29/05/2019

Es ist Zeit, etwas anderes auszuprobieren

Martin Grabner zum Vortrag Green is the New Black von Phineas Harper, Kurator des Architekturpreises des Landes Steiermark 2019, am 8. Mai 2019 im Haus der Architektur Graz

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29/05/2019

Green is the New Black' Vortrag von Phineas Harper, Kurator des Architekturpreises des Landes Steiermark 2019, am 8. Mai 2019 im HDA Graz

©: Thomas Raggam

Phineas Harper im HDA Graz

©: Thomas Raggam

Phineas Harper im HDA Graz

©: Thomas Raggam

Glaubt man den hochglanz-gerenderten Versprechungen der Architekturmagazine, retten ArchitektInnen permanent die Welt. Alles ist grün und nachhaltig. Foster + Partners errichteten in London mit dem Bloomberg Building das „most sustainable office building“, die Müllverbrennungsanlage von BIG bläst, ganz abgesehen von der coolen Skipiste auf dem Dach, bald den „cleanest smoke in the world“ in den Kopenhagener Himmel. Die Bilder und Slogans belegen: Wir wissen wie wichtig – überlebenswichtig – klimabewusstes und nachhaltiges Bauen ist. Allein wir wissen noch immer nicht wirklich, wie die Architektur dafür aussehen muss. Großbritanniens erstes Plus-Energie-Haus von 2015 war ein Einfamilienhaus und „hässlich wie ein Abfalleimer“. Das Produkt hinkt in jeglicher Hinsicht den vollmundigen Ankündigungen hinterher.

Mit dieser doch ernüchternden Bestandsaufnahme eröffnete der Londoner Architekturkritiker und Designer Phineas Harper seinen Vortrag Green is the New Black im Haus der Architektur. Harper, Co-Director des Think Tanks The Architecture Foundation und Kurator der im September eröffnenden Oslo Architecture Triennale 2019, ist auch Kurator des Architekturpreises des Landes Steiermark 2019 und war dafür vor zwei Wochen in Graz.
Er wäre nicht einer der Shootingstars der Szene, würde er es bei der Analyse der bestehenden Situation belassen. In prägnantem, teils provokantem Stil, aber immer mit rationalen Argumenten, plädiert er dafür, dass die architektonische Beschäftigung mit der globalen Erwärmung nicht zwangsläufig in Exceltabellen enden muss, die den PlanerInnen alle Entscheidungen abnehmen, dass das nicht das Ende der Architektur bedeuten muss. Im Gegenteil: es könne der aufregendste Moment in der Geschichte der Architektur werden. Dafür muss man aber vieles über Bord werfen, Strukturen aufbrechen und Neues wagen.
Harper spannt seinen Vortrag über mehrere Ebenen, ganz dem holistischen Denken entsprechend, das nötig ist, um die Welt zu retten: Von wirklich smarten Materialien über die grundsätzliche Infragestellung des wachstumsfixierten Wirtschaftssystems bis zu Gedanken zum kulturellen Wert der Architektur.

Angesichts der anthropogenen Klimakrise haben wir keine Zeit mehr, die graue Energie für nachhaltige Neubauten rechnerisch auf 100 Jahre aufzuteilen (die sie dann hoffentlich auch halten) denn sie erwärmen das Klima jetzt. Die kontinuierliche Verbesserung und Weiterentwicklung des existierenden Gebäudebestandes könne eine ressourcensparende Alternative zum Bauen für die Ewigkeit sein. Diese „Architecture of Repair“ hat unzählige Vorbilder im vernakulären Bauen, etwa Lehmbauten bei denen sogar die Aufstiegshilfe für die jährliche Erneuerung der obersten Lehmschicht mit eingeplant ist (und oft als konstruktives oder dekoratives Element missinterpretiert wird). Dem häufigen Argument, der Arbeitsaufwand für die Wartung und Erneuerung wäre heute unbezahlbar, hält Harper die regelmäßig notwendige, aufwändige Reinigung vollverglaster Hochhausfassaden entgegen, die sehr wohl leistbar ist.
Einen Aspekt einer wirklich smarten Zukunft sieht Harper in einfachen Wandaufbauten und Materialien. Das was uns oft als smart verkauft wird, ist innovativ und spannend, aber meist zu kompliziert. Als tatsächlich schlau betrachtet er intelligente Anwendungen von Stein, solide Lehm- oder Holz-Lehmkonstruktionen die zugleich tragen und dämmen können, oder experimentelle Ziegel aus Papier oder sogar Pilzen die je nach Einsatzgebiet ihre natürlichen Qualitäten ausspielen können.

Die zentrale Herausforderung liegt für Harper aber in der unumgänglichen Änderung des, zumeist als alternativenlos bezeichneten, neoliberalen Wirtschaftssystems. Seit Friedrich Hayek wird Wert durch Nachfrage bestimmt, hochgehalten wie ein Naturgesetz. Karl Marx hingegen leitete den Wert eines Produkts aus der Menge der investierten Arbeit ab. Harper regt ein Nachdenken über alternative ökonomische Wertdefinitionen an und nennt als Beispiel die Feminist economy, in der die, noch immer meist von Frauen geleistete, Hausarbeit mit professioneller Arbeit gleich bewertet und damit auch gleich entlohnt wird.
Das Grundproblem sieht er in der Wachstumsökonomie. Nur was das Bruttoinlandsprodukt erhöht wird als wertvoll betrachtet. Was für das BIP gut ist, ist aber nicht immer gut für die Gesellschaft. Am Laufen gehalten wird das System von permanentem Wachstum. Die Natur kennt aber kein ewiges Wachstum, irgendwann kommt jedes Wachstum durch limitierende Faktoren kontinuierlich oder abrupt zum Stillstand. Dieser limitierende Faktor für unser Wirtschaftssystem könnte die Erderwärmung durch den CO2-Ausstoß sein, der mit dem Wirtschaftswachstum korreliert. Ist eine kritische Temperatur überschritten, wird eine Kette von Folgeprozessen ausgelöst, die zum Ende des Wachstums und im Worst Case auch der menschlichen Zivilisation führen. Das von Harper propagierte Modell des Degrowth als Alternative zum unmöglichen ewigen Wachstum klingt zunächst utopisch. Im Vergleich zu techno-optimistischen Utopien wie der baldigen Besiedelung und Urbarmachung anderer Planeten mit Hilfe von Terraforming erscheint es dann aber doch wieder vergleichsweise realistisch.
Dépense (frz.: Kosten) wird im Zusammenhang mit Degrowth als die kulturelle Energie verstanden, die in vordergründig Unproduktives fließt, keinen externen Output erzeugt, sehr wohl aber einen intensiven kulturellen Output. Dazu zählen Tätigkeiten wie Kunst und Spiel, Tradition und Religion, oder auch die Romanze. In der Architektur können das Bauten für Brauchtum, Spiel, aber auch Erinnerung sein. Architektur der Dépense ist Architektur als kulturelle Leistung, die sich nicht in Maßstäben der Effizienz rechtfertigen muss. Und es auch nicht soll.
Die Architektur ist aber auch ein essentieller Bestandteil der notwendigen gesellschaftlichen Veränderung. Sie transformiert unsere kapitalistisch angelegten und organisierten Städte um in ihnen eine post-kapitalistische Gesellschaft zu ermöglichen. Harper ist überzeugt, dass diese grundlegende Veränderung des Wirtschaftsmodells passieren muss, um die ökologischen und sozialen Herausforderungen bewältigen zu können. Die einzige Frage, die sich noch stellt, ist, ob wir das begreifen wenn uns alle Ressourcen ausgegangen sind und uns das Wasser buchstäblich bis zum Hals steht, oder ob wir es jetzt (ohnehin schon spät genug) angehen und noch die Möglichkeit haben, den Wandel zu gestalten.

In einem spannenden Bogen greifen bei Phineas Harper die Themen und Ebenen scheinbar mühelos ineinander und führen logisch, aber nur selten ideologisch vom einen zum anderen. Derart inspiriert möchte man gerne glauben, dass die Rettung der Welt mit Architektur möglich ist. Und das dabei ein neues, freudvolles Verständnis von Architektur entstehen kann. In Harpers Worten: Es ist Zeit, etwas anderes auszuprobieren.

Karin Tschavgova

Großen DANK!, dass GAT mir, die ich am Tag dieses Vortrags nicht in Graz sein und ihn deshalb nicht hören konnte, durch diese sehr gute Rückschau und Zusammenfassung ermöglicht, zu erfahren, was Phineas Harper unter dem etwas kryptischen Titel seines Vortrags meinte und uns zu sagen hatte. Dass sich auch und besonders Architekten und Architektinnen mit diesem Thema intensiv auseinendersetzen müssen, liegt schon in der ethisch-moralischen Grundlage ihres Tuns begründet. Dass sie dazu gute, aufgeschlossene Partner - Auftraggeber, Entwickler - und effiziente Vorgaben brauchen, ist klar. Aber in den Grundsätzen ist das Bauen als Aufgabe der Architekten und Architektinnen einerseits und Umweltschutz, Zurücknahme von Eigeninteressen und überlegter sparsamer Einsatz von Ressourcen andererseits, denke ich, kein Widerspruch. Schwer schon .... Aber dann wären der Architekt, die Architektin wieder Generalisten im besten Sinn des Begriffs.

Mi. 29/05/2019 10:34 Permalink

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