04/08/2020

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

04/08/2020
©: Karin Tschavgova

„Isolation in ihrer schönsten Form“. Die glanzvollen Pretiosen der Familie Swarovski

Ob die Redakteurin der Kleinen Zeitung wusste, dass sich die Begriffe Isolation und isolieren vom italienischen „isola“ ableiten, als sie uns die Isola Santa Cristina in der Lagune von Venedig als Isolation in ihrer schönsten Form anpries? Auf zwei Doppelseiten der Reisebeilage durfte sie ausführlich aufzählen, was sie über die einzige Privatinsel Venedigs im Gespräch erfuhr, vermutlich beim Lokalaugenschein auf Einladung des „Herrn der Insel“ (Kleine Zeitung). Dieser ist ein angeheirateter Spross der großen Familie Swarovski. Auf dem rund 30 Hektar großen Eiland werden Edelfische gezüchtet und eine Biolandwirtschaft mit Obst, Honig, Gemüse- und Weinbau betrieben.
Gekauft hat die Insel vor kolportierten 30 Jahren der Urenkel des Firmengründers, Gernot Langes-Swarovski. Aus der langen Liste seiner weltweiten Beteiligungen lässt sich schlussfolgern, dass er in den 35 Jahren seiner Tätigkeit als geschäftsführender Gesellschafter ein äußerst dynamischer Unternehmer gewesen ist. 1978 kaufte er die späteren Tyrolean Airways, 1979 begann in Wattens die Produktion der glitzernden Kristallglasfiguren, die jede Flughafen-Shopping-Mall verwechselbar machen, und 1995 entstand unter seiner Ägide die Kristallwelt Wattens, die heute – richtiger gesagt, bis zur Coronakrise – mit 15 Millionen Besuchern (Stand August 2019) nach Schönbrunn zum Besuchsmagneten Nummer 2 der touristischen Destinationen Österreichs wurde. 2002, zum Zeitpunkt seines Abschieds aus dem operativen Geschäft, erwirtschaftete der Konzern, so liest man, pro Jahr 1,7 Milliarden Euro Umsatz, der sich 2018 bei 34.000 Beschäftigten auf 3,5 verdoppelte.
Die Idee, die exklusive Privatinsel mit dem Herrenhaus, neun Schlafzimmern und eigenem Hubschrauberlandeplatz zu vermieten, wird also kaum unstillbarem Geschäftssinn geschuldet sein, sondern eher dem Wunsch, andere an der einsamen Pracht teilhaben zu lassen. Deshalb legt uns die Redakteurin den Reisetipp auch ausführlich ans Herz als „mit Sicherheit gute Wahl“. Der Kostenpunkt, ein Schnäppchen: 4000 Euro pro Nacht bei einem Mindestaufenthalt von drei Nächten, zusätzlich 100 Euro pro Person und Tag für Privatkoch, Housekeeping und Mahlzeiten.
Da möchte man doch gleich zum Telefon greifen, nicht wahr? Wäre da nicht ein kleiner Wermutstropfen: Wer das Weltgeschehen und die Probleme der Wirtschaft, auch der österreichischen, in Corona-Zeiten aufmerksam verfolgt, dem dürfte nicht entgangen sein, dass die Firma Swarovski im Juli verlautbaren ließ, sie werde im Herbst 1000 Arbeitsplätze in Wattens abbauen. In Summe könnten, wird geschätzt, bis 2022 sogar 1800 der 4800 Stellen am Stammsitz wegfallen. Die Coronakrise scheint nur der letzte Anstoß, nicht aber der ausschlaggebende Grund für den Konzernum- und Stellenabbau. Der soll, wie die neue Konzernspitze verlautbaren lässt, „starker Konkurrenzdruck im Kristallkomponentengeschäft“ sein, „der uns seit mehr als zehn Jahren stark zusetzt“. Aber Hallo! Hätte man da nicht schon längst damit beginnen können, umzustrukturieren, den Fokus wieder auf höherpreisige Produkte zu lenken, wie man es jetzt vorhat? Sich wieder ein neues Geschäftsfeld aufzubauen wie einst die Altforderen der Glitzerwelt-Familie, die es in jeder Generation des seit 1895 in Wattens ansässigen Unternehmens schafften, durch eine Neugründung den Glasschleiferbetrieb noch erfolg- und ertragreicher aufzustellen.
Spare in der Zeit, dann hast du in der Not, war der Wahlspruch meiner Mutter, die als kleine Geschäftsfrau erfolgreich war und dabei immer integer blieb. Niemals wäre ihr eingefallen, für unternehmerische Durststrecken die Angestellten „zahlen“ zu lassen. Das war bis in die frühen 1980er so. In Corona-Zeiten wird deutlicher denn je: Gewinne werden immer privatisiert, steuerschonend angelegt, und bei Verlusten ruft man den Staat um Hilfe. Das Online-Magazin Kontrast (SPÖ) schreibt zur aktuellen Swarovski-Lage: „Seit Jahren strauchelt der Konzern. Nun nutzen sie die Corona-Krise, um ein Drittel der Belegschaft von 6600 loszuwerden. Zuvor hat man zwölf Millionen Euro an Kurzarbeits-Geldern in Anspruch genommen. Bis zum Ende der zweiten Kurzarbeitsphase wird die staatliche Förderung zwischen 50 und 80 Millionen ausmachen, rechnet die AK.“ Ja, wie anders, wenn die Gewinne längst unter der Familie aufgeteilt, in Weingütern in Argentinien, in Luxus-Resorts und einer Insel angelegt sind.
Mein Vorschlag: vermacht die Isola Santa Cristina, dieses laut Beschreibung „nachhaltige Hideaway“ im Norden der Lagune, den bald Gekündigten von Wattens in Form einer 100 Prozent-Beteiligung. Bei diesen Schnäppchen-Preisen für ein außergewöhnliches Feriendomizil, für eine „Isolation in ihrer schönsten Form“ kann es nicht schwer sein, die Insel gewinnbringend zu vermarkten – nicht nur als Reisetipp für die Leser der Kleinen Zeitung. Und sollten die ehemaligen Glasschleifer nicht mit Geschäftssinn wie ihre ehemaligen Arbeitgeber gesegnet sein, so könnte der Preziose immer noch als Ferienkolonie für Swarovski-Werksarbeiter a.D. neues Leben eingehaucht werden. Ein paar Ferienhäuschen in den Obsthainen, ein Zeltplatz anstelle des Hubschrauberlandeplatzes, Paddelboote, und schon sind sie da. Bescheidenheit werden sie in der sozialen Isolation der Arbeitslosigkeit sicher gelernt haben.
Nachsatz: Pretiose oder Preziose leitet sich ab von lat. pretium – Preis, Wert, Geltung, aber auch Lohn und Belohnung.

Steinegger

Liebe Karin, danke für den Bericht - wieder alles richtg gemacht in den letzten Jahren.....keinen Kristallkitsch gekauft und die Kleine Zeitung abbestellt.
p.s.:eine privatisierte "Insel" haben wir seit 4 Wochen auch in Graz - den Karmeliterplatz, betrieben von der Grazer Nachtgastronomie unter der Führung der "drei Affen" !

Di. 04/08/2020 10:35 Permalink
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