29/10/2018

Qualitätsexport aus der Steiermark

Karin Tschavgova zum Bauherrenpreis 2018

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29/10/2018

Volksschule Dorf Lauterach, Vorarlberg – Preisträger BHP’18

Architektur: Feyferlik / Fritzer©: paul ott photografiert

Volksschule Dorf Lauterach, Vorarlberg – Preisträger BHP’18

©: paul ott photografiert

Bundesschule Aspern, Wien – Preisträger BHP’18

©: Hertha Hurnaus

Bundesschule Aspern, Wien – Preisträger BHP’18

©: Hertha Hurnaus

Prinzessin Veranda, Graz, Steiermark – Preisträger BHP’18

©: paul ott photografiert

Prinzessin Veranda, Graz, Steiermark – Preisträger BHP’18

©: paul ott photografiert

Das Fettnäpfchen, in das ich kürzlich ohne nachzudenken getappt bin, kann ich nur mit meiner immer schon ausgeprägten Abneigung gegen Grenzziehungen erklären. Dass sie für viele ein Mittel sind, um ihr Ordnungs- und Einordnungsbedürfnis befriedigen zu können, ist schon nachvollziehbar – das Meine ist es trotzdem nicht. Der Gründe gibt es mehrere: erstens versuche ich, Schubladendenken zu vermeiden, zweitens empfinde ich das Ergebnis von „artenreinen“ Einordnungen oft als langweilig (lauter „Weiße“, nur Sub auspicis Absolventen ect.) und drittens bin ich allergisch gegen nationalstaatliche Grenzziehungen, wie sie zur Zeit in EU-Ländern wie Österreich, Polen oder Ungarn wieder en vogue sind. Doch zurück zur Erklärung meines Fehltritts: Als ich kürzlich in der Sammlung von Nextroom bei einem Objekt in Leoben unter Awards las, dass dieses der Preisträger eines Holzbaupreises in der Steiermark 2017 war und als dann da auch stand, dass dasselbe Objekt beim Holzbaupreis Kärnten eine Anerkennung erhalten hatte, konnte ich es nicht anders deuten, als dass bei der Eingabe ein Fehler passiert sei. Flugs machte ich mich daran, Juerg Meister, den Sammlungsleiter, auf den Fehler aufmerksam zu machen. Der wiederum klärte mich auf: kein Fehler der Redaktion. Alles habe seine Ordnung, denn die Kärntner hatten dem Holzbau in Leoben einen Exportpreis verliehen. Na dann. Wer hätte das gedacht?

Was das alles mit dem ZV-Bauherrenpreis 2018 zu tun hat?
Nun, die Anfrage für einen Artikel in diesem Forum lautete, ob ich einen Beitrag über die drei prämierten steirischen Objekte (nein, nicht Projekte) schreiben würde. Nachdenkpause. Was spricht dafür, zuzusagen? Nun, Sie haben den Textbeitrag vor sich, werter Leser. Die stichhaltigste Erklärung ist das Online-Portal GAT, das, was Ihnen sicher erinnerlich ist, GrazArchitekturTäglich abkürzt und vorwiegend über Themen zu Stadt und Architektur in Graz und der Steiermark schreibt. Alles Weitere ist ein Versuch der Verortung von Architektur, einer Identitätszuschreibung oder – ja, doch – Zuordnung. Wenn es Ihrer Meinung nach das nächste Fettnäpfchen ist, in das ich hiermit trete, dann teilen Sie das bitte der Redaktion mit.

Zweifellos haben drei der sechs mit dem Bauherrenpreis prämierten Bauwerke einen Bezug zur Steiermark, obwohl nur eines davon in der Steiermark liegt. Was jedoch könnte eine steirische Identität an ihnen sein?
Der Volksschule Lauterach Dorf (Vorarlberg), die das Grazer Architekturbüro Feyferlik / Fritzer für die Marktgemeinde Lauterach planen und realisieren durfte, wird schon in der Jurybegründung zugeschrieben, ein „für Vorarlberg architektonisch untypisches Gebäude“ zu sein. Die Jury hatte zwei für Vorarlberg nominierte Objekte besucht. Das zweite, die Musikschule und Mediathek Wolfurt, entspricht nach den Bildern, die mir zugänglich waren, wohl eher dem, was fürs Vorarlberger Bauen als typisch gelten kann. Aus seiner Jurybegründung: „klare raumbildende Kanten, sehr 'städtische' Anmutung mit einer feingliedrigen Textur aus hinterlüftetem Klinkermauerwerk.“ Ein hoch aufragendes Bauwerk „als prominenter Platzabschluss“.
Das zu sein strebten Wolfgang Feyferlik und Susanne Fritzer für die Volksschule Lauterach sicherlich nicht an. Was ich 2012 über ihre Volksschule im steirischen Bad Blumau geschrieben habe, trifft auch für Lauterach zu: "Kein mächtiges Dach krönt das Haus, kein Ehrfurcht einflößender Zugang mit Stufen oder Schwellen ist sein Entree. [..] Nein, diese Schule will kein Autorität ausstrahlendes Bauwerk sein, das sich von der Lebensrealität der Menschen im Ort abhebt. Sie hat Werkstattcharakter…. Immer wieder, an vielen Stellen, brechen Feyferlik und Fritzer die Strenge der Orthogonalität, die für sie Symbol einer antiquierten Schulform mit Frontalunterricht ist."
Diese Art der Gestaltung – leicht, „mit einem Minimum an materiellem Einsatz, um die vom stofflichen unbeschwert organisierte Entfaltung räumlicher Totalität zu erreichen“ (Zitat Otto Kapfinger), transparent, offen, als Raumkontinuum oft eingeschoßig, sockellos geduckt und in die Landschaft eingebettet, mit kaum merkbaren Übergängen von außen nach innen, mit der „Tendenz des Aufhebens von Grenzen“ (O.K.) – hat naturgemäß Vorbilder, ohne diese zu kopieren.
Die Freiluftschule von Duiker aus 1930 in Amsterdam könnte das sein, vielleicht das Transitorische am Wohnhaus (Case Study House Nr.8) von Charles Eames. Die Möbel von Jean Prouvé, aber auch die Bauten des Architekten Volker Giencke, in dessen jungem Büro Wolfgang Feyferlik seine Laufbahn als Architekt begann und auch Susanne Fritzer mitarbeitete. Giencke wiederum war in seinen Anfängen kurzzeitig Projektpartner von Günther Domenig und so fügt sich eines ans andere, wenngleich der Expressionismus und jeglicher organische Ausdruck im Werk von Domenig Gestaltkategorien sind, die Feyferlik und Fritzer sicher nicht beeinflussten. Konkrete Bezüge zu den Vertretern des von Peter Blundell Jones geprägten Begriffs Neue Architektur Graz, der weder zeitlich noch räumlich leicht einzugrenzen ist und ganz unterschiedlich auftretende Protagonisten unter dem Schlagwort vereint, sind in den von Feyferlik / Fritzer realisierten Schulen und Einfamilienhäusern denn auch weder herzustellen noch wichtig. Ihre Architekturen sind leichte, fast ephemere Hüllkörper, dazu angetan, Geborgenheit und Landschaft zu verschmelzen. Sie erinnern damit mehr an kalifornische Klassiker als an Vorbilder hierzulande. Was an Bezug zur Grazer Bewegung der 1970er bis in die 90er in der heute herausragenden (und für Vorarlberg untypische) Arbeit der beiden auszumachen und damit vielleicht steirisch ist, ist der unbedingte Glaube daran, als Architekt die Aufgabe zu haben, Baukunst zu schaffen, und sich nicht damit begnügen zu dürfen, Dienstleister und Erfüllungsgehilfe zu sein.

Mindestens das eint sie mit fasch&fuchs.architeken, die als diesjährige Bauherrenpreisträger – für die Bundesschule in der Seestadt Aspern – trotz Verortung des prämierten Objekts und des Bürositzes in Wien eine starke Verankerung in der Steiermark haben. Hemma Fasch stammt aus Graz, lebt immer noch abwechselnd in Wien und Hausmannstätten, hat an der Technischen Universität Graz studiert, bei Günther Domenig ihr Diplom gemacht und war jahrelang Assistentin an der TU Wien bei Helmut Richter, den Blundell Jones richtigerweise auch zu den Vertretern der Neuen Architektur Graz zählt. Mehr noch als Feyferlik/Fritzer zeichnet fasch&fuchs aus, dass sie ihre Gebäude als raffiniert geformte, statisch höchst anspruchsvolle leichte Gebilde mit Gebäudequerschnitten entwickeln, die Otto Kapfinger mit „karosserien, wie kompakte chassis für leichte cabriolets, die ihre sehnen und ihren knochenbau spüren lassen, die sichtbar auf sonne und wetter, auf stadt und gelände reagieren können“ vergleicht. Besser kann man es nicht sagen und so trifft auch auf die Schule in Aspern zu, dass Hemma Fasch und Jakob Fuchs (seit 2011 mit Fred Hofbauer als Büropartner) „freie, selbstbewusste raumgestalten formen, deren eleganz aus der schlanken materialisierung präziser, unorthodoxer funktionalität entspringt“. (O.K.) Die Quelle solcher freien, selbstbewussten Raumgestalten kann man auch hier im Streben nach besonders atmosphärischen Räumen – also in der Raumerfindung – sehen, die Domenig, Kada, Richter und Giencke innerhalb der Grazer Architekturbewegung eine Sonderstellung gab (und fachkundige Besucher aus dem In- und dem Ausland bis heute staunen lässt). Mit dem Sport- und Freibad Auster und dem Kindermuseum, beides in Graz, haben fasch&fuchs gezeigt, dass sie in dieser Tradition stehen.
Die Schule in Aspern ist, ihrer riesigen Dimension und der außerordentlich großen Gebäudetiefe zum Trotz, leicht und durchlässig geformt, ein Raumgefüge mit üppig bemessenem und doch präzise gesetztem Lichteinfall, das, wie die Jury richtig anmerkt, „die Idee der räumlichen Entgrenzung sinnlich erlebbar macht“ und „das Attribut Lernlandschaft wirklich verdient“.

Und da wäre dann noch der Wohnungsbau des Grazer Architekturbüros Pentaplan, das ihn kokett Prinzessin Veranda nennt. Er ist der einzige „ganzheitliche“ steirische Beitrag zum Bauherrenpreis – in Graz erdacht, von einem Grazer Bauträger, der Prolend Projektentwicklung, im Bezirk Lend realisiert.
Steirisch im Sinne einer Nachfolge der Wohnbautradition, die einen wesentlichen Teil jener auch im Ausland wahrgenommenen Bewegung bis in die frühen 1990er ausmachte, ist daran nichts. Und dennoch hat die langjährig auf Wohnungsbau fokussierte Arbeit von Pentaplan etwas mit dem Anspruch eines Modell Steiermark gemeinsam und liegt damit, trotz einer wesentlichen Änderung der Voraussetzungen, auf einer Traditionslinie. Was damals politische Agenda war und öffentlich gefördert wurde, stellt heute die ausschließlich eigeninitiierte ambitionierte Programmatik dieser Architekten dar, die zugleich, aus der Erfahrung zu ihren Anfängen heraus, Bauträger geworden sind: Wohntypologien auf ihre räumliche Qualität, heutige Standards und ökonomische Verwertbarkeit hin zu untersuchen, sie abzuwandeln, anzupassen und neue Wohnformen zu entwickeln. Ob Das Tiefe Haus, die vielen Baustufen von Alphawolf mit den unterschiedlichsten Wohnformen, das durch und durch urbane Wohn- und Geschäftshaus Der Goldene Engel am Lendplatz oder die originelle Neuinterpretation des städtischen Gründerzeit-Wohnblocks als Kreuzungspunkt von vier Straßen, die Die Eggenberge getauft werden – immer geht es darum, punktgenau aus dem spezifischen Ort und in der aktuellen Zeit heraus etwas zu entwickeln. Deshalb sind die markanten offenen Strukturen bei der Prinzessin Veranda, die wie ein Layer vor das Kerngebäude gesetzt sind und dieses dominieren, kein Formalismus, sondern das Ergebnis einer präzisen Studie des Orts. Wo Balkone als zu exponiert gesehen wurden, wirkt die tiefe Ebene der Loggien als einheitliches und damit urbanes Bindeglied zur Straße, auch wenn sie in erster Linie als Rückzugsort und „Sommerzimmer“ gedacht ist.
Pentaplan und Prolend stellen sich mit der Prinzessin Veranda in ihre eigene Tradition und sind in dieser Konstellation sicher eine Ausnahme im heutigen Wohnbaugeschehen in Österreich. Das Steirische ist also, dass sie damit als role models taugen. Ein Modell Steiermark?

Das Steirische am Bauherrenpreis 2018 hervorzuheben ist also ein ambivalentes Unterfangen. Der besseren Einordnung dient es nicht, das muss es auch nicht. Zu den Steiermarkbezügen der drei Vorgenannten könnte man dann noch weitere in den anderen drei Preisen aufspüren. Einer wäre ganz einfach: Roland Winkler und Claudia Ruck von Winkler + Ruck aus Klagenfurt, die für die drei Häuser im Wald, den Kärntner Bauherrenpreis auf der Turracher Höhe, als Architekten verantwortlich zeichnen, haben an der TU Graz studiert und bewerten dies und besonders den Einfluss von zwei Professoren auch als Glück. Und die Turracher Höhe liegt ja an der Grenze zwischen Kärnten und der Steiermark. Diese Umstände müssen aber strikt geheim gehalten werden, werter Leser, werte Leserin, sonst kommen die steirischen Holzexperten noch auf die Idee, den Kärntner Architekten Winkler + Ruck für ihre Häuser im Wald einen steirischen Exportpreis zu verleihen. Solch ausgeprägter Patriotismus ginge uns aufgeklärten Weltbürgern dann doch zu weit, nicht wahr?
Daher zum Abschluss: Gratulation allen Bauherren und Architekten der ZV-Bauherrenpreise 2018.

Architektur gemeinsam wollen ist das Motto der Podiumsdiskussion der ZV-Steiermark, HDA Graz am 14.11.2018 um 19:00 Uhr.

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