10/06/2016

Architektur und Zeitgeschichte: ein Anlass

Gedanken von Johannes Fiedler und Jördis Tornquist
anlässlich des improvisierten Abschiedsfestes für ein Eichholzer-Haus
am Sonntag, 05.06.2016

Haus Albrecher-Leskoschek, Hilmteichstraße 24, Graz

Dem Haus steht der Abriss bevor.

Das improvisierte Abschiedsfest erfuhr großes Interesse. Unter dem Eindruck des trotz späterer Überformungen noch guten Zustand des Hauses und angesichts der vielen typischen Eichholzer-Details stimmten an diesem Vormittag spontan 117 TeilnehmerInnen mit ihrer Unterschrift für einen Erhalt des Hauses – in Teilen oder im Ganzen, jedenfalls vor Ort – in der Hilmteichstraße 24.

10/06/2016

Haus Albrecher-Leskoschek, Hilmteichstraße 24, 8010 Graz

©: Sophia Walk

Improvisiertes Abschiedsfest

©: Jördis Tornquist
©: Jördis Tornquist
©: Romana Winkler
©: Sophia Walk
©: Sophia Walk

Am vergangenen Sonntag, gab es die seltene und vielleicht letzte Gelegenheit, das Haus Albrecher-Leskoschek in der Hilmteichstraße 24 in Graz, ein Werk von Herbert Eichholzer aus den Jahren 1937/38, öffentlich zu begehen. Anlass war ein improvisiertes Abschiedsfest (1) im Rahmen der Architekturtage 2016, denn das Gebäude, das nun der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft gehört, soll bald dem Bau einer Radiologie weichen. Von den Bauten, die Herbert Eichholzer mit unterschiedlichen Partnern in der Umbruchszeit zwischen den Weltkriegen realisierte, ist das Haus in der Hilmteichstraße von besonderer Bedeutung, zum einen als architektonisches Manifest der Moderne in einem bereits vor dem Anschluss völkisch geprägten Umfeld – Christian Kühn schreibt dazu in einem aktuellen Beitrag von „einem Haus, dessen Qualität nahe an das Landhaus Gamerith am Attersee von Ernst Plischke heranreicht.“ (Die Presse, 4.6.2016) – zudem in ganz besonderer Weise als zeitgeschichtliches Denkmal. Der Bau des Hauses war vom Mäzen Albert Kastner für Herma Albrecher bei Eichholzer in Auftrag gegeben worden, und der Künstler Axl Leskoschek steuerte ein großes, metaphorisches Wandgemälde bei.

Albrecher, Eichholzer und Leskoschek waren Mitglieder des Prenninger Kreises einer künstlerisch-intellektuellen Gruppe, die Mitte der 1920er-Jahre entstanden war, und die ihren örtlichen Mittelpunkt im Haus der Familie Feuerlöscher in Prenning bei Deutschfeistritz hatte. Was als bohèmehafte Geselligkeit begann, wurde im zunehmend repressiven Klima des Städtestaates zu einer politischen Gesinnungsgemeinschaft, und schließlich, verfolgt von den Nationalsozialisten, zu einer konspirativen Zelle. In dieser Zeit spielte das Haus Albrecher-Leskoschek eine wesentliche Rolle. Es diente den im Widerstand Tätigen als Treffpunkt und Adresse, so auch für Herbert Eichholzer, der 1940 aus der sicheren Türkei nach Österreich zurückkehrte, um den kommunistischen Widerstand zu unterstützen. Bei Frau Albrecher wurden Postkarten mit verschlüsselten Botschaften ausgetauscht, auch Eichholzer fand in der ersten Zeit nach seiner Rückkehr dort Unterkunft. Schließlich, von einem Spitzel aufgedeckt, wurde Eichholzer verhaftet und im Jahr 1943 hingerichtet. Die Geschichte des Hauses und des Prenninger Kreises finden sich umfassend dokumentiert in: Halbrainer, Heimo; Klein, Eva; Senarclens de Grancy, Antje: Hilmteichstraße 24, Graz; Verlag CLIO 2016.

Dass ein solcher Ort von kultureller wie auch zeitgeschichtlicher Bedeutung durch eine Spitalserweiterung physisch ausgelöscht werden kann, ist ein Beleg für den Zustand des kulturellen Selbstverständnisses dieses Landes, dieser Stadt. Mit dem Verweis darauf, dass „…durch spätere Veränderungen…keine für eine Unterschutzstellung ausreichende geschichtliche, künstlerische oder sonstige kulturelle Bedeutung im Sinne des Denkmalschutzgesetzes vorliegt“, wurde die bauliche Hülle zum Abbruch freigegeben. Dass die zeitgeschichtliche Komponente für die Konservatoren offensichtlich keine Rolle spielt, ist schlimm genug, dass aber keinem einzigen politischen Kopf in der Vorbereitung dieser öffentlichen Baumaßnahme aufgefallen ist, welcher Frevel hier begangen wird, macht fassungslos. Was, bitte, sollen wir unseren Kindern und Enkelkindern zeigen, wenn sie fragen, was die Österreicher und Österreicherinnen denn so gemacht haben während der Zeit des Nationalsozialismus? Gab es damals nur Hirschgeweihstuben und enge Fensterlöcher, oder hat damals schon jemand in die Welt hinaus geschaut?

Das improvisierte Abschiedsfest erfuhr großes Interesse. Unter dem Eindruck des trotz späterer Überformungen noch guten Zustand des Hauses und angesichts der vielen typischen Eichholzer-Details stimmten an diesem Vormittag spontan 117 TeilnehmerInnen mit ihrer Unterschrift für einen Erhalt des Hauses – in Teilen oder im Ganzen, jedenfalls vor Ort – in der Hilmteichstraße 24.

Die Rettung eines Baudenkmals mit zeitgeschichtlicher Relevanz ist eine mühsame Angelegenheit mit ungewissem Ausgang. Dass es auch gut ausgehen kann, zeigt das Haus Lind in der Grazer Rosenberggasse, ebenfalls ein Werk von Herbert Eichholzer, errichtet 1936/37. Vernachlässigt und von nachträglichen Einbauten verunstaltet, wurde das Haus im Jahr 2000 von den letzten Mietern zurückgelassen und es war zu erwarten, dass der schlechte Bauzustand zu einem baldigen Abbruch führen würde. Mit Sorge beobachteten wir (Jördis Tornquist und Johannes Fiedler) den Gang der Dinge und begannen, Nutzungsideen zu entwickeln und MitstreiterIinnen anzusprechen. Die wissenschaftliche Recherche von Antje Senarclens de Grancy, der Besuch von Friedrich Achleitner, eine Landtagsresolution und eine lange Unterschriftenliste führten schließlich zu einer Bewegung, die zur Unterschutzstellung des Hauses führte, das sich mittlerweile bereits im Besitz eines politisch gut vernetzten Investors befand. Nachdem sich Ideen öffentlicher Nutzung zerschlagen hatten, fanden wir schließlich eine Familie, die bereit war, das Haus im Sinne der ursprünglichen architektonischen Idee in Zusammenarbeit mit uns und mit dem Denkmalsschutz zu revitalisieren. Der zwischenzeitliche Eigentümer ließ angesichts der Widerstände von den Verwertungsplänen ab und verkaufte die Liegenschaft. Im Jahr 2006 konnte das Haus, zeitgemäß saniert und in seiner Atmosphäre wiederhergestellt, bezogen werden.

So schön die Geschichte mit dem Haus Lind auch ist, sie sollte nicht dazu herhalten, dass man sagen kann, dem Andenken Eichholzers wäre damit Genüge getan. Das Haus Albrecher-Leskoschek ist ein ganz anderer Fall. Hier handelt es sich um einen zeitgeschichtlichen Ort, unlösbar mit künstlerischem Ausdruck verknüpft – das Interieur, die Raumidee, die Präsenz des Wandgemäldes, wiewohl unrettbar unter Schichten von Malerei verborgen.

Würde es einer geschichts- und kulturbewussten Gesellschaft nicht gut anstehen, wenn in einem ihrer öffentlichen Krankenhäuser ein Raum eingebettet wäre, der etwas aus einer anderen Zeit erzählt? Wäre es nicht eine Wohltat für die am Landeskrankenhaus Beschäftigten, die eine oder andere Pause in einem Raum zu verbringen, der mit den mondänen Stoffen von Josef Frank ausgestattet ist? Wäre das nicht auch ein Lichtblick für Patienten und Patientinnen, durch eine Fensterfront in sattes Grün, vielleicht mit einem Ausgang auf eine Terrasse? Einen anderen Ort zu erleben, in eine andere Zeit einzutauchen, auch das kann Genesung bringen. 

1)
Das improvisierte Abschiedsfest wurde am den 5.6.2016 vom Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften der TU Graz (Antje Senarclens de Grancy) in Kooperation mit dem Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit (Clio), dem Haus der Architektur in Graz (HDA) und der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft (KAGES ), organisiert.

Laukhardt

Die in der Unterschriften-Liste manifestierte Empörung kultur- und geschichtsbewußt denkender Besucher aus allen Schichten der Gesellschaft war ein deutliches Signal! Und zwar dafür, dass auch heute energische Widerstand geleistet werden muss: gegen die rücksichtslose Vernichtung unseres Bauerbes durch geistlose und nur an der Profitmaximierung interessierte Investoren, denen die derzeitige Stadtregierung willig als Steigbügelhalter dient.

Fr. 10/06/2016 12:11 Permalink
Anonymous

Antwort auf von Laukhardt

Absolut richtig. Will man jedoch wirklich was verändern, muss der seit 2003 im Amt befindliche Bürgermeister endlich mal abgewählt werden. Er ist in letzter Konsequenz verantwortlich für die Baukultur in unserer Stadt. Den an Profit interessierten Investoren kann man ja (eigentlich) keinen Vorwurf machen... Also richtig wählen bei der nächsten Gemeinderatswahl!

Fr. 10/06/2016 2:36 Permalink
Kristine Tornquist & Jury Everhartz

Ihr Lieben, dank Euch für Euer wunderbares Engagement, das hoffentlich doch noch auf ein politisches Gewissen trifft. Man bekommt ja Kopfsausen von einer solchen Borniertheit - nicht nur, weil es hier tatsächlich um ein historisches Dokument geht...

Do. 16/06/2016 9:13 Permalink
Netzwerktreffen
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