26/09/2008
26/09/2008

Totengedenkfeier am 4. November 1940. Foto: Kristan, Tagespost 1940"

Gauleiter Uiberreither spricht vor 25.000 GrazerInnen. Foto: Kristan, Tagespost 1940

Die hölzerne Dach- und Ständerkonstruktion der ehemaligen „Volkskundgebungshalle“, die 1939/40 von einem autoritären, menschenverachtenden System als Provisorium für zehn Jahre errichtet wurde. Foto: W. Reinisch

Zwei Drittel der „Halle 11“ wurden, um einige Meter verschoben, wieder aufgebaut. Sie grenzt nun als Messehalle B unmittelbar an die neu errichtete Messehalle A von Riegler Riewe Architekten an. Foto: Eva Mohringer-Milowiz.

Zwischenlagerung der Holzkonstruktion. Foto: A. Senarclens de Grancy (Stand 1. Oktober 2007)

Zwischenlager. Foto: A. Senarclens de Grancy

Eine mit grauer Sanofil-Folie verklebte Holzverschalung ersetzt die ehemalige Außenhaut. Foto: Eva Mohringer-Milowiz.

Das größte Grazer Baurelikt der NS-Zeit und ihrer Propagandamaschinerie wird am 27. September 2008 als Messehalle B und „Event-Arena“ mit „Biergenuss, Schmankerl-Meile mit mehr als 40 Szenewirten und einem täglichen Show-Programm“ (Homepage der Messe Congress Graz) wiedereröffnet: Gemütliche Oktoberfestatmosphäre unter der hölzernen Dach- und Ständerkonstruktion der ehemaligen „Volkskundgebungshalle“, die 1939/40 von einem autoritären, menschenverachtenden System nach Plänen der Grazer Hochschulprofessoren Karl Hoffmann und Friedrich Zotter sowie K. Demel als Provisorium für zehn Jahre errichtet worden ist. Gegenüber, dort wo sich auf der ehemaligen Trabrennbahn das Aufmarschgelände der Nationalsozialisten befand, wird sich künftig der Vergnügungspark ausbreiten.

Nach anfänglichen Konflikten um den geplanten Abriss des in der Nachkriegszeit in „Halle 11“ umbenannten Baus haben Denkmalpflege, Politik, Messeleitung und Bauforschung ein Sanierungsprojekt durchgezogen, als dessen Resultat nun zwei Drittel der Holzhalle, verschoben um einige Meter, wieder aufgebaut wurden. Eine mit grauer Sanofil-Folie verklebte Holzverschalung ersetzt die ehemalige Außenhaut, wodurch die Halle B mit der unmittelbar angrenzenden neuen Halle A von Riegler Riewe optisch verschmilzt. Abbau, Zwischenlagerung und Wiederaufbau haben Summen in Millionenhöhe verschlungen, allein vom Bund wurden 600.000 Euro beigesteuert.

In der Argumentation um die notwendige Erhaltung wurde der NS-Bau auf die technisch-handwerkliche und baukünstlerische „Meisterleistung“ des Rahmenfachwerks reduziert, eine gesellschaftlich breit angelegte Diskussion um einen adäquaten Umgang mit dem NS-Erbe hingegen vermieden. Dr. Robert Zinkanell, Vorstand der Messe Congress Graz, ist heute stolz auf dieses neue, überdachte Freigelände des Messeareals, das mit seiner „sensationellen“ Dachkonstruktion ein werbewirksames „Unikum“ sei. Die Frage, ob daran gedacht sei, an die ursprüngliche Funktion zu erinnern, verneint er zunächst entschieden. Schließlich sei der Bau „vor Kriegsbeginn“ erfolgt (tatsächlich wurde die Halle im Herbst 1940 eröffnet, als die Deutschen bereits lange den Krieg begonnen hatten und der „Anschluss“ mehr als zweieinhalb Jahre zurücklag), und die Halle, welche die Grazer Messe ja schon damals genutzt habe, sei ohnehin verkürzt und an anderer Stelle wieder aufgebaut worden. Dennoch zeigt er sich bereit, über ein Erinnerungszeichen nachzudenken.

Im Zusammenhang mit der Unterschutzstellung, die Ex-Landeskonservator Dr. Friedrich Bouvier ein besonderes Anliegen war, wird die „Zotter-Halle“ gerne als unbedenkliche Mehrzweckhalle präsentiert. Multifunktionell war diese sicher: Im 1939 in der Deutschen Bauzeitung publizierten Kommentar zum Wettbewerb werden neben dem Zweck der „Volkskundgebung“ weitere Funktionen angeführt: „zu Ausstellungszwecken für die Grazer Messe, für Großkonzerte, Filmvorführungen, sportliche Wettkämpfe und andere Massenveranstaltungen“. Was man sich unter solchen vorzustellen hat, zeigt eine im November 1940 hier stattgefundene Totengedenkfeier, bei der Gauleiter und Reichsstatthalter Dr. Uiberreither umgeben von Hakenkreuzfahnen vor 25.000 GrazerInnen sprach: Seine „Worte vom jahrtausendalten Kampf deutscher Menschen, von Opfern und Gräbern, die die Straße in die deutsche Ewigkeit begleiten“ drangen „bis in die letzten Winkel der Riesenhalle“ (Tagespost 1940).

Das eigentliche Problem der neuen Messehalle B ist nicht die Wiedererrichtung einer im NS-System errichteten und von diesem genutzten Halle, sondern vielmehr deren kommentarlose Neu-Kodierung: Das Versetzen um ein paar Meter, das Kürzen um ein Drittel, das Neubenennen und Füllen mit neuen Inhalten und Funktionen: All das kann den Entstehungszusammenhang und die ehemalige Nutzung nicht auslöschen. Eine Berufung auf eine noch so große baukünstlerische und technische Meisterleistung kann nie die Auseinandersetzung mit den Inhalten und zeitgeschichtlichen Implikationen ersetzen. Die – bewusste oder unbewusste? – Verharmlosung und Auslöschung der Erinnerung an die NS-Funktion der Halle spiegelt sich auch in den Medien wider, wo diese zusammenhanglos als bisher unentdecktes, europaweit relevantes Baujuwel der 1930er-Jahre präsentiert wird.

Zu einer Reflexion über eine geeignete Nutzung der Halle B ist es schon zu spät. Auch wenn diese nur mehr ein Fragment und ihre ursprünglich höchst beeindruckende Raumwirkung nicht mehr nachvollziehbar ist, wäre doch eine Diskussion darüber dringend notwendig, wie die Erinnerung an den ursprünglichen Entstehungs- und Nutzungskontext wachgehalten werden kann.
> > VORSCHAU:
Nächste Woche bringt GAT einen ausführlichen Bericht über die neue Messehalle A von Riegler Riewe Architekten, die am 27.09.2008, um 12.30 Uhr eröffnet wird.

Verfasser/in:
Antje Senarclens de Grancy, Kommentar
winfrid sallinger

.... als die des Herrn w.
hier geht es nicht um 2/3 oder 3/5 Wiederaufbau. in diesem fundierten Kommentar wird aufgezeigt, dass man in Graz immmer noch das Vergessen und Verdrängen prakitiziert.
Da half offensichtlich auch nicht das Kulturhauptstadtjahr, in dem man mit dem Berg der Erinnerungen und dem Uhrtumschatten ansatzweise die Auseinandersetzung mit der wenig rühmlichen Geschichte Graz versucht hat.
Wirklich auffalend und peinlich ist das
konsequente Verschweigen des ursprünglichen Zweckes dieser Halle durch die Medien.
Daher bedanke ich mich bei der Autorin für diesen klaren informativen und kritischen Kommentar. Ich würde es sehr begrüßen, wenn Herr Dr. Zinkanell sein Versprechen wahr machen würde und in irgendeiner Form den umfassenden historischen Backgrond dieser Halle darstellt, sei es durch eine Gedenktafel oder etwas anderes.
Schade finde ich übrigens, dass die Architekten dies nicht als ihre Aufgabe gesehen haben.

Fr. 26/09/2008 10:38 Permalink
w

zwar off topic, aber wenn vier von sechs fachwerkbindern erhalten werden ist das nach adam ries´ 3/5 der halle (sowohl flaeche wie auch raum und konstruktion) und nicht 2/3. weil sechs binder haben 5 und vier binder nur mehr 3 zwischenraeume. mit anderen worten: wie kann ich fast die haelfte abreissen und es verkauft sich als wuerde ich fast alles erhalten ;)

Mi. 24/09/2008 11:38 Permalink
HR Dr. Christian Brugger, Landeskonservator BDA Stmk.

Wir stehen vor einer interessanten Situation. Eine technologisch hoch stehende und für ihre Entstehungszeit einzigartige Konstruktion, die heute noch unter Fachleuten Bewunderung und Respekt erfährt, ist unglücklicher Weise für sie zu einer Zeit und durch Auftraggeber entstanden, die als Repräsentanten eines menschenverachtenden totalitären Regimes zu bezeichnen sind. Und auch die Rollen der Planer und Erbauer sind scheinbar nicht ganz unbelastet. Problematisch, problematisch.
Doch, ändert das etwas an der technischen Leistung oder handwerklichen Qualität? Sind die Hölzer und Schrauben ideologisch von rechtem Gedankengut durchsetzt und tragen nationalsozialistische Parolen in sich, die sie bei diversen Aufmärschen oder Totengedenkfeiern ‚gehört’ haben?
Wohl kaum, per se sind sie neutrale Elemente, die genau so dokumentarisch über historische Bautechniken, Raum - und Funktionslösungen berichten wie Schlösser, Kirchen oder soziale Wohnbauten. Jedes Denkmal eben auf seine Art.
Lassen wir die Polemik zur Seite, natürlich sind die materiellen Bestandteile der Halle auch stumme Zeugen der Geschehnisse in ihr, und es ist schon richtig und auch wichtig, in die Gesamtbetrachtung der Halle ihre problematische Vergangenheit mit einzubinden. Aber nur als einen Teilaspekt, nicht als das dominierende Element, denn das ist die NS-Zeit einfach nicht, fünf Jahren NS-Regime stehen mehr als fünf Jahrzehnte friedlicher Nutzung, einer nur bedingt an das Gebäude gebundenen negativen Nutzung – Kundgebungen haben vielerorts statt gefunden - eine anerkannt hochwertige Bautechnik gegenüber.
Und ist die Frage, ob die Halle „unbedenklich“ als Mehrzweckhalle errichtet wurde, so ohne weiteres abschätzig zu beantworten, oder ist es nicht eher die Interpretation der späteren Generation, die aus dem Wissen um die weitere Entwicklung mehr Negatives in die Halle packt als im Entwurf gedacht war? Ist es wirklich realistisch, dass Zotter und Co. 1939 schon den Totalitarismus und die mörderische Menschenverachtung ihrer Auftraggeber erkannt haben? Wohl nicht, die als verharmlosend eingestufte „Mehrzweckhalle“ war wohl wirklich als eine solche gedacht.
Dies soll jetzt keineswegs die NS-Vergangenheit verniedlichen, nur versuchen, den Blickwinkel etwas zu korrigieren. Denn grundsätzlich reduziert eine seriöse Auseinandersetzung mit der Geschichte eines Objektes seine Bedeutung nicht auf Teilbereiche, sondern versucht, alle Aspekte zu beleuchten.
Natürlich ist jedes Bauwerk im Zusammenhang mit seiner Geschichte zu betrachten, es transportiert positive, bisweilen aber auch negative Inhalte, und warum sollten nicht beide Aspekte in ein und demselben Gebäude verankert sein?
Kein Denkmalpfleger würde sich daher dagegen aussprechen, die Halle mit einer entsprechenden Information über ihre bisherige Geschichte auszustatten. Eine seriöse Darstellung, die versucht, der Geschichte umfassend gerecht zu werden, kann nur als Bereicherung angesehen werden. Eine Fokussierung allein auf nationalsozialistische, objektiv betrachtet gar nicht von der Architektur abhängige Geschehnisse in der Halle (die hätten auch in jeder anderen Konstruktion oder im Freien stattfinden können) würde aber zu kurz zielen und der Bedeutung der Halle in keiner Weise gerecht werden.
Soweit einverstanden mit der Forderung nach einer Gesamtdarstellung und Sicht der Halle nicht nur aus dem technischen Blickwinkel. Nicht einverstanden jedoch mit der tendenziösen Art der Darstellung hinsichtlich Diskussion über die Erhaltung der Halle. Hätte bei der Diskussion über die notwendige Erhaltung der Halle ihre ursprüngliche Funktion, ihre Nutzung auch als Ort für Kundgebungen eines menschenverachtenden totalitären Systems gegen die bautechnische Qualität hochgerechnet werden sollen, hätte das die Erhaltungswürdigkeit geschmälert? Eine verwegene Annahme. Vielmehr hätte der historische Aspekt die Forderung nach Erhaltung als geschichtliches Dokument nur noch verstärkt. Schließlich gibt es auch Mahnmale wie beispielsweise den ebenfalls unter Denkmalschutz stehenden NS-Erschießungsplatz am Feliferhof, der ausschließlich die dunklen Seiten der Vergangenheit beleuchtet weil es dabei nichts Positives gibt.
Ideal wäre naturgemäß die vollständige Erhaltung gewesen. Das Bundesdenkmalamt hat sich dafür auch eingesetzt. Doch wirtschaftliche, räumliche und funktionelle Erfordernisse, die hier nicht weiter ausgeführt werden können, haben zur Lösung mit der Reduktion geführt. Mag die Raumwirkung nicht mehr ganz so eindrucksvoll erlebbar sein (wenn man in der Halle steht ist sie trotzdem noch sehr beachtlich), die holzbautechnischen Lösungen, die um nichts weniger bedeutend sind, können immer noch – ja gegenüber den letzten Jahrzehnten hinter Verkleidungen sogar wesentlich besser – abgelesen werden. Immer noch besser ein reduziertes Monument der Vergangenheit als gar keines. Ein altes Los der Denkmalpflege, kaum ein Denkmal befindet sich in seinem ursprünglichen Erbauungszustand, immer wieder wurden Bauwerke adaptiert, erweitert oder der jeweiligen Epoche angepasst. Manchmal zum Nachteil, manchmal auch zum Vorteil, verändert aber allemal und immer noch Denkmale mit ihrer Geschichte.
Und was die Neu-Kodierung betrifft. Ist der Unterschied zur überwiegenden früheren Verwendung tatsächlich so groß wie behauptet? Wie im Unterschutzstellungsgutachten so schön formuliert, sollte „das Gebäude nicht nur die Funktion als Versammlungshalle erfüllen, sondern war ursprünglich auch zu Ausstellungszwecken für den Grazer Messebetrieb, für Großkonzerte, Filmvorführungen und sportliche Wettkämpfe vorgesehen.“ Jeder Zeit ihre Zeichen, heute ist eben die „Event-Kultur“ an die Stelle früherer Veranstaltungen und Volksbelustigungen getreten, so groß ist der Unterschied also gar nicht. Und volksverhetzende Reden, wie sie in den „Massenveranstaltungen“ gehalten worden sind, wollen wir uns in der ‚neuen’ Halle lieber nicht mehr vorstellen… dann lieber „gemütliche Oktoberfestatmosphäre“.

Fr. 26/09/2008 7:40 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+