02/03/2021

2016 wurde die Region Südsteiermark mit dem Baukultur-Gemeinde-Preis ausgezeichnet.

.

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

.

02/03/2021
©: Karin Tschavgova

Bauboom im Naturpark Südsteiermark als gemeingefährliche Drohung?

Eine Schlagzeile wie Goldrausch an der Weinstraße (Kleine Zeitung, 25.Februar 2021) kann, wenn sie mit den bekannten Namen der genannten Investoren verbunden ist, nur große Sorge auslösen. Warum die Skepsis? Ganz einfach: weil es all den Multimillionären und angeblichen Millionären, die in ihren Kerngeschäften Red Bull oder Sonnenbrillen vertreiben oder Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sind, nicht in erster Linie darum geht, sanften, landschaftsverträglichen Tourismus zu fördern, sondern darum, ihr Vermögen zu vergrößern, indem sie (ihre) zahlungskräftige Klientel in die schöne Südsteiermark bringen. Sie meinen, das sei eine böse Unterstellung, ein blindes vorurteilsbehaftetes Hinschlagen, frei nach dem Motto: was bewirken die Superreichen an Gutem für die Allgemeinheit, für uns alle?
Nun, ich bin durchaus gewillt und in der Lage, zu differenzieren, spreche einem Bill Gates sein Engagement zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung nicht ab und glaube auch, dass die Investments von Dietrich Mateschitz im strukturschwachen Murtal davon geprägt sind, dass ihm seine Heimatregion und eine gelingende Transformation nach dem einschneidenden Verlust von Industrie ein persönliches Anliegen sind. Sein Engagement im Weinland scheint ja, soweit bekannt, noch begrenzt auf den Umbau eines Buschenschanks und die Umwandlung des ehemaligen Anwesens von Thomas Muster am Kittenberg in ein luxuriöses Mietobjekt mit Hubschrauberlandeplatz und kolportierter Tagesmiete von 4000 Euro bei einem Mindestaufenthalt von 3 Tagen. Dass selbst der Südsteiermark- und Weinexperte unter den Journalisten, Gerhard Nöhrer, der die Weinlandbürgermeister sogar davor warnt, „der Prominenz und dem Reichtum allzu leichtfertig den roten Teppich auszurollen“, von einem herrschaftlichen Anwesen schreibt, zeigt, wie geschichtsvergessen die Menschen sind. Das Objekt war vor Musters Kauf von der Diözese ein kleines, regionstypisches Bauernhaus mit Nebengebäuden. Sein Wert lag in der außergewöhnlich schönen Lage nahe dem Weingut Kieslinger, das man eher als historisches Herrenhaus bezeichnen kann.
Die Investments, die jetzt jedoch in Planung sind im Naturpark Südsteiermark oder schon im Bau, können gar nicht gebietsverträglich sein, weil die Landschaft geprägt ist durch abwechselnd sanfte und steile Hügelzüge und durch kleinteilige und kleinproportionierte Einzelhof- oder Streusiedlungs-Bebauung. Um zu diesem Schluss zu kommen, muss man die Bauprojekte im Einzelnen gar nicht kennen. Es reicht, Fakten und Ziele zu erfahren. Etwa, dass eine Baufirma ein 16.000 Quadratmeter großes Areal erworben hat, das „im Vollausbau mit 74 Chalets“ bepflanzt sein soll. Das Stammhaus des Winzers, der seinen Grund für diesen Wahnsinn verkaufte, ist als Apartmenthaus mit nochmals 20 Wohnungen konzipiert. Oder: Kennt man den Jaglhof, so kann man sich vorstellen, wie es rund um die Hügelkuppe des traditionellen Hotelrestaurants mit jetzt 9 Zimmern ausschauen wird, wenn zum Bestand auf dem ausladenden Sockel aus mächtigen Flussbausteinen noch 26 Zimmer dazukommen und demnächst die Bagger auffahren werden. Nicht weit davon am Sernauberg wird Siegfried Wolf 2023 sein Investment von 25 Millionen, die Domäne Wolf, abgeschlossen haben, inklusive Chalets. Wo die Reichen und Schönen sind, kann einer nicht nachstehen und so investiert der Grazer Unternehmer Michael Pachleitner 15 Millionen in eine Luxusherberge mit Feinschmeckerrestaurant. Wo? Am Platz der ehemals beliebten Buschenschank Erika, die natürlich weichen muss.
Dies ist nur ein Auszug an Begehrlichkeiten, mit welchen die Prominenz der Millionäre am südsteirischen Weinboom mitnaschen, beim Erfolg „mitschneiden“ möchte. Das Problem dabei kann jede/r mit Hausverstand sehen: Aufwind und Erfolg dieser Region im südlichsten Westen der Steiermark, die insgesamt nicht mehr als etwa 5 Prozent des österreichischen Gesamtertrags an Wein ausmacht, lag und liegt nicht nur an der enormen Qualitätssteigerung des Weins innerhalb einer Generation, sondern auch an der Attraktivität ihrer lieblichen Landschaft. Ihre exponierte Lage an der Grenze, ihre Kleinteiligkeit, auch die naturgegebene Beschränkung der landwirtschaftlichen Flächen, die beengte, an vielen Stellen – Gott sei Dank - nicht ausbaufähige Verkehrsinfrastruktur. Die aufgrund der Grenzsituation immer existierende Armut brachte traditionell eine bescheidene Bebauungsform und Größe der Anwesen mit sich, die bis jetzt mit einigen Ausreißern noch gehalten werden konnte.
Schon 2006, als sich der Weinboom abzeichnete und ersten Wohlstand für eine breitere Schicht an Menschen, die für den Tourismus arbeiten, mit sich brachte, sah man sich in den Kerngemeinden wie Gamlitz veranlasst, einen Gestaltungsbeirat einzurichten, der Bauwerber berät und ein Bewusstsein für landschaftsverträgliches Bauen schaffen soll.
Nachdem ein Gestaltungsbeirat erst dann seine Arbeit aufnimmt, wenn ein Bauprojekt als Vorentwurf vorliegt, muss es eine vorgeschaltete Instanz der Raumordnung geben, die Grundlagen – Leitbilder und Vorgaben – erstellt, denn es „gilt, die charakteristische und schöne Kulturlandschaft als Lebensumfeld und Tourismusregion zu stärken“, wie es im Vorhabensbericht der Regionalmanagement Südweststeiermark GmbH 2016 hieß. „Ziel ist es, eine dem Landschaftsbild angepasste Baukultur zu erwirken, die den Ansprüchen der Bauherren/Baufrauen, der Gemeinden, der gesamten Bevölkerung, des Tourismus und der Kulturlandschaft selbst entspricht.“ Das klingt, sehr allgemein, so, als wolle man es jedem recht machen, aber auch niemandem wehtun. Über die Betrachtung neuer, großer Entwicklungs- und Bauprojekte der Südsteiermark wird nur eine einzige konkrete Aussage betroffen, die sich auf weitere „Planungsmöglichkeiten für die zum Teil geschützten historischen Ortskerne des Naturparks Südsteiermark“ bezieht, „die, Abwanderungstrends zum Trotz, in ihren Zustand erhalten werden sollen.“ (Auszug LAG Südsteiermark. Lokale Entwicklungsstrategie der lokalen Aktionsgruppe Südsteiermark, S.17)
Aber liegt nicht genau in der Größe neuer Bauprojekte das Problem im Zusammenhang mit der Kulturlandschaft der südsteirischen Weinstraße? Als in den letzten Jahren zwei neue Hotels je an ihren Anfang und nahe ihrem Ende gebaut wurden, hieß es, dass dies nicht die Zukunft der kleinteilig strukturierten Region sein kann. Ortskundige wie Fachleute setzten auf kleine, familiär geführte Beherbergungsbetriebe und wurden betriebswirtschaftlich bestätigt, seit der Ruf einiger dieser auch architektonischen Pretiosen so weit reicht, dass ihre Quartiere vom Frühjahr bis zum Spätherbst ausgebucht sind (jedenfalls bis zur Pandemie). Andererseits gab es bei beiden Hotels, eines mit 102 Zimmern, inzwischen Besitzerwechsel und den notwendigen Versuch eines Neuanfangs.
Dietmar Steiner, der viel zu früh Verstorbene, der sich nicht nur als Direktor des Az W unermüdlich und streitbar für gute Architektur und Lebenskultur einsetzte, offenbarte mir schon vor 10 Jahren einmal, dass ihn „keine 10 Rösser mehr ins südsteirische Weinland“ brächten, seit dort der Gold- beziehungsweise „Weinrausch“ auszubrechen scheine. Er beklagte die grassierende Bauwut, die sich nicht an Siedlungsgrenzen und Straßennähe hält, die Verschönerungsversuche der Einheimischen durch die Versiegelung ihrer Gärten und Zufahrten und den „das Auge irritierenden Färbelungswahn“. Ich verteidigte damals noch die Schönheit des südsteirischen Weinlands, wenn auch mit einem weinenden Auge ob seiner Entwicklung. Heute überlege ich, ob ich auch in Zukunft unseren Weinvorrat direkt beim Weinbauern (was für ein altmodischer Begriff!) abholen werde oder ihn per Internet nach Hause bringen lasse. In einer Domäne werde ich ihn nicht kaufen, genauso wenig, wie ich in einem Chalet oder einer Luxussuite nächtigen werde. Und ich hoffe, dass ich mir den Buschenschank nicht künftig nach seiner Lage aussuchen muss. Nach einer Route, die mich NICHT vorbeiführt an all den überdimensionalen Neubauprojekten, den Chaletdörfern und Feinschmeckerrestaurants der nie satten Spekulanten, die in der einst geliebten Gegend nun geplant sind.

Johannes Haberl

Danke für den Betrag, und die Schilderung der traurigen Entwicklung. Vor ein paar Jahren gab es schon einzelne Irritationen, heute haben wir aber, so fürchte ich, schon verloren. Und wie überall: der Gestaltungsbeirat kann bei Willigen (Bauwerbern und Gemeinden) Verbesserungen bewirken. Bei diesen "Kalibern" ist er leider machtlos.
"In einer Domäne werde ich ihn nicht kaufen, genauso wenig, wie ich in einem Chalet oder einer Luxussuite nächtigen werde" Dem kann ich nur zustimmen, frag mich nur wer das eigentlich will ...

Di. 02/03/2021 10:26 Permalink
Anonymus

Am Anfang der Geschichte wurde der Mensch aus dem Paradies vertrieben; in der Folge blieb er ständig auf der Suche nach Ersatz. Sobald er aber ein neues Paradies gefunden hat, zerstört er es, indem er es dem Gesetz des Marktes ausliefert. Aber mit Paradiesen lässt sich nur ganz kurz Handel treiben. Die den Götzen Mammon anbeten, ist das egal. Aber: gehören wir nicht alle irgendwie auch zu dieser Sorte?

Fr. 05/03/2021 12:26 Permalink
Anonymous

Vielen Dank für die wahren Worte!
Gestaltungsbeirat gibt es in den betroffenen Gemeinden keinen mehr! Es bleibt der Baubehörde überlassen das Ganze zu beurteilen.

Di. 02/03/2021 11:15 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+