08/02/2024

Die Opposition war aus Protest ferngeblieben. Eine fast gespenstische Szenerie dominierte die notgedrungen einberufene Gemeinderatssitzung am 28. Dezember 2023 im halb leeren Sitzungssaal des Mattersburger Rathauses. Nach der mehr als einstündigen Verlesung von 17 negativen „Erinnerungen“ – so werden im burgenländischen Raumplanungsgesetz Einsprüche genannt – wurde der umstrittene Teilbebauungsplan für das sogenannte „Pucherareal“ entgegen allen unabhängigen Fachmeinungen mit den Stimmen der SPÖ Fraktion beschlossen.

08/02/2024

Abb. 01: Historisches Ansichtskarte, das Mattersburger Stadtzentrums mit der Michael Koch Straße im Norden, ca. 1935

©: Johann Gallis

Abb. 02: Variante Spange, Präsentation 4. Oktober 2023, Foto: Bürgerinitiative Lebenswertes Mattersburg

Abb. 03: Variante Solitär 1, Präsentation 4. Oktober 2023, Foto: Bürgerinitiative Lebenswertes Mattersburg

Abb. 04: Teilbebauungsplan Juni 2023, Foto: Bürgerinitiative Lebenswertes Mattersburg

Abb. 05: Teilbebauungsplan Oktober 2023, Foto: Bürgerinitiative Lebenswertes Mattersburg

Abb. 06: Der Sprecher der Bürgerinitiative Architekt Alexander Dworschak vor dem Pucherareal, Foto: Bürgerinitiative Lebenswertes Mattersburg

Abb. 07: Demonstration vor dem Rathaus in Mattersburg, 19. Dezember 2023, Foto: Bürgerinitiative Lebenswertes Mattersburg

Im Jahr 2023 beschäftigte die nordburgenländische Kleinstadt Mattersburg ein Thema wie kein anderes: der Teilbebauungsplan für das rund 18 000 Quadratmeter umfassende sogenannte „Pucherareal“ in der Michael-Koch-Straße, nordwestlich des Mattersburger Stadtzentrums. Martin Pucher, früherer Direktor der mittlerweile liquidierten Commerzialbank Mattersburg, wollte hier eine neue Bankzentrale samt neuem Rathaus mit Wohnungen errichten und kaufte sukzessive Bestandsobjekte auf. Heute präsentiert sich das Areal durch die noch von Pucher in Auftrag gegebenen Flächenabrisse zu rund zwei Drittel unbebaut und zu etwa einem Drittel noch durch Bestandsbauten geprägt. GAT+ berichtete bereits im Sommer detailliert über die komplexe, mehr als dreißigjährige Vorgeschichte des Vorhabens und dessen vielschichtigen Problemen in städtebaulicher, architektonischer, raumplanerischer und nicht zuletzt ökologischer Hinsicht. Bestanden im vergangenen Sommer berechtigte Hoffnungen, die Stadtgemeinde würde von selbst Schlüsse aus den massiven Protesten der Bevölkerung – allen voran der neu gegründeten Bürgerinitiative „Lebenswertes Mattersburg“ – ziehen, hat sich dies als Trugschluss erwiesen. Selbst vernichtende Kritik von Fachinstitutionen – die Österreichische Gesellschaft für Architektur und DOCOMOMO Austria nahmen umfassend Stellung und boten auch ihre fachliche Unterstützung an – blieben ungehört. Ein Protokoll der Ereignisse:

Inszenierte Mitbestimmung und geheime Expert:innen

Nach dem massiven öffentlichen Druck und einer für die Stadtgemeinde und den Investor katastrophalen Bürger:innenversammlung am 3. Juli 2023 schien die Stadtgemeinde Mattersburg einzulenken. Sie kündigte sogar an, dass gemeinsam mit dem für die Kommune seit mehreren Jahren tätigen Raumplanungsbüro „A.I.R. Kommunal- und Regionalplanung“ die Causa nochmal überdacht werden sollte. Wenige Zeit später wurde die Bürgerinitiative auf Nachfrage darüber informiert, dass es im August einen nicht öffentlichen Workshop von Gemeindeverantwortlichen, Vertreter:innen des Raumplanungsbüros und externen Expert:innen – so die kryptische Formulierung der Stadtgemeinde – geben werde, bei dem das ganze Projekt noch einmal „unvoreingenommen ganzheitlich“ betrachtet werden solle. Die Namen der Expert:innen würden vorerst auf deren eigenen Wunsch nicht preisgegeben. Nachdem der Workshop schließlich am 18. August stattgefunden hatte – auch das wusste die Öffentlichkeit nicht –, wurden dessen Ergebnisse erst mehr als einen Monat später, nämlich am 4. Oktober, präsentiert. Der Vorhang wurde gelüftet und es stellte sich heraus: Die Expert:innen waren der emeritierte Universitätsprofessor Architekt Dipl.-Ing. Dr. Erich Raith und die Landschaftsarchitektin Dipl.-Ing. Karin Graf. So offen allerdings, wie der Workshop angekündigt wurde, war dieser dann wohl doch nicht. Das Korsett, in dem die Expert:innen ihre Anregungen abgeben konnten, war wohl atemabschnürend. Obwohl Raith den Standort des bestehenden Rathauses auch bei der öffentlichen Präsentation als den „genialsten“ bezeichnete, rückte die Stadtgemeinde mit fachlich nicht haltbaren, aber mit größter Vehemenz vorgetragenen „Argumenten“ nicht davon ab, das Rathaus am „Pucherareal“ neu bauen zu wollen. Eine vertane Chance, die nicht nur die Gemeinde aus ihrem Bauwerberverhältnis mit dem Investor erlöst, sondern auch tiefgreifende städtebauliche Probleme gelöst hätte. Damit müsste nicht auf Biegen und Brechen ein weiteres Zentrum neben dem schon existierenden Zentrum geschaffen werden, das zur Verödung von bestehenden Zentrumsbereichen beitragen wird. Auch der Umgang mit dem Bestand im westlichen Bereich des Areals umschiffte man geschickt – der vorgelegte Entwurf betraf nur die bereits geräumten Grundstücke.

Ernüchterung

Die adaptierten Planungen, die aus dem Workshop resultierten, waren vom Bemühen getragen, auf die Stadtmorphologie und Stadtstruktur Rücksicht zu nehmen und aus dem Lesen und der Neuinterpretation derselben die Parameter für den Teilbebauungsplan sensibel zu entwickeln. Ein hehres Ziel, das in theoretischer Sicht absolut schlüssig erscheint, sich allerdings in den vorgelegten Varianten kaum mehr wiederfand: Die typologische Bezugnahme zur Streckhofstruktur des früheren Breitangerdorfes erschöpfte sich im Bereich der Hirtengasse in der Projektierung von – im Vergleich zum kleinteiligen Umfeld – noch immer als großvolumig zu bezeichnenden Zeilenbauten. Im südlichen Bereich zur Michael-Koch-Straße orientierten sich die zwei ausgearbeiteten Varianten stark an der bereits vorhandenen Planung vom Juni. Im Zentrum wurde ein Rathaus situiert, von zwei Körpern flankiert und ein Platz vorgelagert. Die Variante „Spange“, mit der versucht wurde, durch Überbauungen der Durchgänge die Platzbildung zu verstärken, beinhaltete darüber hinaus auch einen Hotelturm (!) als städtebauliche Dominante des neuen Zentrums. Mit einer generellen Gebäudehöhe von V+ wäre dieser Bereich in beiden Varianten sogar höher (!) als bei dem im Juni vorgelegten Teilbebauungsplanentwurf. Abschließend betonte Raith, dass die gezeigten Varianten den Beginn eines umfassenden Planungsprozesses darstellen sollen und dass ein Architekturwettbewerb anzuraten wäre. Anders sah dies die Gemeinde. Der Abend bedeutete für die Verantwortlichen nicht den Beginn eines zeitgemäßen, partizipativen Stadtplanungsprozesses unter Einbindung der Fachöffentlichkeit, sondern den Endpunkt einer für sie „lästigen“ und lediglich gespielten Einbindung der Bevölkerung, einer inszenierten Mitbestimmung. Dem Wettbewerb für das gesamte Areal erteilte man daher sogleich eine Absage. Es handelt sich um Privatgrund, wie beinahe gebetsmühlenartig wiederholt wurde. Ein Architekturwettbewerb nur für das Rathaus selbst wurde als Minimalkompromiss zugesagt, ohne die Wettbewerbsform zu definieren.

Teilbebauungsplan gegen den Bestand

Am 27. Oktober 2023 wurde schließlich an der Amtstafel die öffentliche Auflage des Teilbebauungsplanes verlautbart. Diesmal wurden die Dokumente – im Gegensatz zum Juni, wo der Plan samt Beilagen weder fotografiert noch kopiert und nur abgeschrieben und abgezeichnet (!) werden durfte – sogar auf der Gemeindehomepage online zur Verfügung gestellt. Nun war er für jede und jeden frei zugänglich. Das Ergebnis, das interessierte Einsichtnehmer:innen dort erblickten, übertraf alle Erwartungen in negativer Hinsicht und glich einem Planungsrecycling nach Investorenwunsch. So wurde der erste Teilbebauungsplanentwurf um überschaubare Adaptierungen aus dem „Workshop-Projekt“ ergänzt und zu einem neuen Entwurf zusammengestückelt. Im westlichen Gebiet, das nun plötzlich wieder Teil der Planung war, erschöpften sich die geringfügigen Modifikationen in der minimalen Adaptierung der Gebäudehöhen. Volumen wurden einfach verschoben und vorher differenzierte Gebäudehöhen vereinheitlicht, sodass die verwertbare Kubatur am Ende fast gleich blieb. Die für die Ortstextur essenzielle, erhaltene Substanz, darunter auch das architektonisch äußerst bedeutende Haus Seedoch – 1935 von den Architekten Julius Kappel und Rudolf Hutter geplant –, heute noch in Privatbesitz und mitten im Investorenareal gelegen, wurde in diesem Entwurf bereits ebenfalls eliminiert, wie auch die weitere durch Vor- und Rücksprünge abwechslungsreiche Platz- und Straßenräume fassende, historische wie charakteristische Bebauung. Als Ersatz wurde hier die schon im Juni vorgestellte, maßstabslose, die städtebauliche Struktur ignorierende Bebauung projektiert. Dem Stadtentwicklungsplan und dem örtlichen Gestaltungskonzept widerspricht sie eindeutig.

Anlasswidmung der Sonderklasse

Dennoch versuchten die Verantwortlichen durch parallele Abänderung des Stadtentwicklungsplanes, diesen auf das Investorenprojekt maßzuschneidern. Vor allem die Adaptierung der zulässigen Höhen wurde hierfür herangezogen, wie die ÖGFA und DOCOMOMO Austria in ihrer gemeinsamen Stellungnahme eindrücklich festhielten: „Die neue Klassifizierung des gesamten südlichen Projektgebietes zur Michael-Koch-Straße als Bereich ‚Sonderstrukturen/Abweichungen zur umgebenden Bebauung‘, anstatt „Zentrum, innerer Stadtkern“, sowie die Änderung im nördlichen Bereich der Hirtengasse als „Mehrgeschossiger Wohnbau“, anstatt „Historisch geprägter Stadt-/Ortskern“ sind fachlich nicht nachvollziehbar und widersprechen somit eindeutig dem bisherigen Stadtentwicklungsplan.“ In der Folge gingen innerhalb der Auflagefrist vom 30. Oktober bis zum 11. Dezember 2023 insgesamt 18 „Erinnerungen“ ein, von denen, abgesehen von jener, die der Bauträger einbrachte, alle den Teilbebauungsplan negativ beurteilten und diesen in unterschiedlichster Intensität, in verschiedensten Aspekten kritisierten: zu hohe Bebauungsdichte, zu hohe Geschoßflächenzahl, zu hoch, kritische Aspekte der Ökologie, des Stadtklimas und der Nachhaltigkeit, Umgang mit dem Bestand, kein Verkehrskonzept usw. „Erinnerungen“ kamen unter anderem vom Sprecher der Bürgerinitiative Architekt Dipl.-Ing Alexander Dworschak, der Österreichischen Gesellschaft für Architektur und DOCOMOMO Austria sowie vom Architekturschaffenden Dipl.-Ing. Nikolaus Gartner.

Die geplatzte Gemeinderatssitzung

Im November 2023 spitzte sich die Situation zu. Die Bürgerinitiative erkannte, dass offenbar von der Gemeinde nie wirkliches Interesse an einer Abänderung oder Adaptierung der Pläne bestand. Transparente an Hauswänden, eine Luftballonaktion, mit der die Höhe der projektierten Bauten simuliert wurde, und nicht zuletzt ein Flugblatt sollten die Öffentlichkeit noch mehr für das Thema sensibilisieren. Bei der Gemeinderatssitzung am 19. Dezember sollte der Teilbebauungsplan beschlossen werden. Die Bürgerinitiative hatte zu einer Demonstration vor dem Rathaus geladen. Die Sitzung endete aber schon früher als geplant. Als die Bürgermeisterin den Tagesordnungspunkt zum Teilbebauungsplan einleiten wollte, verließen sämtliche anderen Parteien den Raum, wodurch die Sitzung – nach der burgenländischen Gemeindeordnung, die eine Anwesenheit von mindestens zwei Drittel der Gemeinderatsmitglieder verlangt – abgebrochen werden musste. Innerhalb weniger Minuten wurde die Einladung für eine Gemeinderatssitzung, diesmal zwischen Weihnachten und Silvester, am 28. Dezember, für die man sich also aufgrund der Feiertage und der generellen Urlaubszeit weniger Aufmerksamkeit versprach, versandt. Bei dieser würden auch die Stimmen der SPÖ ausreichen, da in einer zweiten Sitzung ein einmal „geplatzter“ Tagesordnungspunkt beschlossen werden kann, wenn zumindest die Hälfte der Gemeinderatsmitglieder sich einfindet. Und so wurde am 28. Dezember 2023 auch der Teilbebauungsplan beschlossen. Davor mussten allerdings alle eingegangenen „Erinnerungen“ inhaltlich wiedergegeben und sogar zusammengefasst werden. Nur wenige Minuten später beschloss die SPÖ Mehrheitsfraktion den Teilbebauungsplan – alle anderen Parteien waren aus Protest der Sitzung ferngeblieben. Eine groteske und skurrile Szenerie, wie Besucher:innen der Sitzung fassungslos berichteten.

Der Ball liegt beim Land

Unmittelbar nach diesem Beschluss für das „wichtigste und zugleich sensibelste Bauprojekt in dieser Amtsperiode“ (Zitat Bürgermeisterin Claudia Schlager, 19. Dezember 2023) wurde von einigen Verantwortlichen der Anschein erweckt, der Teilbebauungsplan sei final beschlossen und die Causa erledigt. Doch so schnell geht es – auch im Burgenland – nicht. Es gibt raumplanerische Sicherungsinstrumente, die die Politik „einbremsen“, um die Dörfer und Städte vor jahrzehntelangen Schäden zu bewahren. Der Beschluss für den Teilbebauungsplan wurde lediglich auf der untersten, der Gemeindeebene, gefasst. Nun wird die gesamte Causa vom „Hauptreferat Landesplanung“ beim Amt der burgenländischen Landesregierung geprüft. Dieses Verfahren ist weit mehr als ein bloßer Formalakt, auch sämtliche „Erinnerungen“ sind der Landesregierung vorzulegen und von den Expert:innen der Abteilung zu prüfen bzw. zu berücksichtigen. Die nächsten Monate werden zeigen, ob es nicht heißt: zurück an den Start! Eines ist aber schon jetzt klar, das Beispiel aus Mattersburg zeigt in erschütternder Deutlichkeit, wie leicht gute und erprobte Planungsinstrumente wie Stadtentwicklungsplan, örtliches Gestaltungskonzept, Teilbebauungsplan usw. auf Gemeindeebene ausgehebelt und dazu missbraucht werden können, Projekte durchzupeitschen, die sie eigentlich verhindern sollten.

 

______Beilagen zum Download

- Erinnerung ÖGFA/ DOCOMOMO Austria
- Erinnerung Architekt Dipl.-Ing. Alexander Dworschak/ Bürgerinitiative Lebenswertes Mattersburg
- Erinnerung Dipl.-Ing Nikolaus Gartner

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