21/09/2008
21/09/2008

Ankommen

An der Schwelle

Wohin?

Symbiose

Verträumt

Märchenhaft

Inspiriert

Auf Wiedersehen. Fotos: Ruth Scheuer

ORTE DER INSPIRATION (2)

Der Geist des Hauses Feuerlöscher

Die Anreise Richtung Deutschfeistritz, von dort durchs Übelbachtal nach Prenning ist wie eine Fahrt in eine beinahe vergessene Zeit. Man ahnt Leben hinter den spärlichen Mauern, sieht aber wenig davon. Dafür sind die Felder reich bepflanzt, die Landschaft ist in üppige Grün-, Gelb- und Lilatöne getaucht und die sanften Kurven der Landstraße deuten eine wohlwollende Einladung an.

Ankommen in der Kulturpension Feuerlöscher. Noble Ruhe auch dort. Kein Mensch weit und breit. Und doch erzählt die harmonische Architektur des Landhauses schon eine lebendige Geschichte. Ist es das, was jetzt, wo wir davor stehen, in der Luft liegt? Der Geist der Geschwister Feuerlöscher und ihrer illustren Künstlerfreunde? Noch ist von geselligem Treiben, fröhlichen Festen, kreativem Austausch, aber auch von den Dramen, die sich hier abgespielt haben sollen, nicht viel zu spüren. Noch nicht.

Lautlos ist dieses Haus aber auch nicht. Es ist eine Art hörbare Stille, die sich wohltuend ausbreitet, wenn wir nur ganz tief hineinlauschen. Der fein angelegte weiße Kies knirscht unter unseren Füßen, während wir uns dem Eingang nähern. Ist da jemand? Vorsichtiges Klopfen an der verglasten Türe, die ihre grünen Außenbalken weit geöffnet hält. Nichts. Plötzlich ist das unverwechselbare Ächzen und Knarren einer Holzstiege zu hören. Für Sekundenbruchteile fühle ich mich zurückversetzt in die Kindheit, erinnere mich an die enge Wendeltreppe im Holzhaus meiner geliebten Großeltern. Jetzt nähern sich die Schritte des Hausherrn Gabriel Hirnthaler. Sein freundlicher Empfang lässt uns recht schnell warm werden, trotz beginnenden Regens. Eigentlich hatten wir ja auf Sonne gehofft. Aber das Innenleben des reizenden Landhauses tröstet uns ganz schnell.

Die Führung des Hausherrn durch die eleganten Räumlichkeiten wird von wiederholten „Ahhhs“ und „Ohhhs“ der Damen begleitet. Der Salon, in dem derzeit die Axel-Leskoschek-Ausstellung zu bewundern ist, öffnet sich zur angrenzenden Terrasse. Ein leichter Windhauch bewegt den transparenten Vorhang, durch den man schemenhaft den Garten sehen kann. Hier – an der Schwelle zwischen Drinnen und Draußen – ist mit ein wenig Phantasie schon einiges vorstellbar: angeregte philosophische Diskurse, Künstler an der Staffelei oder vor dem Skizzenblock oder einfach nur verträumte Nachmittage und Abende. Wer nicht reden mag, für den gibt´s genügend interessanten Lesestoff. Weiter geht´s zur Zimmerbesichtigung. Wer sich bis jetzt nicht sicher war, ob sich eine Nächtigung in diesem verschlafenen Ort lohnt, wird spätestens an dieser Stelle überzeugt sein. Das Apartment und die Zimmer sind vorwiegend mit hellen Holzmöbeln und viel weißem Interieur eingerichtet, liebevoll und behutsam, da stimmt jedes Detail. Zeichnerische Miniaturen, extravagant gerahmt, beleben die Wände auf unaufdringliche Weise. Auch die Bäder sind an Ästhetik kaum zu übertreffen und dem ursprünglichen Stil des Hauses nachempfunden, wobei es nicht an modernem Komfort mangelt. Fernsehen, Internet und ähnliche Quellen der Zerstreuung und des Stresses sind allerdings an diesem Ort der Zeitverzögerung verpönt.

Aber wir wollen ja nicht nur schön wohnen, sondern uns auch inspirieren lassen. Zumindest ist das die Absicht unserer illustren kleinen Damenrunde, die sich abseits vom Alltag künstlerische Impulse holen möchte.

Inzwischen ist die Sonne wieder da und wir haben eine feine Sitzgelegenheit vorm Haus entdeckt. Wieder ist es diese bewegte Stille, die mich berührt. Die regengewaschene Luft ist Balsam für die nach Klarheit dürstende Seele. Ich möchte am liebsten die ganze Natur einatmen, gierig aufsaugen. Die Arme weit geöffnet, um alles hereinzulassen In solchen Momenten – wenn alles stimmig ist, wenn wir uns ganz einlassen können in unsere Umgebung – kann es sein, dass uns die lange ersehnte Muse überrascht. Sobald wir aber krampfhaft darauf warten, ist die Chance wieder vertan.

Weiß der Himmel, woher sonst noch die Ideen kommen. Auf jeden Fall hat es immer auch mit dem richtigen Augenblick zu tun. Den rechten Moment erwischt jedenfalls der Hausherr, als er auf der Bildfläche erscheint – mit einem silbernen Tablett, darauf ein Fläschchen Bordeaux und vier Gläser. Jetzt sind wir richtig angekommen – mit dem hellen Klang der einander zuprostenden Gläser, mit einem befreienden Lachen in einer insgesamt runden Situation, der es auch an humoristischen Aspekten nicht fehlt. Nun fließt es, nein, es sprudelt: Gedanken, Worte, Ideen. Es ist der Beginn eines regen kreativen Austausches.

Mit der Stimmigkeit des Augenblicks kommt also auch die Inspiration – und dieses Zusammenspiel von begünstigenden Faktoren ist auch mit bestimmten Orten verknüpft. Das alles hat aber nicht nur mit äußerer Schönheit, mit der günstigen geografischen Lage oder dem milden Klima zu tun, sondern vor allem mit den Menschen, die dort leben oder gelebt haben. Durch ihre Kraft, Liebe, Leidenschaft, also durchaus auch mit schmerzlichen Opfern verbunden, entwickelt sich etwas, was sich – manchmal sogar über Generationen – lebendig erhalten kann. Dieses Etwas ist das, was wir den Geist eines Hauses, einer Familie, einer Idee oder was auch immer nennen. Der Geist kann aber auch langsam verloren gehen, in Vergessenheit geraten oder gar brutal zerstört werden. Oder er wird, wie im Fall des Landhauses Feuerlöscher durch Herrn Gabriel Hirnthaler, behutsam aus seinem Dornröschenschlaf geweckt und einer neuen Bestimmung übergeben.

Angefangen hat es 1884, als Daniel Baptist Feuerlöscher das Anwesen erwarb, um daraus erst eine florierende Pappefabrik und später durch Erweiterung des Landhauses Wohnsitz und Firmenzentrale zu entwickeln. Ab 1930 übernahmen die Geschwister Feuerlöscher, die Enkel des Unternehmers, das Landhaus, das bald zum Treffpunkt der steirischen Avantgarde avancierte. Bewohner und Gäste pflegten einen außergewöhnlichen Lebensstil, geprägt durch regen künstlerischen und intellektuellen Austausch. Doch düstere Schatten der Nazizeit trübten das Idyll. Der Maler und Grafiker Axel Leskoschek, die Architekten Anna Lülja Braun und Herbert Eichholzer (er wurde 1941 hingerichtet), der Bildhauer Walter Ritter oder der Kulturtheoretiker und Politiker Ernst Fischer und weitere prägende Persönlichkeiten: sie alle waren betroffen, ihre Schicksale miteinander verwoben.

Vieles hat sich seither verändert, Menschen sind gestorben, andere sind ihnen gefolgt, haben neue Wege gesucht. Die Jahrzehnte haben ihre Spuren hinterlassen. Inzwischen fährt die S-Bahn von Graz nach Übelbach und man kann bequem in Prenning, nahe dem Landhaus, aussteigen. Aber all die neuen Umstände und Errungenschaften konnten den ursprünglichen Geist niemals ganz vertreiben. Weltoffenheit, Kreativität und Widerstandsgeist sind wieder eingezogen. Ein deutliches Zeichen hierfür setzt die von Günter Eisenhut begründete Gruppe „Prenninger Gespräche“, die sich hier regelmäßig zu Lesungen, Ausstellungen und Diskussionen trifft.

Individualisten, Künstler, Reisende, Lesende, Lernende, Träumende, Verspielte. Sie alle haben etwas gemeinsam. Sie sind auf der Suche nach Inspiration. Möge der Geist des Hauses – in welcher Gestalt auch immer – dafür sorgen, dass sie finden, was sie suchen.

www.kulturpension.at – GABRIEL HIRNTHALER, 0664/411 36 68
www.remixx.at – GÜNTER EISENHUT, Verein „Prenninger Gespräche“,
Herausgeber v. „Moderne in dunkler Zeit“

RUTH SCHEUER
Lebt in Graz.
Arbeitet als freie Autorin, Lektorin und Bildgestalterin. Initiiert Kreativworkshops.
LIEBT Kunst, Natur und Freiheit, Menschen, die das Staunen nicht verlernt haben, magische Orte, abendliche Spaziergänge, sinnliche Genüsse und noch viel mehr schöne Facetten des Lebens.
KONTAKT: ruth.scheuer@tele2.at

Verfasser/in:
Ruth Scheuer
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16. + 17.11.2023
 
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