27/09/2017

herbst-Metamorphosen

Wilhelm Hengstler zum 50. Festival steirischer herbst.

Noch bis 15. Oktober 2017 sind zum Motto Where Are We Now? diverse Positionen in Graz und der Steiermark zu erleben.

27/09/2017

Isabel Lewis, 'An Occasion'. Festivalzentrum im Hof des Palais Attems

©: Wolf Silveri

Mette Ingvartsen, 'to come (extended)'. Helmut-List-Halle

©: Wolf Silveri

Mette Ingvartsen, 'to come (extended)'. Buffet, Helmut-List-Halle

©: J.J. Kucek

Der letzte steirische herbst unter der Intendanz von Veronika Kaup-Hasler flutscht. Erster Höhepunkt noch vor seinem Beginn war die fulminante Festrede des Komponisten Georg Friedrich Haas bei der von der Landesregierung ausgerichteten Jubiläumsfeier. Haas rührte gleich an mehrere Tabus. Er setzte den neutralen Worthülsen der Politiker und den aufmüpfig-harmlosen Späßchen von Pia Hierzegger eine atemberaubende Subjektivität entgegen, die aber immer symptomatisch blieb. Während der steirischen Nachkriegszeit, erzählte er, wurden die alten Kameraden übernommen, und wenn es keine Posten für sie gab, eben neue geschaffen. Ausgehend von seinem eigenen, nationalsozialistisch geprägten Elternhaus schilderte Haas seine Flucht aus diesem Umfeld in die Kunst. Der Musiker suchte Identität bei Vorbildern einer internationalen Avantgarde wie John Cage und erklärte die düster-aggressive Seite der hiesigen Avantgarde, sei es Elfriede Jelinek, der Wiener Aktionismus mit Brus oder Schwarzkogler oder Thomas Bernhard, aus der österreichischen Weigerung die Nazivergangenheit aufzuarbeiten. Das Verhältnis zwischen herbst-Künstlern und -Kritikern beschrieb er als wechselseitige Abhängigkeit: War die konservative Kulturkritik eine straflose Variante der "Wiederbetätigung" für die einen, so bezogen die anderen, die Künstler aus ihrem Protest dagegen kreative Energien. Als Haas die zuvor reichlich beschworene Legende von Hanns Koren ("Heimat ist Tiefe, nicht Enge") leicht hinterfragte und am Ende mutmaßte, dass noch jetzt, hier im Publikum wahrscheinlich Nazis sitzen würden, wurde es beinah ungemütlich. So genau hatte man es gar nicht wissen wollen. Aber schließlich gab es standing ovations für einen Höhepunkt der schwer zu toppen sein wird.
Weder bei Haas noch im Herbstbuch werden die beiden Landeshauptleute Josef Krainer und vor allem Josef Krainer jr. erwähnt. Dabei lag es vor allem in deren realer Macht den „herbst zu lassen" (oder eben nicht). Die Geschichte des Festivals bleibt unvollständig ohne die großen herbst-Feste in Schloss Eggenberg, zu denen Scharen von Kultur- und Trinkwilligen durch die Eggenberger Allee den nur mit Kerzen erleuchteten Sälen zuströmten. Diese barock anmutenden Feste bedeuteten für die Museumsleute verheerende Barbareneinfälle, "Beggar`s Banquet" eben. Aber was für eine kulturpolitische Botschaft! Die Begegnungen zwischen internationalen und regionalen Künstlern, Politprominenz und stadtbekannten Alkoholikern, Adabeis und Publikum wirken heute wie Träume aus einer entlegenen, kulturpolitischen Provinz.
Die Rückblicke zum fünfzigjährigen Bestehen des steirische herbst behandeln vor allem die Ära der Intendanten. Lehren ließen sich allerdings auch aus seiner Gesamtgeschichte ziehen. Während der ersten Jahre erstellten die "Kulturdampfer" Schauspielhaus, Forum Stadtpark, Oper, Musikprotokoll, Steirische Akademie, Neue Galerie (vor allem in der Regie von Weibel) gemeinsam das Programm. Bald kristallisierte sich ein mehrköpfiges "Direktorium" heraus (u.a.: Breisach, Haberl Kolleritsch). Diese "heroische" Zeit des steirische herbst wird erhellt von geradezu vulkanartig hochschießenden, hiesigen Talenten, die gemeinsam mit internationalen auftreten. Das Direktorium klagte damals allerdings auch immer heftiger, dass wegen der Abhängigkeit der schwer lenkbaren, anderen Institutionen ein stimmiges Gesamtprogramm kaum realisiert werden könne. Um dem abzuhelfen wurde 1983 mit Peter Vuijca, ein erster Intendant ernannt, und gleich kam großes Unbehagen auf, da das Intendantenprinzip von vielen als Enteignung empfunden wurde. Später folgten Haberl und Frisinghelli, wobei allen dreien gemeinsam war, dass sie der hiesigen Szene und den ursprünglichen Institutionen entstammten. Mit Peter Oswald (der zuvor das Musikprotokoll mit ansteckender Leidenschaft geleitet hatte) und Veronika Kaup-Hasler wurden dann Professionalisierung und Internationalisierung wichtiger. Überspitzt ließe sich sagen: Wurde während der ersten Phasen internationale Wirkung aus regionalen Anstrengungen erzielt, entwickelte sich später ein Trend zum internationalen Agieren mit regionaler Wirkung: Wenn man in etwa die Intendanten- mit einer Kuratorentätigkeit gleichsetzt, ließe sich sagen: Die herbst-Intendanz wurde mit einem zehnjährigen Timelag nach der erfolgreichen Durchsetzung des Kuratorenprinzips durch Szeeman auf der Dokumenta 5 realisiert. Ohne die Verdienste von Kaup-Hasler zu schmälern, die den herbst vor allem für ein jüngeres Publikum geöffnet hat, ist die kulturpolitisch pragmatische Fortschreibung des Intendantenprinzips doch etwas lähmend. Vor allem unter dem Aspekt, dass die Dominanz der Kuratoren (und Intendanten) in letzter Zeit immer vehementer hinterfragt wird. Vielleicht wird der steirische herbst 2027 mit dem üblichen Timelag von zehn Jahren wieder neu aufgestellt.

Einstweilen flutscht der letzte herbst der Ära Kaup-Hasler aber noch. Die Eröffnung des Festivals mit Mette Ingvartsens to come (extended), eine Auseinandersetzung mit der Sexalisierung der Gesellschaft riskierte durchaus eine Konfrontation, wurde aber vom Publikum begeistert aufgenommen. In einem flachen, rechteckig in die Listhalle eingebauten Amphitheater konnte man den Auftritt von 15 gesichtslosen Schaufensterpuppen in körperengen, türkisfarbenen Trikots verfolgen, die auf mattweißem Grund das pornografische Stellungsalphabet durchexerzierten. Obwohl in viele Richtungen deutbar, vermittelte der Abend vor allem eine Erzählung vom entfremdeten Konsumsex zu gemeinsamer, lustvoller Kommunikation: Nach ihrer kommerziellen Sexualakrobatik mit sterilen, befremdlichen Bildern, traten die Tänzer nackt auf, um ironische Lustlaute zu intonieren. In einem dritten, befreienden Akt legten sie dann – natürlich wieder nackt – einen langen, euphorischen Tanz hin. Und danach gab es noch eine Steigerung: Nach großem Applaus für die Tänzer wurde das Buffet auf einer mindestens zehn Meter langen, gleichfalls türkisblauen Tafel hereingeschoben: Entwurf: Mette Ingvardsen; Kunst, Trinken, Essen, alles gut.

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