23/12/2020

Lückenschluss in Graz-Geidorf?

Die Franckstraße in Graz-Geidorf ist ein städtebauliches Ensemble, in dem offene und geschlossene Bebauung bewusst komponiert worden sind. Nun soll eine vermeintliche "Lücke" geschlossen werden.

Kommentar von Johannes Fiedler und Jördis Tornquist

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23/12/2020

Die Franckstraße – ein gründerzeitliches Konzept von 'offener' und 'geschlossener Bauweise'

©: fiedler.tornquist arch+urb

Kleinen Zeitung – Artikel von Gerhard Winter-Pölser, am 16.12.2020

©: fiedler.tornquist arch+urb

Franckstraße 19

©: fiedler.tornquist arch+urb

Franckstraße 31

©: fiedler.tornquist arch+urb

Franckstraße – 'offener' und 'geschlossener Bauweise'. Bild auf Basis Bing Maps

©: fiedler.tornquist arch+urb

Alarmiert durch eine Meldung in der Kleinen Zeitung (Gerhard Winter-Pölser, 16.12.2020) wonach im historischen Kontext der Franckstraße in Graz-Geidorf eine vermeintliche „Lücke“ geschlossen werden soll, gibt es große Beunruhigung bei Bewohnern und Bewohnerinnen der Umgebung und bei vielen Fachleuten. Wie kann es sein, dass die ASVK ohne entsprechende städtebauliche Analyse und Weitsicht einen solchen offensichtlichen Fauxpas mit einem positiven Gutachten unterstützt?

Kommentar zum Gutachten der Grazer Altstadtsachverständigenkommission vom 22.09.2020: "Franckstraße 19 - 21: Errichtung eines viergeschoßigen Wohnhauses mit zurückversetztem Dachgeschoß im Bauwich zwischen den beiden Gründerzeithäusern"

Das Gutachten nimmt in seinem Befund kurz auf das städtebauliche Umfeld Bezug, und stellt in dem betroffenen Abschnitt "... eine durch Gebäudeabstände aufgelockerte Blockrandbebauung..." fest. Dieses Faktum ist wesentlich, findet aber in in der nachfolgenden Würdigung und Beurteilung des Bauvorhabens keine Berücksichtigung. Weiters wird erwähnt, dass hier "...der Übergang zu der beginnenden vorstädtischen Gründerzeit-Bebauung..." ablesbar sei.
In der abschließenden Begründung wird in Hinblick auf den städtebaulichen Aspekt angeführt, dass "...sich die bestehenden Gebäude im Gegensatz zu ihrer Entstehungszeit mitten in der Stadt befinden und daher eine geschlossenen Bebauung Blockrandbebauung als durchaus gebietstypisch zu bezeichnen ist".

Aus der Formulierung des Gutachtens geht hervor, dass:
−    die Besonderheit und Schutzwürdigkeit der städtebaulichen Anlage der Franckstraße (Bergmanngasse bis Körblergasse) und des Karrees Franckstraße – Grillparzerstraße – Schröttergasse – Bergmanngasse nicht erkannt wird. Diese besteht neben der authentisch erhaltenen spätgründerzeitlichen Bebauung eben auch in ihrer Bebauungsweise, die in Richtung Norden durch freistehende, repräsentative Zinshäuser geprägt ist. Zu dieser Besonderheit und Schutzwürdigkeit gehört auch das Faktum, dass die freistehenden Gebäude in der Franckstraße (Nr. 21 und Nr. 31) symmetrisch angelegt und mit sorgfältiger Detaillierung der Seitenflächen ausgeführt wurden.
−    dass die in dem betreffenden Karree bestehende Bebauungsform falsch eingeordnet wird. Die angenommene gründerzeitliche Vorstadtbebauung würde aus freistehenden Villen bestehen (z.B. Schubertstraße, Leechgasse). Hier handelt es sich jedoch durchwegs um mehrgeschoßige Zinshäuser. Die korrekte Bezeichnung für die Art der Bebauung ist "offener Blockrand".
−    dass demnach in städtebaulicher Hinsicht das Schutzgut nicht bzw. nicht richtig definiert worden ist. Folglich können auch die daraus gezogenen Schlüsse nicht zutreffend sein. Ein städtebaulich valides Gutachten müsste sich auf den konkreten Bestand des Umfeldes – also auf die Franckstraße in diesem Abschnitt und auf das genannte Karree – beziehen. Bei einem solchen Bezug ergäbe sich in nachvollziehbarer Weise, dass das Faktum, dass hier die Bauten bewusst in offener Bauweise platziert wurden, einer Schließung des Bauwichs durch ein neues Gebäude entgegensteht.
−    dass eine typologische Betrachtung offensichtlich nicht stattgefunden hat. Bei einer solchen wäre der Widerspruch zwischen dem symmetrischen Aufbau des Hauses Nr. 21 und dem geplanten Anbau, einschließlich der Verschmelzung mit dem Haus Nr. 19, evident geworden.    
−    dass das in der Begründung angeführte Argument, wonach eine geschlossene Bebauung gebietstypisch wäre, unrichtig ist, da der konkrete Kontext wesentlich von der bewussten Komposition von "offen" und "geschlossen" gekennzeichnet ist. Es obliegt nicht der ASVK, generelle stadtstrukturelle Aussagen zu treffen, sondern vielmehr den konkreten Stadtraum zu würdigen.

Gut-beob-achter

Wie qualifiziert man sich als Gutachter/Gutachterin für die angeblich ehrenamtlich tätige Altstadtkommission? Die Frage stellt sich mir nach diesem Fehlurteil, wenn man offensichtlich nicht einmal erkennen kann, was die Qualitäten des Geidorfviertels und seiner Blockbebauungen mit den großen Höfen ausmacht. Wird als nächstes die Verbauung des Freibades drankommen, gutgeheißen unter dem Motto der von unserer Politik und Stadtplanung anscheinend undifferenziert ausgerufenen notwendigen "Verdichtung" der Stadt? Kann mir das bitte jemand erklären.

Mo. 11/01/2021 9:23 Permalink
Laukhardt

Antwort auf von Gut-beob-achter

Das gegenständliche Vorhaben kann sicher nicht für sich in Anspruch nehmen, zum Altstadtschutz beizutragen, weil es wichtige Elemente des bestehenden Stadtbildes nicht erkannt hat (siehe oben). Das ist jetzt eine kritische Einzel-Meinung, die in ähnlicher Form ja wohl in der Diskussion der Kommission auch eingebracht wurde, oder nicht?
Die ASVK ist aus meiner Sicht ein aus Sachverständigen zusammengesetztes Gutachtergremium, in dem verschiedene Disziplinen gemeinsam Einzelbauten nach einem Gesamtbild "Altstadtschutz" bewerten. Wenn allerdings in der jetzigen Zusammensetzung der Kommission neben einer Kunsthistorikerin und einigen Juristen überwiegend Architekten und Baumeister das Sagen haben, dann darf schon die Frage gestellt werden, ob das im Sinne des GAEG als ausgewogen bezeichnet werden darf. Diese Frage wiederum richtet sich an die entsendenden Institutionen, deren Zusammensetzung ich nicht kritisieren will. Mit einer Ausnahme: so lange Max Mayr noch lebte, hatte auch die Initiative "Rettet die Altstadt" ein Entsendungsrecht.

Mo. 18/01/2021 9:36 Permalink
Flaneuse

Man darf bei allen Verdichtungsbestrebungen auch den Effekt der lokalen Erwärmung – Stichwort Wär-meinseleffekt (urban heat island effect) nicht außer Acht lassen. Ich denke dass die Altvordern mit ihrer offenen Bauweise nahe dem angrenzenden Berglandes sensibler waren als jene von heute. Im Sinne der Erhaltung der Lebensqualität sollten Frischluftschneisen erhalten bleiben. Außerdem erfreut mich in dem besagten Zwischenraum eine herrliche alte Zierkirsche, die mit ihrer rosa Blütenpracht im Frühjahr weithin in den Straßenraum wirkt. Man sollte sie unter Naturschutz stellen.

Mi. 20/01/2021 10:07 Permalink
Der Blick von Außen

Als Nicht-Grazerin kann ich von einer Lückenschließung nur dringend abraten. Die Gebäude sind so platziert, dass der seitliche Freiraum Teil der architektonischen Idee ist. Belichtung, Grundrisse, Charakter der Bestandsbebauung verändert sich ohne seitlichen Luftraum und werden vom vornehmen Wohnen in der Vorstadt zur Arbeiterkaserne mit bedrückenden Wohnverhältnissen. Fiedler.Toenquist.arch.urb. verweist völlig zu Recht auf den Unterschied zwischen geschlossener und halboffener Bauweise. Hier befinden wir uns nicht mehr in der Innenstadt, sondern in der Vorstadt, in der die Durchblicke in die begrünten Blockinnenbereiche die Geschichte dieses Viertels erzählen. Das linke Nachbargebäude hat sogar einen Walm als Zeichen dafür, dass eine Brandwandbebauung nicht Teil des ursprünglichen Konzeptes war.
Und nicht zuletzt: Freiräume sind auch Gestaltungsmittel.
Was wird aus Müll, Fahrrädern und anderen Nebennutzungen? Sie werden im Vorgarten ihren Raum finden, wenn es keine Möglichkeit gibt, diese nach hinten zu verlagern. Vorgärten waren die Zierde eines jeden Hauses und rein gärtnerisch zu gestalten.
Vor einer angedachten Lückenschließung sollte präzise der Bestand im kleinen Umfeld analysiert werden. Eine Stadt ist kleinteilig zu betrachten und die Quartiere sollen die Chance bekommen, ihren ganz individuellen Charakter zu bewahren. Geidorf ist ein bis 1914 baulich nahezu abgeschlossenes Viertel, das in seiner besonderen Eigenart gut zur Identifikation geeignet ist und funktioniert. Die Geschlossenheit und Homogenität des Quartiers ist bis heute außergewöhnlich. Ein Durchsetzen mit Baukörpern an jedem denkbaren Verdichtungspotential erfüllt zwar kurzfristig den Wunsch auf Gewinnmaximierung, langfristig wird es die Wohnqualität und die spezifischen Eigenart verändern.
Der Wunsch auf Nachverdichtung wird heute allerorten geäußert. Wir müssen jetzt aufpassen, dass in der Zeit, in der unsere Generation das Baugeschehen verantwortet, die Wohnviertel nicht alle dasselbe Gesicht erhalten.
eichgemacht werden.

Mo. 28/12/2020 11:32 Permalink
Brigitte Czermak

Guten Tag! Die Frankstraße ist mir eine der liebsten Grazer Strassen, ich setze mich hiermit für sie ein. Ist es nicht möglich- das 1.x vielleicht sogar, diese Strasse als Kulturerbe zusehen? Ensembleschutz wird in Deutschland auch in Wohngegenden praktiziert. Miteingeschlossen die Vorgärten....
An Wohnraum herrscht ein Überangebot, wird aber nicht publik gemacht.
Bis dann, Brigitte Czermak

Di. 19/01/2021 5:15 Permalink
Neu

Antwort auf von Brigitte Czermak

Frau Czermak, ich kann Ihren Worten nur beipflichten, besser hätte ich es nicht formulieren können. Die Idee des Kulturerbes finde ich großartig. Wer verfolgt diesem Gedanken. Im gesamten Viertel sind ja schon fürchterliche Sünden begangen worden. Der Fraß schreitet voran.Für eine Stadt die Weltkulturerbe Stadt ist, ist es eine Schande wie mit diesem Erbe umgegangen wurde und wird. Wir wissen, dass es in Graz ein Baunetzwerk gibt, deren Baugesinnung "Schachteln sind" und "Verdichten" heißt . Schon Dr. Friedrich Bouvier, bis 2007 Landeskonservator, schrieb in "Die gefährdete Gartenstadt" von: "Profitgier, gepaart mit unzureichenden gesetzlichen Regelungen, lässt in letzter Zeit in erschreckendem Ausmaß die Bebauung von begrünten Innenhöfen und Villengärten zu. Eine viel zu hohe erlaubte Baudichte leistet der Zerstörung der Grazer Grünressourcen besorgniserregenden Vorschub. Die negativen Beispiele häufen sich, wie etwa die Errichtung eines Bürohauses in der wohl nobelsten Grazer Villenstraße, der Schubertstraße.Vorhandene Schutzmechanismen sind unzureichend und wirkungslos.

Fr. 26/02/2021 9:54 Permalink
Anonymous

man darf sich wundern was alles geht und was dann am nebenschauplatz wieder nicht geht. aber die eigenartige urteile häufen sich. es gibt nur 2 erklärungen dafür - politischer druck oder eine ehrenamtliche komission ist fachlich nicht ganz auf der höhe.

So. 27/12/2020 8:24 Permalink
Anonymous

Diese bauliche Sequenz ist eine der interessantesten Stellen in Graz. Der offene Block mit Vorgarten wäre durchaus auch eine vorbildliche Variante um zeitgenössisch urban zu bauen. Den Abstand zwischen den Gebäuden nach 120 Jahren als Baulücke zu betrachten ist wirklich bedauerlich.

Mi. 23/12/2020 11:27 Permalink
Anonymous

Bin keine Archtektin und kann die Planung nicht beurteilen, aber ich sehe die Auswirkungen. Alte Ensembles werden durch Zubauten und gleichförmige Neubauten verunstaltet. Architektonische Gestaltung findet man sehr selten in den letzten Jahren. Außerdem wird auch hier wieder Grünraum zubetoniert- und auch Fenster in bestehendem Wohnraum- trotz angeblicher Grünrauminitiative der Stadt Graz!

So. 03/01/2021 11:27 Permalink
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