27/01/2015

Leerstandskonferenz 2015
Thema: Auslastung: Nicht genügend! Schulen und ihre ungenutzen räumlichen Potenziale.

Zum 4. Mal vom Wiener Architekturbüro nonconform architektur vor ort veranstaltet, versteht sich die österr. Leerstandskonferenz als Think Tank für Fragen und Strategien im Umgang mit Leerstand. Die Problematik Leerstand soll tiefgreifend erfasst, ExpertInnen aus unterschiedlichen Bereichen zusammengeführt und von Best-Practice-Projekten gelernt werden. Die Konferenz findet jährlich an einem anderen Ort in Österreich statt.

Themen
der ersten drei Konferenzen:
_ Perspektiven für leerstehende Bauten im ländlichen Raum (Ottensheim,OÖ)
_ Der Berg schrumpft. Leerstand im Alpenraum (Eisenerz, Steiermark)
_ Neue Perspektiven auf Architekturen des Scheiterns (Fresach, Kärnten)

27/01/2015

Schulzentrum Feldkirchen (OÖ), Aula

©: Hertha Hurnaus

Eine der 4 Holzklassen in der Volksschule Gnesau, Kärnten, von Arch. DI Ernst Roth mit DI Sonja Hohengasser und DI Jürgen Wirnsberger

©: nonconform architektur vor ort

Leerstandskonferenz 2015, Tag eins, Publikum

©: Marion Starzacher

Podiumsdiskussion: Bilal Barakat - Vienna Institute of Demography / Christian Kühn - Professor, Institut für Architektur + Entwerfen, TU Wien / Helmut Moser - Bundesministerium für Bildung und Frauen / Gerlind Weber - Professorin, Institut für Raumplanung und Ländliche Neuordnung, BOKU Wien / Markus Schatzmann - Professor, Pädagogischen Hochschule St. Gallen, Schweiz

©: Marion Starzacher

Podiumsdiskussion: Nikolaus Juen - Land Tirol, Abteilungsvorstand für Bodenpolitik und Dorferneuerung / Petra Völkl - Ministerium für ein lebenswertes Österreich / Cosima Pilz - Umwelt-Bildungszentrum Steiermark / Barbara Birli - Umweltbundesamt, Abteilung Boden und Flächenmanagement / Ernst Roth - Architekturbüro Ernst Roth

©: Marion Starzacher

Mobilität – Elterntaxi: Samuel stellt das Erlebte während der Fahrt zur Schule dar. Bild aus einem Vortrag von Marco Hüttenmoser, Schweiz

Mobilität – zu Fuß: William zeichnet alles, was er auf seinem Weg in die Schule erinnert. Bild aus einem Vortrag von Marco Hüttenmoser, Schweiz

Gerade unter dem aktuellen Damoklesschwert der Schulschließungen in den ländlichen Regionen, der Schrumpfungsdebatte und dem demografischen Wandel fand die dritte Leerstandskonferenz in einer heißen Phase der Debatte um Schulschließungen statt. Laut eines Artikels der Tageszeitung Der Standard vom 15.01.2015 hat Frau Ministerin Heinisch-Hosek überlegt, Schülermindestzahlen als Gradmesser für den Fortbestand von Schulen in der Sekundarstufe festzuschreiben. 300 SchülerInnen als mögliche Grenze – was dies für einzelne Regionen bedeuten kann, hat am folgenden Tag der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl in der Tiroler Tageszeitung (Quelle: http://www.dieneuzeit.com/kleinschulen-niessl-lehnt-mindestschulerzahl-3... 19.01.2015) in einer Gegendarstellung öffentlich publik gemacht: Von 41 Neuen Mittelschulen im Burgenland würden nur fünf diese Voraussetzung erfüllen!

Eigeninitiative macht Schule
Markus Schatzmann (Professor an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen) präsentierte in seinem Einführungsvortrag Preisgekrönt und nicht genügend sein Schulprojekt, das er mit Architekt Roland Gnaiger in den 1990er Jahren in Warth am Arlberg, einem Bergbauerndorf auf über 1500m Seehöhe umgesetzt hat. Aus dem Bedarf einer Sekundarstufe zusätzlich zur Primärstufe ist ein genau auf die Gemeinde zugeschnittenes Schulmodell entwickelt worden. Beispielhaft und auch verantwortlich für den großen Erfolg des Projekts ist, dass der preisgekrönte Schulbau neben den zwei Schulklassen und den für den Schulbetrieb benötigten Nebenräumen auch die Flächen beinhaltet, die für das öffentliche kulturelle Leben benötigt werden. Durch die Mehrfachnutzung ist das Gebäude auch nach der Schulschließung in Betrieb und dadurch auch kultureller und Lebensmittelpunkt des Ortes.

Planung statt Resignation
Die Raumplanung ist das Instrument, das all die Überlegungen, die mit der Standortevaluierung einhergehenden Faktoren in ein strategisches Maßnahmenpapier verpacken kann. Doch dieses Instrument wird nicht in dem ihm zustehenden Maße von allen AkteurInnen verwendet: Klimabilanz, Infrastruktur, Emissionen, Nutzungen, auch demografische Daten und Migrationsbewegungen können digital erfasst, in Geoinformations-Systeme implementiert und je nach Abfrage gezielt als Karten und Pläne ausgegeben werden.
Gerlind Weber (BOKU Wien) sieht in der Brache eine Chance, neben der Architektur auch die Raumplanung zu berücksichtigen, somit auch stärker in die Leerstandsdiskussion einzubeziehen. Leerstandskataster böten zudem auch noch die Möglichkeit räumliche Ressourcen zu bündeln und in unterschiedlichen Kategorien zu gliedern. Die Versiegelung von Flächen ist das Thema von Barbara Birli (Umweltbundesamt GmbH), die in ihrem Vortrag speziell auf Projekte des Umweltbundesamtes einging, die im Rahmen von Circuse zur Bewusstseinsbildung von Kindern und Jugendlichen entwickelt worden sind. Die Erreichbarkeit einer breiten Masse ist nur über Bildungsinstitutionen möglich, daher müssen diese eingebunden und auch die Lehrenden in Bezug auf diese Themen sensibilisiert und geschult werden. Genau diese Erreichbarkeit hat auch Petra Völkl (Ministerium für ein lebenswertes Österreich) in ihrem Vortrag über Mobilität und schrumpfende SchülerInnenzahlen angesprochen, denn Eltern werden so durch ihre Kinder erreicht, die das Erlebte zu Hause berichten und mit den Eltern reflektieren.

Ist Demografie die Hauptkomponente in der Standortdiskussion?
Gerlind Weber stellte in ihrem Vortrag einen Demografiecheck einer strukturschwachen Region in Oberkärnten vor, um einen Einblick in die Bildungsspirale zu geben. Bildung kann eine Treibkraft für selektive Abwanderung sein, vor allem im tertiären Sektor, da die Studienmöglichkeiten am Land sehr gering sind. Hier sind die Fachhochschulen hervorzuheben, deren dezentrale Standorte, sofern sie in ihrem Angebot auf das regionale Bedürfnis abgestimmt sind, neue Motivatoren darstellen können. Einrichtungen im primären Sektor (Volksschulen) stellen unter anderem dörfliche Zentren dar, die Kultur und Leben bringen, sodass bei Schließungen Abwanderungen drohen. Gerade für Jungfamilien sind Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen vor Ort Kriterien für die Zuwanderung. Dieser Aspekt wird von Gemeinden oft vernachlässigt oder zu wenig beachtet. Strukturverluste müssen abgefedert werden, hier sind neue flexible Konzepte gefragt, das Bündeln von Ressourcen mehrerer Gemeinden kann Abwanderung entgegenwirken. Es genügt nicht, demografische Probleme zu erkennen und zu benennen, diese müssen analysiert und darauf mit geeigneten Maßnahmen reagiert werden. Das Einführen von Schülermindestzahlen, wie zu Beginn erwähnt, ist eine zentralistische, nicht auf die Regionen eingehende, lösungsorientierte Maßnahme.

Life-Long-Learning als Motor
Bilal Barakat (Vienna Institute of Demography) hat sich mit der Auswirkung von Schulstandortschließungen auf die demografischen Veränderungen von Orten befasst und in seiner Forschungsarbeit festgestellt, dass der Zusammenhang von Zuzug und vorhandenem Schulstandort nicht klar nachgewiesen werden kann. Die Abwanderung nach der Schließung kann als Ursache gesehen werden. Die Migrationsbewegung wird eher durch sekundäre Trends als durch Schulstandortschließungen beeinflusst. Weitere zu berücksichtigende Fakten sind die Geburtenrate und die Auswertung statistischer Zahlen, denn nach einem Schrumpfungsprozess kann ein Stabilisierungsprozess, aber auch ein Wachstum einsetzen. Fakt ist, dass es die Möglichkeit der Flexibilität in Bezug auf die Reaktion schwankender Zahlen geben müsste, um einen Handlungsspielraum zu erhalten. Es bedeutet aber auch eine Abkehr vom traditionellen Bild des Lernens in der Schulzeit und geht hin zum lebenslangen Lernen. So können sich Schulen als Bildungsinstitutionen generationsübergreifend öffnen. Weiters müssen regionale strukturelle Maßnahmen ergriffen, grenzüberschreitende Zusammenarbeit forciert und gemeinsame Ressourcen geschaffen werden, denn laut Statistik Austria wird für das Jahr 2030 ein neuer Tiefstwert prognostiziert.

Neue pädagogische Konzepte erfordern auch neue räumliche Strukturen
Christian Kühn (TU Wien) hielt einen Vortrag über neue Anforderungen an den Schulraum, um bestmögliche Bildung zu gewährleisten. Als Grundstruktur für seine Ausführungen wählte er die drei Schlüsselkompetenzen der OECD: die Fähigkeit des selbständigen Handelns, der Teamarbeit und der kreativen und interaktiven Nutzung von Werkzeugen. So kommt es nach seiner Sicht zu neuen Anforderungen an die Wissensvermittlung und Bildung, auf welche die Architektur mit neuen Typologien und räumlichen Definierungen reagieren kann. Dies erfordert auch eine enge Zusammenarbeit zwischen den einzelnen AkteurInnen, ergibt spezielle Anforderung an die PädagogInnenausbildung und Ziele in der Wissensvermittlung.

In Leoben wird aktuell ein Projekt umgesetzt, wo drei unterschiedliche Schultypen an einem Standort vereint werden. Einerseits aus Gründen der sinkenden Schülerzahlen und der daraus entstehenden Notwendigkeit der Bildung von Zentren, andererseits gilt es aber auch auf die neuen räumlichen Anforderungen zu reagieren, zumal die einzelnen Standorte sich als sanierungsbedürftig herausgestellt haben. Heimo Berghold (Baudirektor der Stadtgemeinde Leoben) sprach über den Prozess der Entscheidungsfindung im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens und über das Aufbrechen der alten kasernenartigen Struktur des ausgewählten Baukörpers. Wichtige Bereiche in der Umplanung sind der gemeinsame Eingangsbereich, der Freiraum und das Implementieren von flexiblen Strukturen.
Dies sind auch die Hauptpunkte, auf die Hemma Fasch (fasch&fuchs.architekten) bei der Vorstellung des Schulzentrums Feldkirchen einging. Sie beschrieb die Transformation von neuen pädagogischen Konzepten in ein Raumprogramm, das die Umsetzung dieser Pädagogik unterstützt. Hier geht es neben der Sanierung und Hinzufügung von neuen Raumstrukturen vor allem um das Implementieren von unterschiedlichen Nutzungen mit unterschiedlichen Bedürfnissen: eine Mehrfachnutzung von Volksschule, Neue Mittelschule, Kulturzentrum, Musikschule und die Koexistenz mit der Gemeinde Feldkirchen an der Donau.
Ernst Roth (Team Architektur Ernst Roth, Sonja Hohengasser und Jürgen Wirnsberger) referierte über die Gesundschrumpfung durch Zusammenlegung dreier Schulstandorte am Beispiel der Sanierung der Volksschule Gnesau in Kärnten und wies dabei auch auf das Zusammenspiel Architektur, Materialität und Lehrkonzept hin.

Flexibilität ist gefordert
Die Erhaltung der regionalen dezentralen Schulstandorte sollte als Chance der Entwicklung oder Neuentdeckung der dörflichen Gemeinschaft gesehen werden. Die klassische Schule mit der reinen Unterrichtsnutzung für SchülerInnen sollte in ein Konglomerat von Mehrgenerationennutzung, Nachmittagsbetreuung, Musikschule, Ganztagesschule überführt werden und durch seine Raumstruktur Flexibilität schaffen. Organisation und Koordination zwischen den einzelnen Beteiligten ist gefordert, Vorteil ist die gemeinsame Nutzung der Infrastruktur und die Aufteilung der Kosten. Laut Ursula Spannberger (RAUM.WERT.cc) gibt es ein Ungleichgewicht zwischen Erschließungs- und Unterrichtsflächen in bestehenden Schulen. In Beteiligungsprozessen sollen nun räumliche Synergien, wie sie auch Hemma Fasch in ihrem Projekt mit der Mehrfachnutzung von Räumen vorgestellt hat, mit dem Ziel einer Studie für Empfehlungsgrößen für unterschiedliche Nutzungen erarbeitet und analysiert werden.

Die Standortfrage
Standortentscheidungen für Schulen sollten individuell, je nach regionalen Begebenheiten, neben der demografischen Entwicklung, des Besiedelungsgrades, der Erreichbarkeit anderer Schulstandorte getroffen werden – nach eingehender Prüfung und Evaluierung. Dazu gehört auch die Anbindung an den öffentlichen Verkehr, die Zumutbarkeit des Pendelns, der Klimafaktor, die Finanzlage und die Regionalentwicklung. Neben diesen genannten Kriterien müsste vor allem der zeitliche Faktor mitberücksichtigt werden, denn Schulschließungen werden Jahre vor der eigentlichen Schließung beschlossen, sodass sich Änderungen in der Demografie, in den einzelnen vorhin genannten Punkten ergeben und dadurch Schließungen schlicht obsolet werden könnten.

Wo befinden sich die Handlungsebenen?
Es gibt nicht das eine Kochrezept, sondern jeder Fall muss individuell geprüft, evaluiert und geklärt werden. In der Schweiz liegt die Verantwortung näher an den AkteurInnen, hier wird die Schulleitung vom Ortsschulrat gewählt und die regionale Ebene in die Entscheidungen einbezogen. Auf diese Weise können Probleme in der Ebene betrachtet und gelöst werden, in der sie passieren. Starre Strukturen und strenge Hierarchien sind oftmals zu träge und können aufgrund von Instanzenwegen nicht sofort reagieren. Die Diskussion um die Abschaffung der Landesschulräte in Österreich und die damit einhergehende Zentralisierung bewirken genau das Gegenteil. Die Handlungs- und Entscheidungsebene muss in die Aktionsebene herabgesetzt werden, um rasch handeln zu können.

Kühn forderte in der Podiumsdiskussion des ersten Panels das Durchbrechen der Komplexität von Bund, Land und Gemeinde, um im Bedarfsfall schneller reagieren zu können. Barakat forderte zudem die Zielsetzung für längerfristige Lösungen und mehr Flexibilität in Bezug auf Beibehaltung von Schulstandorten. In der Podiumsdiskussion des zweiten Panels ging es um die Bedeutung der Erhaltung der regionalen dezentralen Schulstandorte als Chance der Entwicklung oder Neuentdeckung der dörflichen Gemeinschaft, während im dritten Panel auch die Bedeutung der Zusammenarbeit der einzelnen Akteursgruppen diskutiert wurde. Ein wichtiger Punkt sind Beteiligungsprozesse mit den HauptakteurInnen, den SchülerInnen, um deren Bedürfnisse kennenzulernen und in die Entstehung von Gemeindeleitbildern einfließen lassen zu können.

Fazit: Leerstand ist ein Motor für neue Entwicklungen, neue Strategien und Synergien. Er bietet die Chance in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten räumliche Strukturen neu zu definieren und wieder lebenswert und lebendig zu machen!

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