05/05/2015

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

05/05/2015
©: Karin Tschavgova

Was Graz alles sein und werden soll

Diese Glosse sollte absolut positiv werden – von Frühlingsluft, Maiglöckerlduft und der Aussicht auf den kommenden Sommer bestimmt – schließlich hat auch der kritischste Kritiker gelegentlich ein Harmoniebedürfnis.

Gelobt werden sollte die beste Pflege der Grazer Parkanlagen mit immer schöner gestalteten Blumenbeeten, üppigen Arrangements von Stauden und Rosensträuchern und einem Rasen, der zum Verweilen, in die Sonne Blinzeln und zum gemeinsamen Musizieren lockt (und meist sogar benützt werden darf). Ein Genuss in der ersten wärmenden Frühlingssonne, finden Sie nicht auch? Aufmerksam gemacht werden sollte aber auch auf die segensreiche Einrichtung des Wirtschafthofes, den die Grazer Sturzplatz nennen und tagtäglich eifrig nützen, um ihren Sperrmüll oder Sondermüll, feinsäuberlich getrennt, zu entsorgen – an Sonn- und Feiertagen sogar mit längeren Öffnungszeiten als unter der Woche. Wer das Müllproblem in anderen Städten kennt, wer im Urlaub schon an den schönsten Orten (zum Beispiel auf Steilhängen über dem Meer) auf illegale Deponien gestoßen ist, dem ist bewusst, dass solche Möglichkeiten geordneter Trennung und Entsorgung von abertausenden Tonnen Müll, den unsere Überflussgesellschaft permanent erzeugt, nicht selbstverständlich ist. 

Dies leistet sich eine Kommune. Es ist eine Kulturleistung, genauso wie die Pflege und Gestaltung von Parkanlagen oder die Modernisierung von Museen und ihren permanenten Ausstellungen. Dazu ein Tipp: Gehen Sie einmal in die neu arrangierte Sammlung des Naturkundemuseums im Joanneumsviertel. Warten Sie nicht, bis Sie Enkel haben, denen Sie die Wunder der Natur näherbringen wollen – ein Besuch ist ein Staunen für Jung und Alt. Was es dort auch noch zu sehen gibt: Ausstellungsdesign – schön und abwechslungsreich, funktionell und unaufdringlich. 

So könnte Graz sein Profil als Designstadt schärfen – mit gutem, praktikablem Alltagsdesign für alle Lebensbereiche – auf Plätzen, in Parkanlagen, Straßenräumen genauso wie auf Ämtern, Schulen oder städtischen Bestattungsunternehmen, für Straßenlampen, Radwegmarkierungen und Hinweisschilder. Das Behübschen von Brücken nach nebulosen Kriterien wäre dann irgendwann genauso unnötig, wie es das jetzt schon ist, denn: Wollen wir das überhaupt, eine durch und durch gestylte Stadt? Ehrlich, mir ist schon die angebliche Verschönerung der Annenstraße ein Gräuel. 

Wenn Design zum (Stadt-)Marketing verkommt, wird es gründlich missverstanden. 
Und wenn Graz und Bürgermeister Nagl glauben, dass sie Graz nun auch zur Formel-1-Stadt machen müssen, um die Stadt besser touristisch zu positionieren und ihr ein Alleinstellungsmerkmal zu verschaffen, so ist das zum Weinen. Es ist zum Haareraufen ob so viel Blindheit gegenüber der Schönheit und Potenz, die die südliche Schöne „von Natur wegen“ in sich birgt. Graz – die Kulturhauptstadt, Designstadt, Weltkulturerbe, Stadt der Menschenrechte (das bitte leben!), Genusshauptstadt (Titel seit 2008), Aufsteirern-Stadt und nun, nach E-Mobility, auch Formel-1-Stadt. 
Aus jedem Dorf einen Hund – das hat noch nie Rasse und Klasse gebracht. Es zeugt nur von Orientierungslosigkeit und das hat die Schöne nicht verdient. Und diese Glosse damit leider wieder nicht das Prädikat „positiv“.

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