24/02/2021

Metro für Graz?

Kommentar von Johannes Fiedler, fiedler.tornquist arch+urb, zum U-Bahn-Projekt der Stadt Graz

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24/02/2021

Ausschnitt aus dem Netzplan Zürich, Screenshot Johannes Fiedler; Bildquelle siehe Link https://www.zvv.ch/zvv/de/fahrplan/liniennetz.html

©: Johannes Fiedler

Will man die Idee, die auf Initiative des Bürgermeisters ausgearbeitet worden ist, verstehen, so muss man sich die Ausgangslage vor Augen führen. Man hat eine Bevölkerung, die auf jede Einschränkung des Autofahrens – wenn etwa da ein Parkplatz wegfällt, oder dort eine Spur reduziert wird – rabiat reagiert. Man hat eine Wirtschaftsvertretung im Nacken, die ihre Hauptaufgabe darin sieht, Tiefgaragenplätze, möglichst in der Innenstadt, zu maximieren. Man hat mit einer Landesregierung zu tun, die seit Jahrzehnten daran arbeitet, den Pendlerverkehr in Richtung Graz durch Ausbau von Schnellstraßen, Autobahnauffahrten, Gürtelspangen und Umfahrungstunnels zu beschleunigen. Man lebt in einer Welt, in der alle überzeugt sind, dass man "das Verkehrsproblem" vor allem dadurch in den Griff bekommen kann, indem man "den Verkehr" – gemeint ist immer der Autoverkehr – flüssig gestalten muss, durch mehrspurige Einbahnen, die durch den historischen Bestand geführt werden, und dass man Schleichwege eliminieren müsse, damit die Bürger Ruhe haben, und gleichzeitig das hochrangige Netz optimieren, damit die Bürger fahren können.
Unter solchen Rahmenbedingungen muss man als Politiker mit etwas kommen, das niemandem wehtut, das keine der populären Routinen, keine gewohnte Raumfolge, und sei sie auch noch so hässlich und vom Autoverkehr dominiert, infragestellt. Am besten kommt man mit etwas, das man nicht sieht!

Dass Graz im Verkehrsbereich einen Innovationsschub benötigt, der auch über bzw. unter die bestehenden Systeme hinausgeht, ist in Anbetracht der notorischen Umweltkrise dieser Stadt und beim Blick auf die Wachstumszahlen nicht von der Hand zu weisen. Trotz beeindruckender Bemühungen der Verkehrsbetriebe, die den strukturellen Mangel täglich durch personellen Einsatz und betriebliche Innovation wettzumachen suchen, muss ein leistungsfähiges ÖV-Format gefunden werden, das in der Lage ist, habituelle Autofahrerinnen und Autofahrer dazu zu motivieren, ihre täglichen Wege ohne aufwendiges Blechgehäuse zu absolvieren. Solche Systeme gibt es. Es sind die S-Bahn und die U-Bahn.
Es wäre also angebracht gewesen, diese beiden Optionen – mit Blick auf den Großraum Graz – zu vergleichen. Das geschah nicht. Die Aufgabe der eigens gegründeten Gesellschaft war, die Idee einer Grazer Metro zu untersuchen. Wenn etwas einmal von der Politik falsch eingefädelt ist, tun sich auch die besten Experten (in diesem Fall sind keine Frauen mitgemeint) schwer, die Sache in vernünftige Bahnen zu leiten. Dabei ist die Ausgangslage in der Studie schonungslos dargestellt: Von den 452.000 Menschen, die täglich nach Graz einpendeln, kommen 85% mit dem Auto. Was nach diesem Befund auf der Hand liegt, darf in der Studie nicht gesagt werden – dass nämlich a) das ÖV-Regionalverkehrsangebot unzureichend ist, und b) kein Anreiz besteht, in und um Graz auf das Auto zu verzichten, weil Straßennetz und Parkplatzangebot bequemen Zugang ermöglichen.  

In einem ergebnisoffenen Prozess wäre eine Arbeitsgruppe vor diesem Hintergrund bald auf den Ausbau und die städtische Integration des S-Bahn-Netzes gekommen – etwa nach dem Vorbild Zürich (450.000 EW, 31 Linien). Die von der Stadt Graz beauftragte Gruppe hingegen musste das politisch vorgegebene Metro-Modell durchkauen – und man tat sein Bestes. Nun liegt ein blumiges Netz am Tisch, das von begabten Modelleisenbahnern sicher noch da und dort optimiert werden könnte. Doch dazu ist die Sache zu ernst.

Was Graz braucht, ist kein intermediäres System zwischen Bahn und Straßenbahn, wie es in größeren Städten angebracht ist, sondern eine bessere Integration des Regionalverkehrs in die Stadt – und das durchaus auch unterirdisch. Wesentlicher Baustein dafür ist die Errichtung einer Ost-Spange für die S-Bahn – in Tunnelbauweise – von Gösting über Andritz und Geidorf, mit Anbindung an Universität und LKH, durchgebunden über St. Peter und Messendorf an die bestehenden Bahnachsen Ost und Süd. Man fährt dann von Frohnleiten, aber auch von Gösting, direkt zum LKH, von St. Peter zum Murpark und in der anderen Richtung etwa von Leibnitz ohne Umstieg zur Andritz AG. Wenn man also davon ausgehen darf, dass die Politik bereit ist, größer zu denken, dann kann es wohl kein Tabu sein, eine solche, 15 Kilometer lange unterirdische S-Bahn-Trasse mit einem Durchmesser von 12,2 Metern ins Auge zu fassen. Das vorliegende Metro-Projekt hat 24,4 km mit typischerweise 11,3 Metern Durchmesser.   

Während das Bohren von Tunnels eine relativ triviale Aufgabe darstellt, könnte sich die Graz Holding, die ja in dieser Sache zur Maßnahmenträgerin bestimmt worden ist, überlegen, ob sie nicht in den Betrieb des Regionalverkehrs einsteigen möchte, als ergänzende Anbieterin zur Staatsbahn, wie es sie in vielen europäischen Städten mittlerweile gibt. Eine solchermaßen baulich und betrieblich ertüchtigte S-Bahn wäre ein Modernisierungsschritt, der einer wachsenden Stadt mit einer wissensbasierten Wirtschaft entspräche. Über die ergänzenden Maßnahmen, die an der Oberfläche getroffen werden müssten, um den Autoverkehr stadtverträglich zu machen, soll an dieser Stelle geschwiegen werden.

 

Bernhard Hafner

Gut, dass Sie diesen Betrag geschrieben haben, Herr Fiedler. Habe eben einen längeren Beitrag dazu geschrieben- zur Studie und der Thematik-, habe ihn aber plötzlich verloren und kann ihn nicht mehr finden. Ich will das nicht mehr nachholen, aber den einen Aspekt dieses Textes möchte ich ergänzend darstellen:
Ein Verkehrsnetz mit Straßen, Straßenbahnlinien, Buslinien ist eines der Instrumente, mit denen räumliche Entwicklungen beeinflusst und gelenkt werden können. Meist sind diese Netze schon so weit gediehen, dass ein Weiterführen geradezu kontraproduktiv ist. Das gilt besonders für den Individualverkehr.
U-Bahn Linien eröffnen ganz neue Wege. Sie betreffen eine schnelle unterirdische Erschließung von Arbeitsplätzen, Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung, des Gesundheits- und Bildungswesens, der Erholung u. a., die sie mit Wohnen vernetzen. Das ist ein großer Gewinn, wenn er auch beschränkt ist - wenn ich es richtig verstehe -, dass Stationen innerhalb von maximal 20 Minuten zugänglich sein sollen. (Für mich ist das etwa die Distanz von der Glacisstraße bis zum Roseggerghaus in der Annenstraße. So weit würde ich zu keiner U-Bahnstation gehen).
Aber das ist nur ein Aspekt, für mich ein erfreulicher, wenn auch sogar untergeordneter. Der wesentlicher Aspekt liegt im Potenzial, das jede U-Bahnstation für zukünftige Entwicklung örtlich bietet und das gesamte Liniennetz für den städtischen Siedlungsraum insgesamt. Zusammen mit einem regionalen S-Bahnnetz kann man auf dieses Weise Regional- und Landesplanung betreiben. Investitionen des öffentlichen und privaten Sektors folgen einem Metrosystem, unabhängig davon, ob das bedacht ist oder nicht.
Mit möglicherweise oberflächlicher Kenntnis der Studie habe ich den Eindruck gewonnen, dass dieser Aspekt nicht entsprechend berücksichtigt worden ist. Auch die involvierten Personen weisen darauf hin.
Vielleich schreibe ich dazu. Doch was nützte es?

Di. 02/03/2021 2:06 Permalink
Anselm Wagner

Vielen Dank an Johannes Fiedler für diesen Beitrag. Jeder Satz ein Treffer!

Di. 02/03/2021 5:10 Permalink
Anonymous

Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich jetzt geglaubt, das ist meine eigene Idee, die ich in ein erstes Konzept eingezeichnet habe! Ich kenne auch Zürich als Musterbeispiel des öffentlichen Verkehrs; neben dem dichten S-Bahn-Raster gibt es 11 Tramstrecken und 5 O-Bus-Linien - eine U-Bahn wurde schon 1973 von den klugen Bürgern abgelehnt; sie erkannten, dass die Stadt dafür zu klein ist.
Und wenn man Zürich mit Graz vergleicht, dann ist schnell klar, was bei uns fehlt: die im obigen Beitrag verlangte Ost-Spange für die S-Bahn mit der Fix-Station Landeskrankenhaus. Von dem dann entstandenen Kreis gibt es günstige Verbindungen in die Innnenstadt, die - je nach Variante bereits vorhanden sind oder noch hergestellt werden müssten. Es kämen eine enge (Gürtel) und eine etwas weiter außen liegende Trasse (ab dem Göstinger Nahverkehrsknoten) in Frage, die beste Lösung wäre durch Studien zu ermitteln. Aber auch die von den ÖBB schon lange ventilierte Südspange zwischen der Ostbahn und der Koralmbahn entlang der Südautobahn wäre unbedingt zu realisieren, damit auch das Magna-Werk angebunden ist. Ein relativ leicht herzustellenden Anschluss von Feldkirchen an die GKB-Trasse nach Seiersberg könnte Magna auch aus dem Südosten ideal anschließen. Das könnte auch die 13 niveaugleichen Kreuzungen im Stadtgebiet erübrigen und Teile des bestehenden Schienenstranges für den innerstädtischen Verkehr genützt werden.
Es ist zu hoffen, dass jetzt die auch schon in Auftrag gegebene S-Bahn-Studie Klarheit schaffen kann. Wichtige Ziele in der Stadt sollten Pendler in jedem Fall ohne jegliches Umsteigen erreichen können.

Do. 04/03/2021 7:24 Permalink
Netzwerktreffen
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