28/02/2005
28/02/2005

Sperl, Kaup-Hasler (v. li.)

Wagner, Sperl, Kaup-Hasler (v. li.)

Peter Pakesch

Richard Kriesche

Thomas WagnerFotos: J. Kindermann

Kritik einer kritisch angelegten Diskussion am 22. Februar 2005 im Grazer Kunsthaus zu Sinn und Nutzen der Kunstkritik, die von den Diskutanten zunächst unkritisch einmal als Kunst-, dann wieder als Kulturkritik bezeichnet wurde.

Die Frage, „Wer braucht die Kulturkritik?“ stand in der achten Ausgabe der Reihe Jour Fixe im Grazer Kunsthaus zur Diskussion.

Kulturkritik ist nicht anders vorstellbar als systemimmanent, also Teil der Kultur selbst, meint allerdings die Analyse und kritische Bewertung einzelner sozialer und kultureller Erscheinungsformen in einer jeweils die ganze Kultur umfassenden Perspektive. Insofern kann die Kunst selbst in spezifischen Ausformungen kritische Instanz der Kultur sein.

Das war aber offenbar nicht Thema der Veranstaltung und dafür stand auch die Runde der Diskutanten mit VERONICA KAUP-HASLER als designierte Intendantin des Steirischen Herbst, RICHARD KRIESCHE in seiner Funktion als Künstler, THOMAS WAGNER, Redakteur für Bildende Kunst und Design der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, GERFRIED SPERL, Diskussionsmoderator und Chefredakteur des Standard und Joanneum-Intendant PETER PAKESCH.

Thema war vielmehr die Kunstkritik als angewandte analytische Betrachtung und infolge Besprechung aus einer grundsätzlich skeptischen - keineswegs aber vorausgesetzten - ablehnenden oder affirmativen Haltung.

GERFRIED SPERL bezeichnete sich als erfahrener Sammler von Bemerkungen aus dem Bereich der Festival-, Theater- und Museumsdirektoren und resümierte über diesen Fundus: Die Direktoren brauchten überhaupt keine „Kultur- und Kunstkritik“, wenn aber doch, dann nur als positive in den für die Geldgeber bestimmten Argumentationsmappen. Gegen „Jubelkritiken“ aber spricht die Notwendigkeit der öffentlichen Opposition, ohne die eine Unterscheidung zwischen qualitativ hochwertiger und anderer Kunst nicht möglich sei. Kritik habe in ihrer „ureigensten Form etwas Destruktives, bestenfalls etwas Analytisches“.

Der Experte THOMAS WAGNER allerdings stieß sich angesichts Theater-, Kunst- e. a. Kritiken am Begriff der Kulturkritk: „Ist das nun alles zusammen oder die Kritik an der Kultur?“ Aus der Perspektive des Kunstkritikers, hielt Wagner fest, sei die Kritik im Dienst bestimmter Institutionen „ein langweiliges Geschäft – wir wollen ja auch unseren Spaß haben“. Kritik habe aus seiner Sicht immer konstruktiven Charakter, solange sie an der Sache orientiert bleibe und sich nicht in Kampagnen gegen Personen oder Einrichtungen wendet. Zurzeit beobachte er allerdings ein Klima, in dem das Genre der Kunstkritik nicht gerade zum Aufblühen neigt und dafür macht er eine Konsensgesellschaft verantwortlich, in der der Kritiker als Störenfried auftritt.

Eine Bewegung in Richtung kritischer Haikus aufgrund des immer geringer zur Verfügung stehenden Raumes in Zeitungen, nannte VERONICA KAUP-HASLER die von ihr beobachtete Tendenz des Schwindens ausführlicher Kritik. Der Kulturkritiker „beziehungsweise die Kulturjournaille“ trete als der verlängerte Arm der Presseabteilungen auf. Glücklicherweise aber wünschte sie sich eine „Kunst des Unterscheidens“ und die Entwicklung verschiedener Techniken und eigener Stile in der Kunstkritik. Während ihrer Intendanz bei „Theaterformen“ hatte sie im direkten Anschluss an eine Veranstaltung zwei Kritiker an Computern mit Großprojektionen zur Live-Kritik vor Publikum gewinnen können - Kritik als Kunstprojekt. Als Herbst-Intendantin wünscht sie sich ein breites Spektrum an Meinungen und verzichtet darauf, durch Kritiken hofiert zu werden, die vor Dummheit strotzen, vielmehr sei die seriöse Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Betrachtung gefragt.

Eine Gesellschaft ohne kritisches Potential, so RICHARD KRIESCHE, hebe sich selbst auf. Kulturkritik sei umfassender als Kunstkritik und sie beziehe sich auf ein Vorher und Nachher und nicht allein auf den Augenblick. Ernsthafte Kulturkritik sei die Platzierung des aktuellen Ereignisses im größeren kulturellen Kontext. „Wenn die Erfordernisse der Kultur- und Kunstkritik in Lifestyling und Adabei-Moderation abgleiten, bedeutet das für den Produzenten von Kunst, genau diese Mechanismen anwenden zu müssen, um überleben zu können. Lächerliche Kunstkritik führt also zu lächerlicher Kunst.“

Mitten im „Feld von Anspruch und Wirklichkeit“ sieht sich PETER PAKESCH: A priori ginge es ihm nicht um positive Berichterstattung– und widersprach damit Sperls eingangs angeführter Sammlung von Bemerkungen vieler Direktoren und Intendanten. „Gut formulierte negative Kritik kann auch sehr viel bringen.“ Allerdings stellt sich die Frage nach deren Kontinuität, durch die letztlich auch Kulturpolitik betrieben werden kann. In Graz besteht nach Peter Pakesch mit der Kleinen Zeitung ein „großer Meinungsmacher“, der kaum relativiert wird, zumal Wiener Zeitungen in ihren Bundesländerteilen nur wenig zur differenzierten Betrachtung beitragen. Trotz allem „gibt es hier einige spannende Institutionen, wenn auch in der Kulturberichterstattung ein größeres Feld aufgespannt sein könnte“.
Nachschrift: Die Krisis – und daher Kritik – führt zur Entscheidungsfähigkeit gegenüber der Position des Kunstwerks innerhalb der Systeme Kunst und dem übergeordneten der Kultur.

Die Kritik kann sich letztlich nur im sprachlichen Zeichen äußern, eine Distribution erfolgt durch Medien im Print- oder welchem Bereich auch immer. Grundsätzlich ist das nicht besprochene Kunstwerk nicht existent, erfährt erst durch Sprache eine weitere Öffentlichkeit: retrospektiv in der wissenschaftlichen Bewertung durch Kunst-, Musik-, Literaturgeschichte oder initiativ das gegenwärtig Geschaffene betreffend. Der Kunstgeschichte erhalten bleiben spätestens seit der Moderne – man denke an konzeptuelle Kunst und den nachgereihten Stellenwert des physischen Werks – Positionen, die besprochen werden oder wurden. Gleichzeitig besteht die Praxis, Kunst als Handelsware zu transportieren, die wenigstens tendenziell der affirmativen Bewerbung bedarf. Insofern ist der Vergleich mit magischen Praktiken, die Unbelebtes erst durch Besprechen, durch die sprachlich artikulierte magische Formel, ins Leben setzen, wohl nicht weit hergeholt, wenn die Kunstkritik das Werk im metaphorischen Sinn belebt. Der Diskurs, vor allem des nicht physischen Werks, passiert in der Diskussion durch mehrere Sprecher respektive Schreiber, unter denen wohl die ersten die Kunst- und Kulturkritiker sind.

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