03/10/2022

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#nofilter

Architekt Wilhelm Scherübl Jr. veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen architektonische Utopien, die Zitate aus der aktuellen Medienlandschaft zum Ausgangspunkt haben.

03/10/2022

Der Kilimandscharo bekommt besseres Internet

©: Wilhelm Scherübl Jr.
©: Wilhelm Scherübl Jr.

Heute ist der achte und somit der letzte Tag meiner Kilimandscharo Wanderung. Es ist das vierte Mal, dass ich diesen Gipfel besteige. Dieses Mal über die Lemosho Route. Der Gipfel ist beinahe greifbar und bevor wir die letzte Etappe starten, sammle ich noch schnell eine Erinnerung vom letzten Sonnenaufgang mit Blick auf die Spitze des Berges. Ich versuche den restlichen Besucher*Innen auszuweichen und einen ungestörten Ausschnitt des Gipfels zu bekommen. Gar nicht so einfach bei den ganzen Personen, die sich mit mir im Camp befinden. Letztendlich gelingt mir ein guter Schuss. Noch kurz in ein Bildbearbeitungsprogramm und dann ab damit in die Weiten des Internets.

Uploading …

#sunrise #kilimanjaro #nofilter

Your Image was posted to your Profile.

Noch bevor ich meinen Rucksack aufheben kann, ertönen schon die ersten Piepser aus der Richtung meines Telefons. Als auch die Uploads der Personen um mich herum endlich die sozialen Netzwerke erreichen, entsteht ein kleines Konzert unserer Gadgets. Es summt, brummt, quietscht und piept im ganzen Camp. Das Morgenrot, das uns umgibt, wird nur durch das blaue Leuchten von Screens unterbrochen. So wie die Töne unserer täglichen Begleiter die Ruhe am Berg durchbrechen.

Es ertönt ein lauter Gong, der uns signalisiert, die Social Media Zeit ist vorbei und wir müssen uns auf den Weg machen. Ich schnappe meinen Rucksack und hänge mir mein Smartphone um den Hals. Jederzeit griffbereit, falls sich ein guter Moment für ein Foto ergibt.

Los geht’s!

Natürlich muss ich noch schnell einen Blick auf den Screen werfen, bevor ich den ersten Schritt tun kann. Kurzer Blick auf die Stats: Welches Engagement hat der Post in den letzten 30 Sekunden erreicht und vor allem, wie viele Likes?

16.1432 Likes bis jetzt.

Das ist okay, aber nicht zufriedenstellend. Hoffentlich überzeugt das Panorama am Gipfel meine Follower mehr als das Sonnenaufgangsbild. Schon nach ein paar Schritten kann ich nicht mehr aufhören, daran zu denken, wie ich mehr Likes erhalte. Ich sollte noch schnell eine Story oder einen Reel posten. Irgendetwas. Nur an die 3000 Likes … das ist absurd und viel zu wenig. Ich gebe mir solch Mühe. Meine nächste Nachricht muss alle mehr überzeugen und sie in den Bann ziehen.

Mit jedem Schritt wird mein Unbehagen größer.

Weswegen mache ich diese ganze Wanderung ansonsten?

Wieso sind die Menschen nicht an dieser wunderbaren Natur interessiert?

Kommen Naturfotos im Algorithmus momentan nicht mehr gut an?

Wie viele Follower*innen könnte ich durch dieses schlechte Engagement verlieren?

Ist hier am Berg eine andere Person, die besseren Content erstellt als ich?

Was ist gerade am Trenden, das ich hier auch machen könnte?

Ich versinke immer tiefer in meinen Gedanken und Ängsten, dass ich meinem Following nicht mehr gefallen könnte. Ich war so vertieft in meinen Gedanken, dass ich gar nicht merke, wie der Untergrund unter mir flacher wird und die Personen um mich herum stoppen. Wir haben den Gipfel erreicht und somit meine letzte Chance, heute meinem Publikum zu gefallen. Ich zücke sofort mein Smartphone. Welches Motiv und welche Art der Vermittlung soll ich wählen. Es zählt jede Sekunde. Es könnte jemand anders hier ein paar meiner Likes abgreifen. Ich renne also wie wild am Gipfel herum und suche nach dem idealen Bild. Als sich langsam Unruhe in meiner Gruppe breitmacht. Ich höre ein Raunen und Stöhnen um mich herum.

Vor lauter Hektik habe ich gar nicht mitbekommen, dass mein Handy keine WIFI-Verbindung anzeigt. Was ist hier los? Verdammt – wie soll ich meine Follower*Innen halten – ohne Internet!
Ich sacke in mir zusammen. Mir fällt mein Handy aus der Hand und zerspringt am Boden. Ich sehe schon die schwindende Zahl rechts oben in meinem Profil. Mein Körper beginnt zu zittern und ich fange an zu schluchzen. Die ganze Wanderung um sonst.

Als ich meinen Kopf hebe und den Blick über die Landschaft gleiten lasse, merke ich, es ist das erste Mal seit Beginn dieser Wanderung, dass ich nicht durch den Screen meines Telefons in die Natur blicke.

______ Quellen ______

Zitat:
Kilimandscharo bekommt schnelleres Internet, Tansania richtete Breitbandnetz in 3.730 Metern Höhe ein, die Regierung streicht aber auch Sicherheitsaspekt hervor, www.derstandard.at 18. August 2022, 08:02

Weitere Artikel:
Müll und Massentourismus: Outdoor-Wahnsinn auf dem Kilimandscharo,
www.youtube.com

Very disappointing experience,
www.tripadvisor.com

Meine 10 wichtigsten Tipps für deine Kilimandscharo Besteigung,
www.back-packer.org

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