05/07/2022

ISG Symposium 2022: In Restauro: Denkmal- und Welterbeschutz.
Ganzheitliche Ansätze für einen zeitgemäßen Denkmalschutz
23.- 25. Juni 2022 in Graz

Thematisch ging das ISG Symposium 2022 der Frage einer zeitgemäßen Gesetzgebung für Baukultur-Erbe nach, und die professionelle Bandbreite der geladenen Referent:innen zeigt, in wie viele Sparten dieses Thema „ausartet“: von Architektur in allen ihren Spielarten über Kunsthistorik zur Denkmalpflege, Verwaltung und Justiz, Management und Politikberatung.

05/07/2022

Aufmerksames Publikum im Heimatsaal des Grazer Volkskundemuseums in der Paulustorgasse

©: Sigrid Verhovsek

Icomos-Präsidentin Caroline Jäger-Klein mit Grazer Vizebürgermeisterin und ISG-Präsidentin Judith Schwentner am Podium

©: Sigrid Verhovsek

Start der Exkursion im neu renovierten Minoritenkloster

©: Sigrid Verhovsek

Leider kein Badeteich… (außer für die Seerosen im botanischen Garten!)

©: Sigrid Verhovsek

Historisches Glashaus (1889, Wiener k.k. Eisenkonstruktionswerkstätte, Ignaz Gridl)

©: Sigrid Verhovsek

„Neues“ Glashaus (1995, Volker Giencke)

©: Sigrid Verhovsek

Das diesjährige ISG-Symposium hatte ein wenig von einem Familientreffen: Viele der internationalen Teilnehmer:innen treffen sich genau einmal im Kalenderjahr bei dieser Veranstaltung, und nach zwei Jahren Corona-Pause war am Abend des Donnerstages, dem 23. Juni 2022, die Wiedersehensfreude beim Stammpublikum groß. Die lauschige Atmosphäre des neu renovierten Grazer Heimatssaales – vor allem die Terrasse am Schlossberg! – bezauberte zusätzlich Gäste wie Grazer:innen.

Thematisch ging das Symposium der Frage einer zeitgemäßen Gesetzgebung für Baukultur-Erbe nach, und die professionelle Bandbreite der geladenen Referent:innen zeigt, in wie viele Sparten dieses Thema „ausartet“: von Architektur in allen ihren Spielarten über Kunsthistorik zur Denkmalpflege, Verwaltung und Justiz, Management und Politikberatung.
Die Ausstellungs- und Symposiumseröffnung erfolgte in souveräner Manier durch Neo-Geschäftsführerin Gertraud Strempfl-Ledl, die gemeinsam mit Karin Enzinger die Agenden des Internationalen Städteforums in Graz umfassend betreut.

Elsa Brunner, Leiterin der Abteilung für Denkmalschutz, Baukultur und Kunstrückgabeangelegenheiten, spricht gleich einige der wichtigsten „Baustellen“ an: Für den Schutz des Baukultur-Erbes brauche es eigentlich nur „logische“ im Sinne von im Interesse aller liegende Ansätze wie Verbesserungen im Ensembleschutz, steuerliche Anreize oder einen Denkmalfonds für die Erhaltung, sowie eine rechtliche Verankerung (bestenfalls in Form eines Bundesgesetzes) der baukulturellen Leitlinien.
Die auch finanziell durchaus lukrative Seite des Denkmalschutzes wird am nächsten Tag durch Andreas Kovar, Geschäftsführer von Kovar & Partners, in einem knappen, extrem informativen Beitrag bestätigt. Er erklärt, dass Kulturgüter neben ihrem kulturhistorischen Wert auch positive budgetäre Effekte für Bauwirtschaft, Tourismus oder Kulturvermittlung haben können, wenn sie entsprechend gesetzlich ermöglicht werden:

„Angesichts der aktuell angenommenen Sanierungsrate von 1 % und dem politischen Ziel von 3 % sollte eine Verdreifachung der Investitionen in Baudenkmäler auf jährlich € 480 Mio. angestrebt werden, die Gesamtinvestitionen in einer Größenordnung von € 750 Mio. bewirken würden.“

Icomos-Präsidentin Caroline Jäger-Klein ist diesmal sozusagen in mehreren Funktionen tätig: Sie spricht nicht nur über die rechtliche Entwicklung und den derzeitigen (Zu-)Stand des Welterbes, sondern präsentiert auch zusammen mit ihrem Kollegen Hannes Toifel die Ausstellung der Entwurfsarbeiten „ihrer“ Studierenden am Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege an der TU Wien über Konzepte und Gestaltung der Welterbestätte Eggenberg. Welterbe sieht Jäger-Klein nicht nur als Agenda der Denkmalschützer:innen, sondern als Querschnittsmaterie, bei der neben bildender Kunst und Technik, Handwerk und Forschung, Landschaft und Raumplanung, Städtebau und Architektur, natürlich auch Politik und Recht – bestenfalls eben alle eingebunden sein müssten. In ihrem Referat fällt ein bemerkenswerter Satz, in dem sie nicht nur auf die Problematik des Daches des Grazer Kaufhauses Kastner&Öhler verweist. Wie immer man zu dessen jetzigem Zustand stehen mag – Geschmacksfrage?: Das Projekt hat den Wettbewerb durch gewisse festgelegte Qualitäten gewonnen, aber die Endausführung weicht aus Kostengründen und Bauherrenwünschen so stark davon ab, dass sich das Architektenteam Nieto/Sobejano davon distanziert hat. Dennoch wurde von der Stadt Graz die Benützungsbewilligung erteilt – dies wäre tatsächlich ein, wenn nicht der einzige effiziente Hebel gewesen, um die versprochenen Eigenschaften zu erzwingen. Hier haben wir also ein bestehendes, im Rechtssystem gut verankertes Instrument, um die generelle Qualität von Architektur-Wettbewerben über die Jury hinaus wirksam zu schützen. Warum wird es vonseiten der Verwaltung nicht genutzt? Die ästhetischen Kriterien müssten nur als Auflagen im Bescheid definiert werden, und wären dann den Attesten anderer Professionist:innen gleichgestellt.
Vielleicht braucht es gar nicht noch mehr Gesetze, vielleicht sollten wir nur lernen, mit denen, die uns zur Verfügung stehen, richtig umzugehen. Tatsächlich wird ja andrerseits oftmals darüber lamentiert, dass es bereits zu viele Regelungen und Normen gibt, und für viele Grazer Einwohner:innen sind zum Beispiel die Zuständigkeitsbereiche oder auch der Möglichkeitsraum von Gremien wie Welterbe, Denkmalschutz, ASVK eher unbekannt bis unheimlich. Das bedeutet, dass vor oder mit der gewünschten engeren Gesetzgebung mehr Allgemein- und Grundlagen-Wissen über Baukultur, rechtliche Grundlagen und den politischen Einfluss einhergehen muss.

Aber zunächst wieder zurück zum ersten Abend dieses Symposiums: Ein Highlight nicht nur für Loos-Fans bildet der Vortrag von Architekt Burkhardt Rukschcio, der über die Renovierung des Hauses am Michaelerplatz referiert. Ein etwas trauriges Fazit nach einem extrem kurzweiligen und informativen Vortrag ist, dass eine derart detailgetreue Wiederherstellung heute wahrscheinlich gar nicht mehr geleistet werden könnte, weil zu viel von der Handwerkskunst oder von den für eine Fabrikation benötigten Maschinen verloren gegangen sind.
Am Ende des ersten Tages wird die zweite Auflage von „SOS Grazer Schule“ präsentiert: Der von Anselm Wagner und Sophia Walk herausgegebene Architekturführer handelt von herausragenden Bauten der 2. Hälfte des 20. Jh. in und um Graz. Einige dieser 125 nicht unter Denkmalschutz stehenden Bauwerke, die von Studierenden der Architekturfakultät der TU Graz dokumentiert wurden, sind massiv von der Abrissbirne bedroht, bzw. wie das „Haus Fuchs“ von Heinz Wondra bereits zerstört.

Der Symposiums-Freitag ist ein Marathon: 13 Vorträge stehen am Programm, flankiert von einigen Pausen mit wundervoller Verpflegung und noch besseren Gesprächen.
Nach der offiziellen Begrüßung durch die neue Grazer Vizebürgermeisterin und ISG-Präsidentin Judith Schwentner werden zunächst vor allem rechtliche Voraussetzungen bzw. Engpässe und Fehlstellen in Baukultur und Denkmalschutz erläutert: Präsident des Bundesdenkmalamts Christoph Bazil, Verfassungsjurist Manfred Matzka und der Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichtes Michael Sachs erläutern die geltende Gesetzeslage zum Thema Denkmalschutz und Welterbe. (Im neuesten ISG-Magazin „Welterbe im Recht?!“ findet sich ein ausführlicher Artikel von Manfred Matzka zu diesem Thema). Frank Altenburg von der Niederländischen Agentur für Kulturerbe und der Stadtbaumeister von Ladenburg André Rehmsmeier schildern ihre landesspezifischen Erfahrungen im Umgang mit Denkmalschutzpolitik und Stadtsanierung. ISG-Vizepräsident Nikolaus Ledergerber, Denkmalpfleger von St. Gallen, präsentiert im Anschluss das Davos-Qualitätssystem, das durch das New European Bauhaus zum europäischen Standard werden soll.
Politberater Andreas Kovar zählt Rahmenbedingungen für den Schutz von Bausubstanz auf: Es geht um ein Gleichgewicht zwischen dem Interesse der Eigentümer:innen und der Öffentlichkeit, den betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen und den geltenden gesetzlichen Anforderungen im Zusammenhang mit der Nutzung und den baulichen Maßnahmen – ein weiteres Argument dafür, dass es neben rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen auch fortwährende Bemühungen um eine Verbreitung des Wissens um Architektur bedarf.

Nachmittags wird es materieller: Welterbe-Managerin Anna Maria Boll berichtet über Bad Kissingen, die Direktorin der Villa Tugendhat Iveta Cerna spricht über die Betreuung dieser Architekturikone von Mies van der Rohe, Welterbe-Referentin Sabine Ambrosius erklärt Herausforderungen und Strategie im Umgang mit den Siedlungen der Berliner Moderne, bevor Birgit Knauer vom Forschungsbereich Denkmalpflege und Bauen im Bestand an der TU Wien nochmals auf die Schwierigkeiten mit Sichtbarkeit von und Bewusstsein um das „Junge Erbe“ an Baukultur eingeht: Hier schließt sich der Kreis ein wenig, diese Thematik betrifft genau jene Anliegen, die tags zuvor anlässlich der Zweitauflage von „SOS Grazer Schule“ angesprochen worden waren.

Der dritte Tag des Symposiums bietet den traditionellen Fieldtrip, diesmal – wozu in die Ferne schweifen? – im Welterbe Graz: ein Wandertag der Baukultur-Fans sozusagen. (Trotz großer Hitze waren es mindestens 10.000 Schritte!)
Architekt Peter Grabner erläutert die Renovierung des Minoritenklosters und als „kleines Extra“ auch die Sanierung des Grazer Doms (größtes Entzücken wurde durch die wieder freigelegte gotische Seitentür im Altarraum ausgelöst!), bevor wir von Bauforscher Markus Zechner sowie von Christine Klug und Markus Bogensberger vom Land Steiermark durch die Grazer Burg geführt werden und einiges über den neuen Masterplan und auch den anstehenden Wettbewerb erfahren. Landeskonservator Christian Brugger füttert die wissbegierige Symposiumstruppe mit zusätzlichen Hintergrundinfos.
Geteilt sind die Meinungen zum unbestritten imposanten Umbau der Universitätsbibliothek, die trotz Wochenende von Studierenden wimmelt, und durch die Magnus Griesbeck vom Atelier Thomas Pucher führt.
Den entspannten offiziellen Schlusspunkt der Exkursion bildet die Besichtigung des renovierten historischen und wunderbar jugendstil-türkisgrünen Glashauses der Universität mit dem wissenschaftlichen Leiter Christian Berg und der Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit am Institut für Pflanzenwissenschaftler, Ursula Brosch.
Viele Symposiumsteilnehmer:innen nutzen anschließend die Gelegenheit, auch „die Botanik“ im Glashaus von Volker Giencke zu besuchen und sich nach drei aufschlussreichen, diskussionsintensiven, aber auch anstrengenden Tagen ein wenig dem exotischen Dschungelfeeling hinzugeben.

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