01/04/2020

CORONA GEDANKEN 04

Zeit der Krise

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01/04/2020

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©: Emil Gruber

Ein Outing am sonnigen 19. März 2020

Ich sitze im Garten. In meinem eigenen Garten. In meinem eigenen Haus, in der Stadt Graz, keine 15 Öffi-Minuten vom Zentrum entfernt. Nicht nur in Zeiten wie diesen ist das ein unbeschreibbar großes Privileg, nicht erst seit der Corona-Krise ist mir das bewusst. Ich kann hinaus ins Grüne, ich kann schon den Tag beginnen mit einem Rundgang in meinem Garten, kann, wie heute am Morgen, entdecken, dass quasi über Nacht die Sternmagnolie erblüht ist und dass der riesige Kriecherlstrauch mit den kleinen Früchten, die keine Kerngeher sind, wieder übersät ist von Blütenknospen. Ich ernte meinen ersten Vogerlsalat und spüre eine seltene Beglückung, wenn ich daran denke, dass das Gartenjahr erst beginnt.
Dieses Glück der gerade noch wärmenden Sonne, wenn ich, mit Laptop ausgerüstet, in unserer Laube sitze, kann ich jetzt nicht mit meinen Freunden, mit Euch teilen. Später, im Juli, da könnt Ihr dann gerne kommen und euch einen Korb von Früchten, den kleinen gelben, schütteln (solange der Vorrat reicht). Ihre Marmelade schmeckt köstlich.
Was ich sonst noch weitergeben kann, ist etwas, das ich praktiziere, seit ich hier lebe, hier leben darf in diesem schönen Haus. Wer so privilegiert wohnt wie ich, der kann auch etwas zurückgeben. Genau genommen gebe ich nicht, sondern verzichte ich auf etwas. Ich benütze mein Auto in der Stadt nicht. Ich fahre mit dem öffentlichen Bus oder der Bim und bei gutem Wetter unten, in der Ebene, mit dem Fahrrad. Das Auto wird nur ausnahmsweise gestartet, etwa, wenn eine Bierkiste transportiert werden muss oder wenn eine Einladung bis nach Mitternacht ausgedehnt werden könnte (jetzt also nicht). Ich brauche es kaum, im Sommer fast nie, denn uns zieht es von hier, von unserem kleinen Paradies, auch vom sommerschönen Graz aus nicht zum Urlaub in andere Länder.
In Zeiten, als über das Wohnen und guten Wohnungsbau noch mit Entscheidungsträgern diskutiert werden konnte, also in ferner Vergangenheit, da kam ein der Zukunft geschuldetes Credo auf, das besagte, Städte- und Wohnungsbau müsse für die Zukunft so geplant sein, dass die Stadtbewohner nicht bei jeder Gelegenheit, an jedem Wochenende oder pünktlich bei Beginn der Ferien von zu Hause flüchten, nicht stets das Bedürfnis haben, sich ins Auto zu setzen und hinaus fahren zu wollen ins Grüne, aufs Land. Der Film Der Stoff, aus dem die Träume sind, in dem sechs gemeinschaftliche Wohnprojekte gezeigt werden, hat mir ein paar Dinge mehr als Herausforderungen und Vorzüge eines Lebens in freundschaftlicher Gemeinschaft deutlich gezeigt: Erstens, dass es auch möglich ist, den Traum vom „Sommer auf Balkonien“ auch in der Stadt zu verwirklichen und zweitens, dass Wohnraum schaffen mehr bedeutet als (selbstredend: gute) Wohnungen zu planen, weil das Umfeld jedes Wohnhauses, jeder Siedlung genauso wichtig ist. Über die Vorzüge der Terrassenhaussiedlung, etwa ihre autofreien baumbestandenen Höfe, wurde hinreichend berichtet, auch im erwähnten Film. Die Qualität der Eisteichsiedlung, einer der größten des Wiederaufbaus um 1960, liegt für mich am großzügigen Grün, im zaunlosen Freiraum, der die Häuser umgibt. Was an beiden Siedlungen zum besonderen Plus wird, ist das grüne Areal der ehemaligen Eustacchio-Ziegelfabrik mit seinen Wiesen, den Skater-, Fußball- und Basketballplätzen und dem verwilderten Grün des angrenzenden Waldes. (siehe Link rechts)
Beobachten Sie einmal einen Nachmittag lang die Kinder und Jugendlichen dort. Sie bewegen sich anders, sind behände und flinker als Stadtkinder sonst. Und sie sind ganz offensichtlich gerne draußen. Auch das kann gute Stadtplanung schaffen.
Hubert Rieß hat einmal eine Wohnsiedlung geplant, in der er das private Erdgeschoßgrün vor dem Wohnzimmer der Bewohner im Erdgeschoß verweigerte zugunsten einer großen Wiese mit gemeinsam angelegten Gemüsebeeten in der Mitte zwischen den Wohnhäusern. Kein 45 m2 Grün mit Terrasse und eigener, allein benützter Schaukel oder Plastikrutsche. Das hat mir gefallen damals.
Nun wäre wieder Zeit für programmatische Überlegungen zu einem guten, einen „zukunftstüchtigten“ Wohnungs- und Siedlungsbau, der kleine und große Fluchten an jedem Wochenende unnötig macht und die, die sich das nicht leisten können, an das minimale, lieblos eingerichtete Abstandsgrün bindet.
Es ist mir bewusst, dass mein privilegiertes Leben nicht vergleichbar ist mit dem anderer Stadtbewohner und Stadtbewohnerinnen. Mit dem Versuch, meinen ökologischen Fußabdruck konsequent zu verkleinern, kann ich, nach meinem Verständnis, etwas zurück- oder weitergeben. Und außerdem, ganz ohne Programmatik: Kommt uns besuchen im Garten, wenn dies wieder möglich ist.

PS: Seit ich diesen Text spontan geschrieben habe, ist es kalt geworden, keine Möglichkeit mehr, draußen zu sitzen. Der Blick ins Grüne bleibt, auch das eine kleine Fluchtmöglichkeit.

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