14/09/2017

It is only a movie*

Emil Gruber zur Wiederaufführung von Wilhelm Hengstlers Film Tief Oben (1994) am 15.08.2017 auf der Grazer Murinsel.

14/09/2017

Plakat-Scan, Wilhelm Hengstler

The Big Lebowski spielte anfangs nicht einmal seine für Hollywood sehr kargen Produktionskosten von 15 Millionen Dollar ein. Citizen Kane und Der Zauberer von Oz sorgten bei der Erstaufführung für große Platzauswahl in den dürftig besuchten Kinosälen und damit für verstärktes Nägelkauen bei den Produzenten. Katastrophale Kritiken zu Heavens Gate beendeten 1980 schlagartig die steile Karriere eines Michael Ciminos. Knapp zwanzig Jahre vorher kamen nach Peeping Tom Regisseur Michael Powell und Hauptdarsteller Karl-Heinz Böhm auf die schwarze Liste der großen Filmstudios. Manches, das als Kassengift begann, ist heute rehabilitiert und Teil der Filmgeschichte. Sind Publikumsgeschmack und Filmkritik zunächst die schnelle Kurbel nach hoch oben oder tief unten im sichtbaren Spektrum des cinematischen Universums, wirft sich immer wieder unerwartet versteckt ein anderes, langsameres Rädchen an: Kult ist die dionysische zweite Chance für schon Abgewertetes und Ausgedingtes, frische Neugier zu zünden.

In seiner reinsten Form ist Aragonit farblos und transparent. Er braucht die Finsternis, das Verkappte, das Innerirdische, um seine Form, seine Gestalt zu finden. Am Tage, in der Brechung des Lichts, werden die Einschlüsse und Fehler im Kristallgitter zu Strukturen, zu Farben, zur Eisenblüte. Erst dann entstehen beim Betrachter Begehrlichkeit oder Ablehnung,  Lob oder Tadel, das Ja oder das Nein.
1994 schürfte Wilhelm Hengstler in Eisenerz filmisch nach dieser Blüte. Tief Oben sollte ein Film werden, der davon erzählt, dass jede Heimat ein Schatzkisterl für echten Horror ist und die Legenden herum schrecklich zu sein haben. Der postmoderne Berg ruft nicht mehr, er lächelt konzeptionell in seinem Blut. Erlösung und Verdammnis waren auf Augenhöhe und zwinkerten. Es gab den sinistren Bürgeradel, die Ausgebeuteten, das Totem im Einst und Jetzt. Es wurde wiederauferstanden, heimgekehrt, Geheimnisse paarten sich. Hingabe führte zur Lust zum Opfer. Magie kam auf, säuberte das Neue bis es wieder alt wurde. Das aus dem Berg Gebrochene wechselte die Seiten. Und nicht nur in Hollywood machte John Landis Michael Jackson & Company in einem synchronen Thriller vortot, auch Hengstler ließ musikalische Wiedergänger in der Obersteiermark aufmarschieren; lange bevor bei Quentin Tarantino eine weitere sanguinische Band im Titty Twister von früh bis spät musizierte.
Trotz oder – um bei der Heimat zu bleiben – gerade wegen dieses breitbeinigen Gangs zu einem ausgiebigen Bad quer durch alle Genres, wurde Tief Oben von Kritikern nicht gerade liebevoll aufgenommen. Der Film war nach seiner Premiere sehr kurz im Kino zu sehen, verschwand für lange Jahre aus den Projektionsräumen. Mittlerweile beweisen junge Regisseure wie Marvin Kren mit Blutgletscher oder Dominik Hartl mit Angriff der Lederhosenzombies nicht nur die Bösartigkeit österreichischer Bergwelt, sondern auch, dass kein Film sortenrein sein muss, um erfolgreich Publikum ins Kino zu holen.
Willi Hengstlers Film kann als der Gevatter solcher Filme gesehen werden und hat inzwischen seine Anhängerschaft erhalten. Tief Oben ist zudem mit klingenden Namen besetzt: Peter Simonischek, Katharina Konstantin, Jürgen Golar, Gerhard Balluch und allen voran die Queen of Horror des 60er Jahre Films Barbara Steele. Independent Music Legende Hans Platzgumer und seine Band H.P. Zinker sorgen nicht nur für einen Großteil der Musik im Film, sondern übernehmen auch sehr eigene Rollen. Die atmosphärisch-wuchtigen Bilder stammen von Peter Zeitlinger, dem Lieblingskameramann von Werner Herzog.
Ja, Kult ist die dionysische zweite Chance….

*Zitat aus: Thriller von Michael Jackson

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