13/09/2010
13/09/2010

Bilder von der Ausstellung herms FRITZ "Denn Stückwerk ist unser Erkennen - Fragmente eines Teppichs in Bildern", in der Turmkammer der Basilika Mariazell (bis 2.11.). Foto: Zita Oberwalder

Foto: Zita Oberwalder

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Herms Fritz und Erika Thümmel. Foto: Zita Oberwalder

Herms Fritz in concert mit Krahfeda, am 30.07. im Dachstuhl der Basilika Mariazell. Im Bild mit Armin Pokorn (li).

Foto: J. Kuss

Foto: J. Kuss

Der Künstler und Musiker Herms Fritz zeigt bis 2.11. in der Basilika Mariazell seine Ausstellung "Denn Stückwerk ist unser Erkennen".

Das ist meine erste Pilgerfahrt. In einem großen Bus, in dem doch einige Plätze freigeblieben sind, begibt sich eine kleine Gruppe auf den Weg zur berühmtesten Wallfahrtskirche Österreichs, zur Basilika von Mariazell. Sie ist ein dominantes Bauwerk, die Mischung aus gotischem und barockem Stil wirkt befremdlich, ihre Umgebung ist ganz auf die Wünsche und Bedürfnisse der Pilger ausgerichtet. Aber an diesem letzten, regnerischen Julitag ist nicht nur die kleine Ortschaft sondern auch die Basilika wie leergefegt.

Der Anlass für meinen Besuch ist eigentlich ein Konzert von Krahfeda – die sich selbst als "Styrian Trash Gruppe" bezeichnet – im Dachstuhl der Kirche. Das Konzert ist vielmehr eine Performance, die im Rahmen der Ausstellung "Denn Stückwerk ist unser Erkennen" von Herms Fritz stattfindet. Es ist die zweite Ausstellung in der Reihe "zwischennordsüdTURM". Schaut man sich die Biographie von Herms Fritz an, scheint er ein Mensch mit vielen Talenten zu sein: Zeichner, Maler, Konzept-Künstler, Graphic Designer, Lyriker und vieles mehr. Und Krahfeda wurde nicht nur von ihm gegründet, er ist auch deren Frontmann. Zum zweiten Mal also findet in der Basilika eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst statt, nachdem Superior Karl Schauer und Erika Thümmel mit den Architekten Wolfgang Feyferlik und Susanne Fritzer (Feyferlik Fritzer) den Innenraum neu gestalteten und konzeptuell definierten (1). Was die inhaltliche Ausrichtung betrifft, möchten die Leiter des Projekts Künstler einladen, die in einer gewissen Weise auch auf den Ort Bezug nehmen.

Plötzlich erklingen Glocken. Allerdings handelt es sich dabei nur um eine Einspielung. Es ist die ironische Einführung in das Konzert und erinnert gleichzeitig an die Glocken einer Kirche wie an den Pausengong einer Schule. Anschließend herrscht lange Stille, die Spannung und eine eigenartige Stimmung erzeugt, bevor Herms Fritz elektrische Klarinette – ein sogenannter Wind Controller – erklingt. Das Musikstück besteht aus drei Sätzen, in die rezitierte Texte (2) eingeflochten werden. Wort und Musik bleiben aber voneinander getrennt. Der erste Satz klingt wie eine langsame Eroberung des Raumes. Dann kommt Herms Fritz Stimme vom Band, die eigentlich einen göttlichen Monolog führt: Gott leiht sich die innere Stimme eines Menschen aus, um sich an ihn zu wenden. Es sind Betrachtungen an der Grenze zwischen Philosophie und Religion, über das Sein des Glaubens, des Zweifels, der Ratio und die Möglichkeit eines unabhängigen Denkens. „Ich bin nicht beweisbar - nicht widerlegbar.“ Experimentfreudige Musik wechselt zwischen atonalen und dann wieder außerordentlichen Melodien und schräg harmonischen Passagen, aus der Improvisation entsteht eine gleichsam brachiale Energie. Der Sound der Percussion-Instrumente, wie etwa der Waldteufel aus Indonesien und andere indischer Herkunft, geben der elektrischen Gitarre und der Klarinette Kontra und wecken Assoziationen an eine heidnische Musiktradition. Der theatralische, humorvolle und manchmal zynische Text ist lediglich ein Geständnis, er erzählt von der Nachsicht dem unvollkommenen, ängstlichen, feigen, abhängigen Menschen gegenüber. Der Text sowie die Musik gehen aus einem produktiven Zweifel, aus dem Widerstand gegen die rationale Kontrolle hervor und sie versuchen diese Kategorien zu vermitteln. „Alles ist Gestammel“ ruft Gott/Fritz in einer abgeschwächten Form der sokratischen Unwissenheit. Ein sardonisches (diabolisches?) Gelächter beendet das Stück mit ernster Leichtigkeit.

21 Digiprints auf Leinwand bilden – die auf den 1. Korintherbrief bezogene – Ausstellung „Denn Stückwerk ist unser Erkennen“. Die intensiven Farben, weiß umrandet, kontrastieren die Strenge des hohen und engen Raumes mit seinen rohen Steinmauern. Mehr noch, sie animieren ihn. Dazu trägt das Display bei. Die Bilder hängen ohne Rahmen an gespannten, dünnen und leicht sichtbaren Kabeln, die mit einem gewissen Abstand den Mauern entlanglaufen. Ihre Oberflächen werden dadurch locker, manchmal leicht uneben, als ob sie sich bewegen würden. Gescannte photographische Elemente sind mit Farbfilter oder Farbfüller unterschiedlichster Art bearbeitet worden. Die Struktur der Bilder ist sich stets ähnlich: Formen, die aus einem patchwork von scheinbaren Stoffstücken entstehen und manchmal wie Symbole aussehen, werden vor rasterartigen Hintergründen platziert. Der Seitenschatten rund um die Formen verleiht den Eindruck der Vielschichtigkeit. Jedes Bild wird durch die Hintergründe differenziert: ein gelbes Muster mit Punkten, eine blau-violette Holzfassade, ein schwarz-weißes und psychedelisches Muster oder ein handgeschriebenes Rezept fungieren als scheinbare Unterlage. Die Farbpalette wird von der Redundanz oranger, violetter und blauer Tönen bestimmt: keine Grundfarbe wird benutzt und die Farben werden immer von anderen verunreinigt, als ob sie von einem „schmutzigen“ Druckraster erzeugt wurden. Die Farbe ist Materie mit Spuren. Verschiedene Stofflichkeiten und Texturen, sowie scheinbar aufeinander liegende Ebenen entstehen. „Fragmente eines Teppichs in Bildern“, so der Untertitel der Ausstellung. Alles ist aber optische Täuschung, da die Bilder eigentlich eine glatte, gedruckte Leinwand sind. Der Einführungstext spricht von „Computermalerei“, wohl eher sollte man von malerischem und collageartigem Design sprechen.

Die Kontraste zwischen Oberfläche/Raum, Allover/Tiefenschärfe, Abstrakt/Konkret tragen zur Verwirrung der Wahrnehmung und der scheinbar klar definierten Kategorien bei. Herms Fritz hat mental maps gezeichnet, mit ländlichem Hauch. Das Fragment 08 ist mir gut in Erinnerung geblieben: ein Monolith „steht“ in einer collagierten Landschaft, die durch die Silhouette eines Waldes, eines Berges und einer Zone abstrakter grüner Muster evoziert wird. Ein rätselhaftes, mehrfach konnotiertes Symbol in einer Science-Fiction-Vision. Die interessantesten Bilder sind diejenigen, die zwischen verschiedenen Darstellungsarten und Bezugsebenen in einem konstanten Flimmern oszillieren, ohne sich entscheiden zu können. Vermutung, Annahme, Subjektivität, Glaube werden in den Bildern und in ihrer "musikalischen Begleitung" vermittelt. Auf eindeutige Symbolik wird verzichtet, genauso wie "der Blick auf das Ganze uns verwehrt ist". Sie wird sogar spöttisch behandelt, wie etwa durch die Anzahl der Bilder in der Serie: 21, eine hochsymbolische Zahl (3). Ein kleines quadratisches Booklet, das Design ist von den Neunzigern geprägt, begleitet die Ausstellung. Dort findet man nicht nur einleitend die Biographie des Künstlers, die mit einem photographischen Portrait von Fritz behübscht wurde, sondern auch eine Mini-CD.

Nach dem Konzert gehen wir noch zu einem kleinen, sehr angenehmen Empfang in der unmittelbaren Nähe der Kirche. Herms Fritz ist auch da. Ich gestehe: Ich kannte ihn vorher nicht. Wir sprechen über seine Musik, die er mit Krahfeda macht und die Thematisierung des Göttlichen während des Konzerts (sein Atheismus bringt ihn dazu, sich für das System des Glaubens zu interessieren); wir sprechen auch über Virtuosität und Improvisation (seine Verweigerung der Repetition und des Übens) und vor allem über seine Beziehung zu Religion und Philosophie bzw. Existentialismus (er schätzt Sartre und Camus). "Unsere Wahrnehmung ist Stückwerk." Herms Fritz ist Existentialist und Atheist… aber auch ein bisschen Epikureer. "Also – ich bin der Jesusknabe, Maria hat gekocht und wartet mit dem Essen. Zufrieden?" -"Ja?"

herms FRITZ
zwischennordsüdTURM 10.2: herms FRITZ
"Denn Stückwerk ist unser Erkennen"
Fragmenete eines Teppichs in Bildern
Kuratorin: Erika Thümmel

Veranstaltungsort: Basilika Mariazell, Turmkammer
Ausstellungsdauer: 16.06. bis 02.11.2010
Öffnungszeiten: jeweils Fr, Sa, So, ganztägig und nach telefon. Vereinbarung.

Infos zur Ausstellung: ++43 (0)3882/2595

(1) Von 1998 bis 2009 sind unterschiedliche Teile der Basilika renoviert bzw. umgebaut worden. Von Anfang an bestand der Plan, im Bereich der Turmkammern jährliche zeitgenössische Kunstausstellungen zu organisieren.
(2) Von Herms Fritz geschrieben und vorgelesen.
(3) In der Bibel kommt die Zahl 21 sehr häufig vor. Jesus erscheint in 21 verschiedenen Orten Palestiniens. Das Envangelium des Heiligen Johannes besteht aus 21 Kapitel, usw.

Verfasser/in:
Anne Faucheret, Rezension
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