26/05/2014

Die Landtagsenquete Baukultur in der Steiermark fand am 15. Mai 2014 im Landhaus Graz statt und beschäftigte sich mit den Themen:

  • Zentren stärken
  • Räume gestalten
  • Kreativität & Nachhaltigkeit einfordern

Eine Landtagsenquete dient der Politik zur Schärfung des Problembewusstseins.

26/05/2014

Sitzungssaal des Landtags Steiermark

©: Martin Grabner

„Die Steiermark hat ein schönes Gesicht, aber es gibt eine immer länger werdende Liste an Sünden, die dieses Antlitz verschandeln“, eröffnete Landtagspräsident Franz Majcen die gut besuchte Enquete zur Baukultur in der Steiermark am 15. Mai und rief dazu auf, die Zusammenlegung von Gemeinden auch für die Entwicklung neuer Strukturen zur Abwicklung der Raumplanung zu nutzen. Landesbaudirektor Andreas Tropper forderte die baldige Beschlussfassung der 2009 initiierten „baupolitischen Leitsätze des Landes Steiermark“ durch den Landtag. Gerald Fuxjäger, Präsident der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Steiermark und Kärnten, legte seinen Schwerpunkt auf Kostenwahrheit im Sinne von Lebenszykluskosten. Impulsredner Tarek Leitner, ZIB-Moderator und Verfasser des Buches „Mut zur Schönheit – Streitschrift gegen die Verschandelung Österreichs“, warnte davor, sich die Schönheit des Landes abkaufen zu lassen.

Menschenrecht Einfamilienhaus?
Bei den Beiträgen von ExpertInnen zu den Themen „Zentren stärken – Räume gestalten – Nachhaltigkeit und Kreativität einfordern“ und den darauf folgenden Diskussionen standen v.a. die zunehmende Zersiedelung des Wohnraums und die Verlagerung von Handel und Gewerbe von den Ortszentren an den Gemeinderand im Mittelpunkt.
Tarek Leitner verglich den Umgang mit der Ressource Raum mit dem mit anderen Gütern der Wegwerfgesellschaft. Periphere Zentren entstehen unter dem Deckmantel angeblicher Wirtschaftlichkeit trotz jahrzehntelangem Wissen um das Sterben der Ortskerne. „Wir bauen uns Orte mit all ihren Funktionen noch einmal auf die grüne Wiese, nur ressourcenverschwenderischer und hässlicher“, so Leitner und spricht von  Transit- und Hybridräumen – weder Stadt noch Land –, die durch die von Einfamilienhäusern im Grünen benötigte Infrastruktur entstehen. „Die Orte veröden und verfallen und damit auch unser kulturelles Erbe“, so Raumplaner Reinhard Seiß.
Die Zersiedelung hat auch soziale Folgen: der Einfamilienhäuserboom geht meist mit fehlendem Gemeinwesen einher. Bereits ein Viertel bis ein Drittel aller Gemeinden hat keine Nahversorger mehr. Ulrike Bölker, seit 2003 Bürgermeisterin von Ottensheim, hat sich gegen die Ansiedlung von Einzelhandel-Großunternehmen im Gemeindegebiet gewehrt. Stattdessen widmet sie sich der Ortskernentwicklung und fördert Projekte, die Gemeinschaft schaffen und Raumordnung verstehbar machen, wie eine Ottensheimer Produktlinie, die Leerstandskonferenz 2011 oder das als Zwischennutzungszentrum zur Verfügung gestellte alten Amtshaus.

Bedarf und Standort
Der Speckgürtel nimmt die wertvollsten Böden in Anspruch. War es früher sinnvoll, dass der Hof inmitten der Felder stand und die Transportwege kurz waren, ist von diesem System heute nichts mehr übrig. „Die öffentliche Hand muss aufhören, Infrastruktur zu bauen, die den Speckgürtel fördert“, forderte Seiß. Und solange der öffentliche Verkehr auf dem Land keine ernstzunehmende Alternative zum Auto sei, dürfe niemand zufrieden sein. Denn, wie Andrea Köppl vom WIFO betonte, Baukultur hat Einfluss auf die Nachfrage von Mobilitätsdienstleistungen und damit auf den Energieverbrauch für Mobilität.
Viel wichtiger als das Ausreizen von Technologien sind für Architekt Hans Gangoly die Fragen: Wo wird ein Gebäude gebaut und wofür? Vitruvs drei Säulen der Architektur, utilitas, firmitas und venustas, werden somit um die Standortfrage ergänzt. „Wenn etwas Baukultur ist, ist es bereits nachhaltig“, meint Gangoly.

Gemeinsam gestalten
Für Josef Mathis, von 1980 bis 2013 Bürgermeister der Gemeinde Zwischenwasser in Vorarlberg, sind „Wo und was bauen?“ ebenfalls die zwei wesentlichen Fragen. Zwischenwasser beschäftigt seit 22 Jahren einen Gestaltungsbeirat, der jegliche Bauvorhaben der Gemeinde auf Verträglichkeit mit dem Ortsbild prüft und als Jury bei Wettbewerben tätig ist. Rund 12.000 Euro kostet der Beirat die Gemeinde pro Jahr – ein überschaubarer Betrag gemessen an seinem Nutzen. Denn, wie Mathis an alle BürgermeisterInnen appellierte: „Wenn du deine Gemeinde nicht gestaltest, tun es andere für dich, z.B. Fertighausfirmen“.
Architekt Roland Gruber wiederum wies auf eine breitere Akzeptanz von Wettbewerbsergebnissen durch Interaktion mit der Bevölkerung im Vorfeld hin. Dies zeigte sich bei Pilotprojekten in den Gemeinden Fließ und Mils, Tirol, als Architekturwettbewerbe mit Bürgerbeteiligungsverfahren verknüpft wurden.

Erarbeitete Aussichten
Am Nachmittag wurden Lösungsvorschläge erarbeitet, die in die politische Debatte im Landtag einfließen sollen. Im Workshop „Zentren stärken“ wurden das Raumordnungsgesetz, das Baugesetz, die Wohnbauförderung und das Grazer Altstadterhaltungsgesetzes auf Hemmnisse der Stadt- und Ortskernentwicklung untersucht. Diskutiert wurde u.a. der Vorschlag einer neuen Flächenwidmungskategorie für Orts- und Stadtzentren.
Im Workshop „Räume gestalten“ wurde die strengere Vollziehung des bestehenden Baugesetzes, aber auch die Einführung von Gestaltungsbeiräten in den Baubezirksleitungen gefordert sowie ein stärkeres Augenmerk auf den Flächenverbrauch, anstatt das Verfahren nur am Objekt an sich auszurichten.
„Kreativität und Nachhaltigkeit einfordern“ war das Thema des dritten Workshops. Thema war die Stärkung der Bauherrenkompetenz bei öffentlichen Aufträgen und mehr Transparenz bei Planung, Bau und Förderungen sowie eine stärkere Orientierung an den Lebenszykluskosten von Gebäuden anstatt wie bisher an den Errichtungskosten. Partizipative Bedarfsplanung würde durch eine verbindliche Verankerung transparenter Ablaufprozesse und einer integralen Planungsstruktur ermöglicht.

Landtagspräsident Majcen versprach, der Informationsveranstaltung Taten folgen zu lassen: „Wir haben heute unser Problembewusstsein geschärft und Lösungsansätze erarbeitet. Diese Ansätze gilt es nun weiterzuentwickeln und auch politisch umzusetzen.“ Es bleibt zu hoffen, dass der Beschluss der baupolitischen Leitsätze durch den Landtag nicht weitere viereinhalb Jahre auf sich warten lässt.

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