31/05/2022

Zu Wolfgang Tillmans' „Book for Architects“

Im Rahmen der Ausstellung „Schall ist flüssig“ zeigt das mumok Wolfgang Tillmans' Installation „Book for Architects“. Diese Arbeit umfasst an die 450 Architekturaufnahmen, die über 10 Jahre lang überall auf der Welt entstanden sind. Sie untersuchen den alltäglichen Gebrauch, Nutzen und das Erleben von Architektur.

31/05/2022

Wolfgang Tillmans: Book for Architects, mumok 2022

©: Marlene Liska

Installationsansicht: Wolfgang Tillmans' "Book for Architects", mumok 2022

©: Marlene Liska

Installationsansicht: Wolfgang Tillmans' "Book for Architects", mumok 2022

©: Marlene Liska

Installationsansicht: Wolfgang Tillmans' "Book for Architects", mumok 2022

©: Marlene Liska

Installationsansicht: Wolfgang Tillmans' "Book for Architects", mumok 2022

©: Marlene Liska

An „Book for Architects“ arbeitete Wolfgang Tillmans rund 10 Jahre bis 2014 und hat dafür an die 450 Aufnahmen gesammelt, die Architektur überall auf der Welt zeigen. 

Diese Aufnahmen präsentierte er erstmals 2014 als Zweikanalinstallation auf der Architekturbiennale in Venedig in der „Elements“-Sektion, auf Einladung von Rem Koolhaas. 

Grund für die Art der Präsentation als Zweikanalinstallation ist zum einen die Menge der Bilder, abgesehen von der Platzfrage würde eine Präsentation an den Wänden eine Ausstellung mit Architekturfotografie fluten. Zum anderen ist die Arbeit, gezeigt als Installation, wie jeweils zwei Buchseiten vor der BetrachterIn aufgeschlagen. Nun zeigt das mumok dieses Werk, im Rahmen von Tillmans' Ausstellung „Schall ist flüssig“.

Es sind keine Porträts von Architektur zu sehen, nicht überhöhte oder idealisierte, als perfekte Produkte abgebildete Gebäude, in einem Stil in dem Architekturmagazine und -bücher Prestigeprojekte zeigen und auf die Architekten wiederum Bezug nehmen. „Book for Architects“ lenkt den Fokus weg von Stil, Erscheinung und Hoheitsgesten von Architektur. Die Arbeit zeigt keine „signature buildings“ mit denen Architekten ihre Bedeutung besiegeln und keine idealisierte Architektur. Tillmans legt dagegen das Augenmerk auf die Nutzbarkeit von Gebäuden. Es ist eine Untersuchung des Erlebens von Architektur, die er für ArchitektInnen durchgeführt hat, eine Recherche für sie, auf die sie zurückgreifen können. Er nutzt seine Position als Künstler, um mit seinen Möglichkeiten etwas für dieses andere, benachbarte Feld zu leisten. Es ist ein „in Dialog treten“ mit ArchitektInnen. Tillmans führte Beobachtungen durch, zeichnete Erfahrungen auf, die architektonische Entscheidungen, basierend auf das Erleben von Architektur, unterstützen können. Dieser Zugang hat eine gewisse Nähe zur Entwicklung, in curricula von Architekturstudien (denen es jedoch oft an Zeit dafür mangelt), „beobachtende Fächer“ einzuschließen, wie im Artikel „Rausgehen, LAMAtalk 4I9“ in diesem Magazin beschrieben. 

„Book for Architects“ zeigt Gebäude unmittelbar, so wie sie durch den Blick des Künstlers gesehen wurden. Details, Außenansichten, Treppenhäuser, weite Stadtlandschaften und Innenräume wechseln einander ab. Der BetrachterIn wird in diesen Bildern ein Standpunkt zugewiesen, durch den sie gleichsam ins Bild gesogen wird. Man blickt in Räume, auf eine Straße als würde man auf dieser stehen, oder sieht von einem Hochhaus auf die Stadt herunter. Erleben und Repräsentation von Architektur stehen hier in Spannung zueinander, etablierte Vorgehensweisen in der Architektur und Architekturfotografie werden durch die Linse dieser Pole geprüft. Kulturindustrie prägt soweit alle Lebensbereiche, auch die bebaute Umgebung steht unter ihrem Einfluss, auch Architektur ist ihr Produkt. Wolfgang Tillmans untersucht diese auf ihren Gebrauchswert. 2017 führte er im Rahmen seiner Ausstellung in der Tate Modern ein Gespräch mit Rem Koolhaas zu „Book for Architects“. Hier spricht er sehr direkt und unverschnörkelt an, dass wenn ein Produkt bestimmte Versprechen oder eine bestimmte Qualität nicht hält, dies zu Enttäuschung führt und gesellschaftlich eine Bedeutung und einen negativen Effekt hat. Im Gespräch mit Koolhaas wird auch die Idealisierung von Gebäuden in der Architekturfotografie thematisiert. Koolhaas verteidigt diese mit einem Verweis auf avantgardistische Ideen der 1920er Jahre, die durch idealisierte Darstellungen von Architektur transportiert wurden. Idealisierung bedeutete in diesem Kontext, eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie gelebt werden oder was Architektur noch leisten könnte. Tillmans untersucht die Werte, die heute hinter idealisierter Architekturfotografie stehen. Das weniger imposante Aussehen von berühmten Gebäuden, wenn sie aus einem Fahrzeug fotografiert werden – die Art wie sie in manchen Städten von deren Bewohnern hauptsächlich gesehen werden – zeigt eine Lebensrealität. Ideale und Realität klaffen besonders augenscheinlich auch dann auseinander, wenn der Freiraum neben Gebäuden mit Vorrichtungen ausgestattet ist, die Obdachlosen das Verbleiben erschweren sollen. Eine neoliberale Prägung von Lebensbedingungen schlägt sich auch in Architektur nieder und die idealisierte Darstellung erscheint leer. 

„Book for Architects“ hält außerdem etablierter Architekturdarstellung auf eine Art die Irrationalität des Lebens entgegen. Detailaufnahmen legen das Augenmerk auf improvisierte oder auch kreativ gelöste Installationen – Rohre, Kabel, Elektroleitungen. Es sind dies Reparaturen oder zugebaute Elemente, die durch den Gebrauch der Gebäude bedingt sind. Man stößt auf ein Nebeneinander von verfallender und neuer Architektur, auf architektonisch imponierende Gebäude mit improvisierten Zubauten. Diese Elemente sind nicht repräsentativ, aber realitätsnah, auf ihre Art ornamental und irrational. Tillmans’ Detailaufnahmen sind komponiert, der Blick wird von den einzelnen Bildelementen über das Bild geführt. „Book for Architects“ ist gezeichnet vom Stil und den Techniken von Tillmans’ künstlerischer Praxis. Detailaufnahmen und Gesamtansichten werden gleichwertig behandelt. Manchmal werden Bilder gruppiert, sie überlappen einander, werden in unterschiedlichen Größen unhierarchisch nebeneinandergestellt. Sie führen durch ein Ineinandergreifen von Motiven und Formen ineinander über, führen eine Idee in unterschiedlichen Variationen fort. 

Tillmans verhandelt Konventionen der Fotografie neu – in „Book for Architects“ jene, der aktuellen Architekturfotografie. In der titelgebenden Arbeit der Ausstellung im mumok, „Schall ist flüssig“ ist jene Konvention, wie Regen in der Fotografie abgebildet wird, neu gedacht. Das Bild zeigt eine Waldlandschaft, erst bei näherem Hinsehen zeichnet sich Regen undeutlich ab, aber prägt die gesamte Atmosphäre. Die Ausstellung im mumok umfasst die vielfältigen Bereiche von Tillmans’ Werk, das die Subkulturen der 90er Jahre aufzeichnete, die Ästhetik von Magazinen dieser Zeit prägte und Lebensrealität, alle ihre Bereiche umfassend, darstellt.

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+