurch riesige Bürogebäude und Gewerbegebiete entstanden.
„Das Landschaftsschutzgebiet Murauen Graz-Werndorf war eine Entdeckung“, berichtet Markus Waitschacher. „Über den Golfplatz durchs Gestrüpp erreichten wir das Naherholungsgebiet Altarm Thondorf/Auwiesen. Es waren unzählige Menschen vor Ort. Es wurden gefühlt hundert Sprachen gesprochen – es war einfach voller Leben, viele Kinder und überall wurde gegrillt. Und wir haben uns davor noch durch die Brennesselgebüsche gekämpft.“

Linienführung oder: Die Grenze als definierendes Medium
„Diese Tour kann man nicht ‚einfach gehen‘, bedenkt man all die Zäune, Privatwege, Pferdekoppeln, steile Abhänge, Dornen etc.“, erklärt Camhy. „Wir haben uns an OpenStreetMap wie auch den Grenzsteinen orientiert.“ Diese hätten auch immer wieder „für ein ‚kleines Erfolgserlebnis‘ gesorgt, weil wir dann wussten, dass wir richtig sind“, fügt Robin hinzu. „Es ging uns aber weniger um die Linie, sondern vielmehr um die Grenze als Raum“, betont sie den spannenden Querschnitt durch die Peripherie der Stadt.
Was nun mit dem gesammelten Material passiert? „Uns war es wichtig, recht offen und mit unterschiedlichen Methoden an die Sache heranzugehen, verschiedene Dinge zu sammeln und zu dokumentieren, wie der Stadtrand aussieht, wie er funktioniert und was man dort findet“, beschreibt Klengel den nächsten Schritt ihrer Arbeit am GRAZRAND.
„Unser Forschungsgegenstand hat sich uns erst im Zuge des Gehens erschlossen“, fügt Waitschacher hinzu. „– indem man in verschiedene Gebiete eindringt, sich diesem Prozess aussetzt und abhängig ist davon, dass man durchgelassen wird, übernachten oder campieren darf; das provozierte natürlich auch Begegnungen und Reaktionen, die ganz unterschiedlich ausfielen. Wir haben jetzt einen großen Berg an Eindrücken, Gesprächen, Fundgegenständen etc. gesammelt und sind gerade am Überlegen, wie wir all das verarbeiten. Eine Publikation mit verschiedenen Beiträgen ist geplant und in einer entsprechenden Form soll das Ergebnis voraussichtlich als Tableau mit Objekten auch entlang der Grenze präsentiert werden“, so Klengel. „Es geht darum, sich diesen Rand anzuschauen und damit einen wenig beachteten Teil der Stadt in den Fokus zu rücken, über den sich diese aber eigentlich definiert. Stadtforschung klammert oftmals gerade diesen peripheren Teil aus – gerade dort entwickelt sich jedoch unglaublich viel.“

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