08/11/2006
08/11/2006

Bauen als Demonstration des Vermögens
Buchbesprechung: Dejan Sudjic "Der Architekturkomplex. Monumente der Macht".

Mit der Beschreibung einer Fotografie, die 2002 in der New York Times abgebildet war, leitet Dejan Sudjic seine materialreiche Studie zu einem Phänomen ein, das im weitesten Sinn der Kategorie Ego-Prothetik zugeordnet werden könnte. Um das Modell der „Mutter aller Schlachten“-Moschee gruppiert stehen da einige Militärs und der Bauherr Saddam Hussein. Die Planung dieser Moschee diente von Beginn an nur einem Zweck: Der erste Golfkrieg sollte als Sieg des Irak verbucht werden, nachdem sich Saddams Armee aus Kuweit zurückziehen musste und der Diktator mit allen Mitteln versuchte, seine Erniedrigung zu kompensieren. Neben zahllosen, die militärische Stärke des Irak symbolisierenden Details steht im Zentrum des Baues ein Glaskasten, darin ein 650 Seiten starker Koran von dem behauptet wird, der Kalligraph habe ihn mit Saddams Blut geschrieben. Damit reiht sich die in Bagdad errichtete Moschee in eine Reihe von Siegesdenkmälern ein, wie sie seit der Antike errichtet wurden und die stilistisch überwiegend – auch in historischer Rückschau – nicht anders als „Kitsch as Kitsch can be“ ausfielen.

Der Autor Dejan Sudjic ist Architekturkritiker beim London Observer, Gastprofessor am Royal College of Art und leitete 2002 die Architektur-Biennale in Venedig. Mit „Der Architekturkomplex“ hat er ein Buch vorgelegt, in dem er den Versuch unternimmt, vor allem politische und wirtschaftliche Motivationen für repräsentatives Bauen im 20. und 21. Jahrhundert zu versammeln. Wenn auch der Titel auf das psychologische Movens der so genannten Bewusstseinshemmung – ausgelöst durch Angst, Schuld- oder eben Minderwertigkeitsgefühl – anspielen mag, wird dieser Anspruch allerdings nicht eingelöst. Sudjic beschränkt sich auf die zugegeben ausführlich recherchierten und für den Leser gut aufbereiteten Baugeschichten von Desideraten wie Hitlers „Germania“ bis zu den Realisierungen des WTC von Minoru Yamasaki, den Petronas-Türmen oder Norman Fosters Swiss Re Tower in London. Allemal interessant allerdings die Anstalten Ludwig Mies van der Rohes, Hitler davon zu überzeugen, dass Abstraktion in der Architektur auch der Glorifizierung des Reichs dienlich sein könne. Dass der Verbrecher sich letztlich für Albert Speer entscheiden sollte, der sich den klassizistischen Konglomeraten der architektonischen Vorstellungen seines Meisters in affirmativer Weise widmete, sollte sich für Mies als glückliche Fügung erweisen. Nicht unerwähnt bleibt in diesem Zusammenhang Günther Domenigs Antwort auf die unvollendet gebliebene Kongresshalle in Nürnberg als Speer (die Waffe) durch deren Herz.

Was den Bauherren respektive den Architekten – und durchwegs ist in dieser Abhandlung von Männern die Rede – also treiben mag, reduziert Sudjic mehrfach auf die Formel „Bauen ist das Mittel, durch das der Egoismus des Einzelnen in seiner reinsten Form ausgedrückt wird: der Architekturkomplex.“ Wer sich eingehender mit soziologischen oder psychologischen Aspekten der Machtdemonstration durch Architektur beschäftigen möchte, dem sei an dieser Stelle Richard Sennetts „Fleisch und Stein“ aus dem Jahr 1994 empfohlen.

Und schließlich bleibt ein zweites Manko dieses Buches zu Fragen um repräsentative Architektur zu vermerken, dem im Anhang ein neunseitiges Register von Bauherren, Architekten und Bauwerken nachgestellt ist: Auf 370 Seiten finden sich ganze 18 Abbildungen, zudem der wahrscheinlich bekanntesten der behandelten Bauten. Das Vorstellungsvermögen der Leser ist also über Gebühr gefordert, so man sich nicht die Mühe paralleler Bildrecherche machen will.

Dejan Sudjic: Der Architekturkomplex. Monumente der Macht. Düsseldorf 2006 (Artemis & Winkler / Patmos Verlag). ISBN 3-538-07224-8

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Buchbesprechung
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