06/03/2018

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

06/03/2018
©: Karin Tschavgova

Super, wenn alles funktioniert

Beitrag einer unverbesserlich träumenden Achtundsechszigerin, etwas „zurückgeben“ zu können für das Privileg, schön zu wohnen und gut zu leben.

Schneefall im Februar: nichts Ungewöhnliches, auch wenn er heftig ist und viel Schnee bringt. Ich genoss die morgendliche Stille, die sich über die Stadt legt, wenn, selten genug, die Schneedecke den Lärm der Häuser, Gegenstände und Straßen zu schlucken scheint. Plötzlich aufheulendes Motorengeräusch, ohrenbetäubendes Quietschen von Reifen, die durchdrehen, immer wieder, immer lauter. Jemand steckt fest im Schnee vor meinem Haus. Als ich auf die Straße hinausgehe, ein groteskes Bild. Da steht sie und steht ihr Auto, quer über unsere abschüssige Straße, gefährlich nahe an parkenden Autos, sichtlich nicht unter Kontrolle. Das nervende Geräusch des leer laufenden Motors zu Ende, der Lärm keinesfalls. Die junge Frau, jetzt neben dem Auto stehend, brüllt ins Telefon und fragt ihr unsichtbares Gegenüber, was sie jetzt machen soll. Ihr Ton – zugleich weinerlich und anklagend. Was mutet ihr dieser Wintereinbruch zu! Später erfahre ich, dass unsere Buslinie im Morgenverkehr nicht über das Steilstück gekommen ist, Ursache sollen, erzählt mir jemand, hängengebliebene Autos gewesen sein. Ich kann mir nun erklären, warum die Autofahrerin, mehr wütend als verzweifelt, so reagiert hat. Verstehen kann und will ich es nicht.
Wir haben uns angewöhnt, zu fordern, dass alles zu jedem Zeitpunkt und unter allen Umständen perfekt funktionieren müsse in unserem Gemeinwesen – von der Abfallentsorgung über den öffentlichen Verkehr bis zum Straßendienst.
Wir denken zwar kaum darüber nach, ob wir zum Einkauf oder zum abendlichen Ausgehen nicht doch auch Bus und Straßenbahn benützen könnten, aber wenn wir, selten, uns doch dazu durchringen, unsere bequeme Komfortzone zu verlassen und öffentliche Verkehrsmittel zu benützen, dann sollen diese gefälligst pünktlich kommen und in einem Takt, der keine Wartezeit erforderlich macht.
Dass gut ausgebauter öffentlicher Verkehr in direktem Zusammenhang mit der Zahl seiner Benützer und Frequenz steht, scheint nur wenigen bewusst zu sein. Wie das eine das andere bedingt, könnte man an den Schweizer Bundesbahnen studieren, die – hochfrequentiert – für Schweizer Verhältnisse relativ günstig sind und dennoch nicht nur alle Nebenstrecken anfahren, sondern bei Umstieg auch für kurze Wartezeiten garantieren. Meine persönliche Einschätzung ist ja, dass auch in Graz der öffentliche Verkehr besser funktioniert als sein Ruf ist. Stoßgebete lass ich los, wenn ich wieder einmal allein im Bus 60 nach Hause chauffiert werde nach dem abendlichen Kinobesuch. Ganze 13 Minuten vom Geidorfplatz bis fast zum Lustbühel, inklusive Umsteigen! Hoffentlich leistet sich Graz meine Linie weiter.
Wir erwarten uns alles und das bequem und günstig von Haustüre zu Haustüre. Schließlich zahlen wir ja Steuern. Gestatten Sie mir, dass ich trotzdem frage: Was sind wir bereit im Gegenzug dafür zu tun, zu geben? Meine Frage zielt nicht auf zivilgesellschaftliches Engagement ab, das zu entwickeln ich der Entscheidung jedes Einzelnen überlasse. Nein, ich sehe uns in der Pflicht als Teil eines Gemeinwesens, das hierorts so reibungslos funktioniert wie kaum anderswo in der Welt.
Ich erwarte, dass Herr DI Wolfgang A. aus meiner Straße seine riesigen Kartonverpackungen von Amazon auf der Müllinsel neben unserer Bushaltestelle nicht einfach vor dem großen, fast leeren Papiercontainer deponiert, sondern diese zerkleinert und „ordnungsgemäß“ entsorgt (das gilt auch für die „aus der Dose Fresser“, die ihre leeren Konserven, ihren Müll  achtlos so neben volle Kübel hinwerfen, dass nach Tagen Misthäufen daraus entstehen) Ich will, dass der Besitzer des Hundes, der am Straßenrand vor meinem Tor sein Geschäft verrichten darf, die Scheiße beseitigt, ganz so, wie er es selbstverständlich tun würde, hätte sie sein Liebling in seinem Home, sweet home hinterlegt. Ich würde mir wünschen, dass meiner reizenden Nachbarin, der Lehrerin, bewusst wird, dass zwischen ihrer täglichen Autofahrt in ihre Schule im selben Bezirk und der Tatsache, dass Kinder in Graz mehr als anderswo an Erkrankungen der Atemwege leiden, ein Zusammenhang besteht (wie uns das Fachärzte in Graz versichern).
Es liegt mir fern, Schuld zuzuweisen oder zu belehren. Ich möchte nur, dass man – und ich schließe mich dabei genauso ein wie meine Freunde und meine Nachbarn – sich bewusst(er) wird, dass wir alle aufgefordert sind, etwas beizutragen zu unserem Gemeinwohl und dem unserer Kinder und Enkel. Der Staat, das sind wir, haben die neuerdings verunglimpften 68er damals gebrüllt und gefordert. Der Staat, das sind wir selber, auch wenn wir manchmal unsere Komfortzone verlassen müssten, um auch ein Scherflein dazu beizutragen, unsere Welt besser zu machen.
Gerade hat es sanft und leise zu schneien begonnen, vor den Fenstern meiner persönlichen Komfortzone am Hügel, die laut einer Umfrage die beliebteste Wohngegend von Graz ist. Mein Auto wird, wie schon den ganzen Winter über (und viel länger) stehen bleiben. Für mich hat sich gezeigt, dass es gar nicht schwer ist, den Schalter im Kopf umzulegen und zu erfahren, wie relativ Begriffe wie Bequemlichkeit, Komfort und Luxus sind. Mein Komfort im Stadtraum: Bus und Bim, deren Fahrpläne und Takt ich schon verinnerlicht habe, mit Jahreskarte. Mein Luxus heute: ich werde den Hügel zu Fuß hinunter gehen, mir einen verkehrsarmen Spazierweg aussuchen und den Schneefall genießen.

Ulrike Sbaschnik-Nagy

Das angesprochene "Gemeinwesen" scheint ja wirklich zu einem Supermarkt zu verkommen, in dem sich jeder bedienen kann.
Konsumieren ist ja schon längst zu einer Alltagsphilosophie geworden und die Abstinenz von einer mittragenden Verantwortung zum Selbstverständnis.

Mi. 07/03/2018 9:47 Permalink
anonym

Antwort auf von Ulrike Sbaschnik-Nagy

bitte nicht verallgemeinern und nicht nur schwarzsehen - es gibt auch viele andere. solche, denen bewusst ist, dass wir unsere umwelt selbst mitgestalten können und mitgestalten müssen.

Do. 08/03/2018 10:05 Permalink
Laukhardt

Der Artikel ebenso wie der - jetzt hoffentlich wirklich letzte und schon gestern ernsthaft angekündigte - Schnee im Süden: das sind doch wir, oder? Schade nur, dass man uns und der Natur das so übertrieben versalzt.

Di. 06/03/2018 9:49 Permalink
Fritz Schöffauer

Antwort auf von Laukhardt

Liebe Karin Tschavgova,
ich komme hier wohl viel zu selten vorbei. Heute war ich jedenfalls da und habe mit stiller Aufmerksamkeit gelesen, was du da so schreibst. Abgesehen von deiner Schilderung der Ruhe, die durch den frisch gefallenen Schnee in einer Stadt entsteht und leider viel zu schnell wieder verschmilzt, danke ich dir für deine ganz normalen Feststellungen. Es braucht so wenig, um viel zu haben.
Na gut, eigentlich ist damit schon genug gesagt. Die schon getippten Zeilen sind gelöscht. Ich denke, es reicht auch das ;-)
Mit herzlichen Grüßen,
Fritz Schöffauer

Di. 06/03/2018 11:10 Permalink
feyferlik

solange nicht jeder einzelne verinnerlicht, dass sein tun und nicht tun das stück entscheidung ist, das diese kugel mit mensch oder ohne mensch überleben lassen wird, wird das "solange" wie eine zündschnur in kürze abgebrannt sein.
aber auch im schnellen sinkflug ist es wichtig den lebensraum, den wir verlieren, uns poetisch und sinnlich in erinnerung zu rufen.

Di. 06/03/2018 8:34 Permalink
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