18/03/2013
Im Fokus: WOHNBAU
GAT widmet sich von März bis Juni 2013 schwerpunktmäßig Fragen zur Qualität im österreichischen Wohnbau. Ziel ist es, aufgrund der Analyse des Ist-Zustands künftige Entwicklungen in Hinblick auf neue Lebensformen und mögliche Wege zu einer nachhaltigen Qualität im Wohnbau aufzuzeigen und die Erkenntnisse Entscheidungsträgern nahezulegen.
18/03/2013

Das Kernteam des Instituts für Wohnbau der TU Graz: Marlis Nograsek, Andreas Lichtblau, Elisabeth Anderl und Monika Keplinger (v.l.n.r.). Collage: mg

Sujet zum Themenschwerpunkt "Wohnbau"

©: Redaktion GAT GrazArchitekturTäglich

Plakat zum Impulstag des Semesterthemas temporär wohnen_kinder.

Die Arbeit von Elisabeth Weiss ist ein Ergebnis der Projektübung zum Thema Einküchenhaus im Sommersemester 2012.

©: Elisabeth Weiss

Die frei kombinierbaren Bauteile am Beispiel der Maisonettenwohnung.

©: Elisabeth Weiss

Die Arbeit von Florian Maroschek ist Resultat der Projektübung temporär wohnen_hotel im Wintersemester 2012/13.

©: Florian Maroschek

Im Grundriss erkennt man die privaten und geteilten Bereiche des Hotels.

©: Florian Maroschek

Die Schwerpunkte der Lehre von Prof. Andreas Lichtblau am Institut für Wohnbau der TU Graz

Am Donnerstag, dem 21. März 2013 stellt das Institut für Wohnbau der TU Graz das Forum Stadtpark ganz unter das Motto temporär wohnen_kinder. Einen Nachmittag lang setzen sich Lehrende des Instituts und Gäste wie die Wiener PPAG Architekten mit den Einflüssen von Architektur auf das Leben von und mit Kindern in der Stadt auseinander. Den Abschluss bildet der zum Thema passende Film „Der Krieg der Knöpfe“ (1962) von Yves Robert.

Hinter diesem Impulstag verbirgt sich eine Art „going public“ des Instituts für Wohnbau, das nun seit eineinhalb Jahren vom Architekten Andreas Lichtblau geleitet wird, der im Laufe dieser drei Semester eine inhaltliche Schärfung des Institutsprofils vorgenommen und neue Schwerpunkte in Lehre und Forschung gesetzt hat. Für die Studierenden ist die Veranstaltung der inhaltliche Auftakt für die Lehrveranstaltungen, die großteils einem gemeinsamen Semesterthema folgen. Dieses Semester eben dem Wohnen mit Kindern. Auf Gebäude- und Quartiersebene beschäftigen sich Entwurfseminare und Workshops mit zeitgemäßen Wohnformen für Familien, den Freiraumbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen in der Stadt, mit der Frage wie Kinder bauen würden, wie sie Raum umdeuten oder unterwandern. Recherchen führen die Studierenden in Kindergärten und Schulen, wo sie Räume der Kindheit analysieren, sich mit prekären Kindheiten auseinandersetzen und diese Erfahrungen in ihre Arbeiten einfließen lassen. Durch die Einführung eines Semesterthemas – in den beiden vergangenen Semestern den Themen Hotel beziehungsweise Einküchenhäuser – können aus einer spezifischen Perspektive heraus architektonische und soziale Aspekte des Wohnbaus beleuchtet und in einer größeren Tiefe behandelt werden.

Mit dem sukzessive erarbeiteten Wissen wächst auch eine neue Datenbank heran, für die in den letzten Monaten die Grundlagen geschaffen wurden. Die als langfristiges Projekt angelegte Datenbank, die direkt über die Homepage des Instituts zugänglich sein wird, sammelt Literatur, aktuelle und historische Architekturbeispiele und (auch gescheiterte) soziale Modelle sowie Arbeiten von Studierenden.

Anhand des jeweiligen Themas werden in der Lehre zentrale Fragen zu den Forschungsschwerpunkten des Instituts behandelt: die Flexibilität von Wohnungen, die Leistbarkeit von Wohnraum und auf raumplanerischer Ebene Konzepte zur funktionalen Durchmischung und gegen die Zersiedelung. Das Institut versucht den Studierenden stets eine multiperspektivische Auseinandersetzung zu ermöglichen, was sich in den unterschiedlichen Lebensläufen der Assistentinnen widerspiegelt: Neben der Wohnbau-Expertin Marlis Nograsek, die schon die rechte Hand von Lichtblaus Vorgänger Hansjörg Tschom war, sorgt die Kunsthistorikerin Monika Keplinger für die Verortung in der Kulturgeschichte und die Architektin Elisabeth Anderl lässt besonders ihr Wissen um partizipative Projekte und Baugruppen einfließen.
Erste Resultate des laufenden Semesters werden schon Ende Juni im Rahmen eines Symposiums an der TU zu sehen sein, das den Schwerpunkt temporär wohnen_kinder abrundet.

Angewandte Flexibilität und ein kritischer Umgang mit vermeintlichen Standards

Flexibilität und Variabilität von Wohnraum bedeutet im Kontext des Bauens für Kinder, Wohnformen und Grundrisse zu entwickeln, die Räume für unterschiedliche, sich im Laufe des Erwachsenwerdens verändernde Familienkonstellationen und lebensalter-spezifische Bedürfnisse zur Verfügung stellen. Der Weg dorthin führt über offene Wohntypologien mit nutzungsneutralen Raumgrößen und -proportionen und Allgemeinflächen mit kommunikativen Qualitäten: Die Wohnung mit funktionalistisch determinierten und getrennten Zimmern wird abgelöst durch mehrfachgenutzte, neutrale und temporär in differenzierte Zonen unterteilbare Räume. Neben dieser inneren Flexibilität ist es notwendig, dass Wohnungen lernen zu wachsen und auch wieder zu schrumpfen, zu „pulsieren“ wie es Lichtblau nennt. Möglich wird das etwa durch „Sollbruchstellen“ in den Wohnungstrennwänden. Die soziale Organisationsform spielt dabei eine ebenso große Rolle wie die Architektur. Das ausgefeilteste Modulsystem wird nicht genutzt, wenn durch starre Eigentumsverhältnisse jede Flexibilität in der Nutzung konterkariert wird.

Auch die unerfreuliche Tatsache, dass ArchitektInnen bei der Umsetzung solcher Ansätze nur allzu oft an Bauträgern, gesetzlichen Regelungen und Förderrichtlinien scheitern (und die wenigen innovativ engagierten Bauträger mit ihnen), wird den Studierenden nicht verschwiegen. Ein Anliegen von Lichtblau ist es, ihnen die Augen zu öffnen, dass sich die Rolle der Architekten nicht im Entwurf und Design erschöpfen kann, sondern ebenso in der Organisation, in Genossenschaften und Bauämtern liegen muss, wo unsere Profession heute bedenklich unterrepräsentiert ist.

Der geförderte soziale Wohnbau kommt schon lange nicht mehr den ursprünglich anvisierten Bevölkerungsgruppen zugute, die sich die immer teurer werdenden Wohnungen nicht mehr leisten können, sondern fördert den Mittelstand. Die Kosten im Wohnbau werden zu einer gesellschaftspolitischen Frage. Ein Schwerpunkt des Instituts liegt daher in der Ermittlung und Darstellung der realen Kosten im Wohnbau. Die Funktionen, die eine Wohnung leisten muss, werden mit den dabei entstehenden Kosten entsprechend der Normen, der Bauordnungen, Förderrichtlinien und (teilweise selbst auferlegten, nicht immer notwendigen und wohl oft auf den Einfluss der Bauindustrie zurückzuführenden) noch höheren Ausbaustandards von Wohnbauträgern in Relation gesetzt. Im raumplanerischen Maßstab werden die vergesellschafteten Kosten des Hauses im Grünen durch Infrastruktur, steuerliche Begünstigungen oder ökologische Folgekosten thematisiert. Um Studierende für diese Themen zu sensibilisieren und ihnen eine Grundlage zur Verfügung zu stellen, die sich nicht auf die schon etwas angestaubte Bauentwurfslehre von Neufert beschränkt, wurden am Institut eigene Planungsrichtlinien erarbeitet.

Andreas Lichtblau und seinem Team ist es wichtig, Studierenden ein zeitgemäßes und umfassendes Verständnis von Wohnen nahezubringen, sie – auch über die Auseinandersetzung mit dem Temporären – zum Denken in sozialen Feldern anstatt in Zimmern mit fixen Funktionen zu animieren. Brisante und aktuelle Themen, wie in den kommenden Semestern prekäres Wohnen und das Wohnen im Alter, sollen in den heranwachsenden Generationen von ArchitektInnen eine kritische Haltung und das Bewusstsein für die gesellschaftliche Bedeutung und das soziale Potenzial, das in der Architektur steckt, wecken.


Im Fokus: WOHNBAU / VORSCHAU:
Am 2. April 2013 wagt Robert Temel einen Blick über die Grenzen anhand der Frage „Wie ist nachhaltige Qualität im Wohnbau zu erreichen?“.


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