14/02/2024

Im Magazin, Ausstellungsraum für zeitgenössische Architektur fand am 26.1.24 eine Diskussion im Rahmen der Ausstellung „Intangible Proof. Indigenous Truths before the Inter-American Court of Human Rights“ von Nina Valerie Kolowratnik statt. Die Voraussetzungen für und Notwendigkeit der Verständlichmachung indigener Weltanschauung zur Durchsetzung indigener Rechte vor einem westlichen Werte- und Rechtssystem wurden diskutiert. Welche Rolle dabei die Werkzeuge der Architektur spielen können, die visuelle Darstellungen von Raum und räumlichen Gegebenheiten ermöglichen, ist eine zentrale Frage der Ausstellung. 

14/02/2024

Ausstellungsansicht Intangible Proof, Magazin

©: kunst-dokumentation.com

Ausstellungsansicht Intangible Proof, Magazin

©: kunst-dokumentation.com

Im Magazin, Ausstellungsraum für zeitgenössische Architektur ist noch bis 24.2.2024 die Ausstellung „Intangible Proof. Indigenous Truths before the Inter-American Court of Human Rights“ von Nina Valerie Kolowratnik zu sehen. Kolowratnik ist Architektin und arbeitet derzeit an ihrem Phd in Recht am Human Rights Center der Universität Ghent, in dem sie sich mit der Durchsetzung indigener Ansprüche und Rechte auf ihre traditionellen Territorien vor dem Inter-American Court of Human Rights beschäftigt.

Im Fokus ist dabei das Spannungsfeld zwischen indigenem Wissen und die Bedingungen, unter denen dieses als Evidenz vor dem legalen Rahmen westlicher Rechtssysteme verhandelt wird. Das indigene Recht auf Selbstbestimmung durchzusetzen, das die UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker vom September 2007 zusichert, bedeutet im weitesten Sinne auch die Notwendigkeit der Übersetzung indigener Wahrheiten in westliche Termini und diesen einer westlichen Mehrheitsgesellschaft verständlich zu machen. Wie auch die Werkzeuge der Architektur dieser Übersetzung dienlich sein können, ist einer der Aspekte in diesem Themenfeld, mit dem Kolowratnik arbeitet.

Bei der Panel-Diskussion am 26.1.24 mit Nina Kolowratnik, Christina Korak, René Kuppe & Eduardo Pichilingue, wurde eben diese Herausforderung diskutiert.
Kolowratniks Ausstellung im Magazin behandelt konkret den Stamm der semi-nomadischen Tagaeri Taromenane denen im Jahr 1999 ein Schutzgebiet zugesprochen wurde und deren Fall vor dem Inter-American Court of Human Rights eine Besonderheit ist, da es der erste Rechtsstreit vor diesem Gericht ist, bei dem es um die Rechte eines „Voluntarily isolated Peoples“ und um ihre traditionellen Territorien geht. Der Rechtsstreit wird für sie von NGOs und unterschiedlichen weiteren Beteiligten und Akteuren, wie dem benachbarten Stamm der Waorani, der seit den 1960er Jahren kontaktiert ist, geführt.

Bei der Diskussion wurde herausgestrichen, dass man bei jenen indigenen Stämmen, die Kontakt zur Außenwelt verweigern, immer mehr davon abkommt, von freiwilliger Isolation zu sprechen, vielmehr von Vermeidung jeglichen Kontakts. Diesen Stämmen ist wohl bewusst, dass im Laufe der letzten Jahrhunderte sehr viel Gewalt und Unglück mit dem Kontakt zur Außenwelt verbunden war, angefangen beim Rubber-Boom, während dessen indigene Stämme unter Gewalt zur Gewinnung von Kautschuk genötigt wurden, der Verbreitung von Krankheiten, bis hin zum Kontakt mit Missionaren unter dem indigene Kultur in Frage gestellt und unterminiert wurde. Heute sind sie mit dem immer tieferen Eindringen der Ölindustrie in den Regenwald und in ihren traditionellen Territorien konfrontiert. Auch der Staat Ecuador, auf dessen Gebiet dieser Stamm sich befindet, ist auf die Ölindustrie angewiesen und somit unter Druck. Es kam immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen dem Stamm und Ölbohrern und führte zu Todesfällen, vor allem auf der Seite des Stammes. In der Diskussion wurde vorsichtig die Interpretation dieser Auseinandersetzungen unter anderem als Verteidigung von territorialen Grenzen vorgeschlagen. Neben dem Eindringen in ihr Territorium wirkt der Lärm, der von Ölbohrungen, Fahrzeugen und illegalen Abholzungen produziert wird, für sie als Bedrohung.

Weiters wurde darüber gesprochen, dass im indigenen Verständnis die Entscheidung über eine Ölbohrung an einer bestimmten Stelle, davon abhängen würde, die dort ansässigen Geister, etwa die großer Bäume, die sich um das ökologische Gleichgewicht des Gebiets kümmern, um Erlaubnis zu fragen, bzw. diese zu befragen, ob sie diesem Vorhaben zustimmen können. Ob es nachhaltig genug ist, auf eine Art. Aus westlicher Sicht würde dieses Vorgehen aber eher als Aberglaube abgetan, denn als Beweis und Evidenz gehandhabt, die vor einem westlichen Gericht standhalten könnte. Wie man indigene Traditionen, Ansprüche und Weltanschauung, Spiritualität oder Kosmovision verständlich übersetzt ist also eine eng mit dieser Thematik verbundene Fragestellung.

Weiters wurde diskutiert, dass indigene Besitzansprüche schon während der Kolonialzeit nicht anerkannt wurden, da sie anderen Logiken folgen, als das westliche Recht, bei dem Besitz, Eigentum, Grenzen, staatliche Souveränität etc. klar definiert sind. Demgegenüber steht der indigene Bezug zur Umgebung als Raum in und mit dem man lebt, statt der Inbesitznahme dieses Raums. Auch diese von westlichen Systemen abweichende Logik ist schwer in westliche Rechtssprache zu übersetzen.

Nina Kolowratnik hat in den letzten Jahren ihrer Arbeit grafische Methoden aus der Architektur verwendet, um territoriale Konflikte vor dem Hintergrund unterschiedlicher Rechts- und Wertesysteme zu beschreiben und alternative Arten der Produktion von Evidenz zu unterstützen. Der dringenden Notwendigkeit alternativer Wege um solche Zusammenhänge und Gegebenheiten zu beschreiben, kann auch mit innovativen Systemen der Architekturzeichnung und visuellen Darstellungen begegnet werden. Im Magazin sind ihre Zeichnungen von den nicht klar umrissenen Grenzen des Territoriums der Tagaeri Taromenane, des von der Industrie produzierten Lärms und der gewalttätigen Auseinandersetzungen zu sehen. Visuelle Darstellung und das Verständnis, wie Menschen Räume auf verschiedene Weisen nutzen sind Werkzeuge, die sie in ihrer Arbeit von der Architektur in den Bereich der Menschenrechte einfließen lässt. 2019 ist Kolowratniks Buch The Language of Secret Proof: Indigenous Truth and Representation in der Critical Spatial Practice Reihe bei Sternberg Press erschienen. 

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