25/09/2012

Volker Dienst war 1997 und 2000 als politischer Berater in den Bereichen Architektur, Stadtplanung und Stadtentwicklung in Wien tätig, ist Gründungsmitglied der IG-Architektur (2002) und Initiator der Plattform für Architekturpolitik und Baukultur (2002). Das Engagement der Plattform führte 2004 zur parlamentarischen Enquete zum Thema Architekturpolitik und Baukultur in Österreich und in Folge zum parlamentarischen Beschluss, alle fünf Jahre einen Baukulturreport im Auftrag der Republik herauszugeben. Derzeit ist Volker Dienst auch Mitglied des Baukulturbeirats des Landes Steiermark, dessen primäre Aufgabe in der Umsetzung und Weiterentwicklung der in den Baupolitischen Leitsätzen des Landes Steiermark formulierten Strategien und Ziele liegt.

25/09/2012

Volker Dienst

©: Martin Brischnik

Anlässlich der Präsentation des Baukulturreports 2011 und der anstehenden Verwaltungsreform im Land Steiermark bat GAT Volker Dienst, Mitautor des Baukulturreports 2006 und 2011, zum Gespräch.

Die Steiermark hat mit den Baupolitischen Leitsätzen, an deren Entwicklung Sie beteiligt waren, ein vorbildliches Bekenntnis zur Baukultur abgegeben. Es macht aber den Eindruck, dass es nicht gelingt, diese Leitsätze bei den Gemeinden und beim Land selbst verbindlich zu verankern. Wie sehen Sie das?

Dienst: Das stimmt. Dieser Eindruck täuscht nicht. Vorweg – die Baupolitischen Leitsätze sind tatsächlich ein Meilenstein, da sie sehr gesamtheitlich gefasst sind und Themen wie soziale und ökologische Nachhaltigkeit, Raumordnung und so weiter behandeln. Leitsätze bedingen aber, dass sie in der Umsetzung in die Tiefe gehen. In der Steiermark wurde ein Beirat für Baukultur etabliert, wo die Spitzen der Verwaltung und der Kammern zusammensitzen, um diese Vertiefung der Leitsätze voranzutreiben. Als politischer Akteur weiß ich, dass die Mühlen sehr langsam mahlen und dass Prozesse lange Zeit brauchen, um ins Bewusstsein und in die Umsetzung zu kommen. In der Steiermark ist es aber so, dass die Umsetzung der Leitsätze, die intern in Form von Kriterienkatalogen, Standards und Wettbewerbsrahmenbedingungen ausgearbeitet wurden, absolut fehlt. Das liegt offensichtlich daran, dass die Kommunikation zwischen denen, die diese Leitsätze nach bestem Wissen und Gewissen vertiefen und denen, die sie umsetzen bzw. denen, die sie politisch tragen sollen, überhaupt nicht funktioniert. So passierte es, dass sich die Steiermark in den Baupolitischen Leitsätzen zwar gegen die Zersiedelung aussprach und in Folge im Landtag zweimal eine Verschärfung der Problematik beschlossen wurde, dass die Beschlüsse aber teilweise so rasch gefasst wurden, dass nicht einmal die zuständige Fachabteilung mitbekommen hat, dass eine Novellierung am Laufen ist. Da muss man die beiden Großparteien (SPÖ und ÖVP, Anm. d. Redaktion) an die Kantare nehmen.
Franz Voves (Landeshauptmann, SPÖ) und Hermann Schützenhöfer (Landeshauptmann-Stellvertreter, ÖVP) haben die Baupolitischen Leitsätze gemeinsam in der Landesregierung beschlossen. Der nächste Schritt wäre, die Baupolitischen Leitsätze im Landtag ausführlich zu diskutieren und zu beschließen. Und zwar als Grundlage für sämtliche zukünftigen gesetzlichen Bestimmungen, die sich mit dem Thema Baukultur auseinandersetzen.
Das ist grundsätzlich zwar angedacht, es wird aber immer wieder kommuniziert, als gäbe es so viele wichtigere Themen in der Steiermark, dass man keine Zeit habe bzw. die Mandatare nicht die Zeit hätten, sich mit dem Thema Baukultur auseinanderzusetzen.

Wie könnte die Verbindlichkeit der Baukulturellen Leitsätze für die Gemeinden vorangetrieben werden? Wäre es möglich, diese vonseiten der Landesregierung vorzugeben oder ist der derzeit praktizierte Weg der Überzeugungsarbeit der richtige?



Dienst: Ich glaube grundsätzlich schon, dass man Baukultur nicht verordnen, sondern leben sollte, und es steht dem nichts entgegen, dass das Land Steiermark selbst Baukultur vorbildlich leben könnte, nämlich im eigenen Wirkungsbereich. Das betrifft die LIG (Landesimmobilien GmbH) und die KAGES (Steiermärkische Krankenanstalten GmbH), die gegenwärtig bereits durchaus akzeptabel agieren.
Ich orte vor allem im eigenen Auftragsbereich extreme Defizite. Es gibt keine Koordination. Jede Landesabteilung hat ihren eigenen Schrebergarten und möchte sich da nicht hineinspucken lassen. Dadurch werden oft sehr gute Ideen anderer Abteilungen abgelehnt. Es ist die Verwaltung in sich blockiert. Außerdem bräuchte es einen politischen Willen, um wirklich zu sagen: Lieber Bürgermeister, wenn du ein Gemeindezentrum bauen willst und dafür Bedarfszuweisungen oder Mittel des Landes brauchst, dann hat man sich an gewisse Standards zu halten. Dann hat man Prozesse. Diese Prozesse liegen alle in der Schublade der Landesbaudirektion Steiermark und sie wurden bereits im Baukulturbeirat diskutiert.
Es gibt in der Steiermark einen Leitfaden für den kommunalen Hochbau, der schon seit Jahren überarbeitet werden soll. Aber er wird nicht überarbeitet, da es derzeit niemanden gibt, der dafür zuständig ist oder der das machen will. Können würden es einige. Es gibt Standards und einen idealtypischen Prozessablauf, der mit Experten aus dem In- und Ausland ausgearbeitet wurde. Man hat beschlossen, anhand von Pilotprojekten zu testen, ob das in der Realität so funktioniert. In den vergangenen zwei Jahren war es aber nicht möglich, auch nur ein einziges Pilotprojekt in dieser Form umzusetzen. Dabei gibt es in der Steiermark 120 Schulen, die saniert werden sollten, Kindergärten und jede Menge Projekte, die finanziert werden müssen. Es findet sich aber niemand, der die Mehrkosten, die für ein Pilotprojekt notwendig sind, tragen will. Daher steht der Prozess.
Es wäre sicherlich positiv für Politiker wie Hermann Schützenhöfer oder Franz Voves, könnten sie sagen: Wir haben für die Bedarfszuweisungen einen ganz konkreten Prozessablauf und Standards. Diese Standards werden Schritt für Schritt überprüft. Das erspart der jeweiligen Gemeinde, dass diese davongaloppiert, und am Ende draufkommt, dass sie die Projekte ohnedies nicht finanzieren kann. 
Die Vorprojektentwicklung sollte explizit gefördert werden. Gemeinden müssten Expertisen ankaufen, um herauszufinden, ob das angedachte Bauvorhaben überhaupt realisierbar ist, welche Rahmenbedingungen und Standards sinnvoll wären. Gerade in der Frühphase werden die wesentlichen Weichenstellungen für die späteren Kosten und die Qualität der Ausführung gelegt. Wenn da das Land den Kommunen nicht eine entsprechende Beratung und auch Förderung von Expertisen zukommen lässt, dann wird es schwierig, von den Kommunen zu verlangen, dass sie entsprechende Projekte ausführen.
Die Beratung des Landes muss auch die Koordination der einzelnen Abteilungen umfassen. Nicht, dass zum Beispiel die Finanzabteilung nur fragt, ob es sich finanziell ausgeht, aber nichts von den baukulturellen Standards weiß. Oder die Energieabteilung ihren Kommentar zu den energetischen Auswirkungen abgibt, aber nichts weiß von den raumplanerischen Anforderungen. Diese ressortübergreifende Koordination verlangt von den Abteilungsleitern natürlich ab, dass ein bisschen Hausmacht abgegeben wird, zugunsten einer fachlichen und sachlichen Entscheidungsfindung. Solange es diese Bereitschaft nicht gibt, sehe ich Schwierigkeiten, so einen Prozess auch umzusetzen.

Bis zu einem gewissen Grad gibt es diese Bereitschaft nun, weil es nach Abschluss der Verwaltungsreform eine Abteilung für Verkehr und Landeshochbau geben soll, welche einige Kompetenzen bündeln wird. Der Wohnbau beispielsweise scheint sich hier jedoch nicht zu beteiligen.



Dienst: Ich glaube, dass es grundsätzlich nicht möglich ist, in einer baukulturellen Diskussion den Wohnbau auszuklammern. Das ist grotesk, auch wenn die Steiermark nur noch geringe Wohnbaumittel hat. Die Steiermark hätte auch hier die Möglichkeit, entsprechende Qualitätskriterien vorzugeben, gerade weil wenig Geld da ist. 
Eine Forderung der ExpertInnen im Rahmen der baupolitischen Diskussionen war, Einfamilienhäuser grundsätzlich nicht mehr mit Landesmitteln zu fördern.
Weiters sollten die Förderungen in dezentralen Gebieten, wo die Zersiedelung Probleme bereitet, gestrichen werden. 
Ich glaube auch, dass es den steirischen Bauträgern zumutbar ist, mit den Standards und Rahmenbedingungen zu arbeiten, mit denen in anderen Bundesländern schon ganz selbstverständlich umgegangen wird. Als Beispiel Wien: Die gleiche Genossenschaft, die in Wien hervorragende Projekte – energetisch, kulturell, soziologisch nachhaltig und in hochwertiger Architektur – realisiert, baut in Niederösterreich katastrophale Reihenhäuser. Der zuständige Leiter dieser Genossenschaft, der auch der Vorsitzende der gemeinnützigen Wohnbauträger ist (Österreichischer Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen – Revisionsverband, Anm. d. Red.), meint: In Wien werden wir durch den Bauträgerwettbewerb gezwungen, hochwertig zu bauen.
Unterschiedliche Kommissionen beurteilen in Wien die ökologischen Rahmenbedingungen, die Gestaltungsqualität und die soziale Nachhaltigkeit. Wenn Bauträger in einem dieser Kapitel durchfallen, dann sind sie weg vom Fenster. In Niederösterreich gab es zum damaligen Zeitpunkt keine Auflagen, darum hat man sich nicht angestrengt. Ich bin der Meinung, wenn Genossenschaften öffentliche Gelder verwenden, wäre es selbstverständlich, dass sie entsprechend dem Vergabegesetz Wettbewerbe ausloben. Dagegen wird derzeit vehement angekämpft. Ich verstehe auch nicht, warum der Wettbewerb als Nachteil angesehen wird. Der Bauträger ist schließlich der größte Profiteur dieses Systems.

Der Baukulturbeirat in der Steiermark dient als Kommunikationsplattform und Arbeitsgruppe für alle, die mit dem Thema Baukultur befasst sind. Ist dieser Beirat schlagkräftig genug? Was geschieht in diesem Beirat?



Dienst: Dort wird viel gesprochen und diskutiert. Dieser Beirat ist eine sehr sinnvolle Einrichtung, weil die Spitzen der Verwaltung – von Raumplanung über Wohnbau, Wirtschaftskammer und Architektenkammer – alle an einem Tisch sitzen und über die gleichen Dinge diskutieren, sich annähern und austauschen. Ich glaube, das ist der Sinn, den Landesbaudirektor Andreas Tropper mit der Gründung dieses Beirates, der sich dreimal im Jahr trifft, verfolgt hat. Die Mitglieder sind alle Spitzenvertreter der Verwaltung, die natürlich in einer Nachmittagssitzung unmöglich inhaltliche Dinge erledigen können.
Es wäre daher notwendig, dass man diesem Beirat, der als kommunikatives Vermittlungsgremium durchaus Sinn macht, ein entsprechendes Budget zuordnet.
Vor allem aber muss man eine starke Hochbauabteilung ermöglichen, die hervorragende Fachexpertisen im eigenen Beamtenapparat hat, das heißt, es braucht ArchitektInnen, wenn über architektonische Qualität geurteilt werden soll, es braucht Leute, die über nachhaltiges Bauen Bescheid wissen, wenn es um Lebenszykluskosten geht. Diese Leute gehören in der Verwaltung eingestellt. Derzeit sieht es aber danach aus, dass fachliche ExpertInnen in der Verwaltung aus Kostengründen eher abgebaut oder nicht mehr nachbesetzt werden. Das ist natürlich ein Schuss ins Knie. Dadurch gibt es keine AnsprechpartnerInnen, welche die Parameter und die Rahmenbedingungen für zukünftige Projektentwicklungen festlegen können.
Als Möglichkeit würde ich auch die verstärkte Zusammenarbeit mit externen ExpertInnen sehen. Ich denke da zum Beispiel an einen unabhängigen Vergabebeirat, der das Land bei landeseigenen Investitionen oder solchen von Kommunen darüber berät, welche Art des Vergabeverfahrens richtig ist und zum Ziel führt.
Auch der Wohnbautisch sollte durch externe Fachleute aufgewertet werden. Es gibt ja eine Evaluierung über den Wohnbautisch und die steirische Wohnbauförderung. Diese ruht seit einiger Zeit in der Schublade der Wohnbauabteilung. Da scheinen die Ergebnisse nicht so schön ausgefallen zu sein, wie man sich das erhofft hat. Daher wird das einfach nicht veröffentlicht. So was darf es einfach nicht geben.

Zum Thema der Verwaltungsreform: Eine Verwaltung kann nicht dadurch sparen, indem Kompetenz abgebaut wird. Wir haben im Zuge des Diskussionsprozesses ExpertInnen aus Deutschland eingeladen, die nachgewiesen haben, dass nur durch Eindämmung des Normenwahnsinns eingespart werden kann. Durch die Regulierung aller Bereiche wird nichts besser, aber alles teurer. Zum Beispiel, wenn Schulen in Österreich saniert werden, geht es ausschließlich um Wärmedämmung und Brandschutz. Die räumlichen Rahmenbedingungen, um ein modernes pädagogisches Konzept umzusetzen, sind dabei meistens überhaupt kein Thema. In der Steiermark werden nun 120 Schulen saniert und sind damit für die nächsten 20 Jahre räumlich festgefressen. Ich hoffe daher, dass die Baupolitischen Leitsätze doch im Landtag diskutiert werden und der Landtag sich entschließen möge, die Leitsätze als Grundlage ihrer politischen Rahmenbedingungen festzusetzen.

Wir danken für das Gespräch!

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