10/01/2023

Bemerkungen zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) von Wenzel Mraček: jeden 2. Dienstag des Monats.

10/01/2023
©: Zita Oberwalder

Vor zwei Jahren wurde in der Radiosendung Punkt 1 darüber diskutiert, wie sich das Leben zeitgenössischer Komponisten verändert hat, wie sich für die Komponisten Kurt Schwertsik, Reinhard Süss und Johannes Beranek das Verhältnis zwischen musikalischer Tradition und Gegenwart gestaltet. In einem E-Mail stellte ich an die live zugeschalteten Künstler die Frage um ihre Meinung zu Kompositionen, die aus KI-Maschinen stammen und ob diese als Kunstwerk interpretiert werden können. Kurt Schwertsiks Antwort fiel für mich eher vage aus, nachdem damals schon Bruckners, Mahlers oder Beethovens Symphonien maschinell weiter komponiert und von Musiker:innen aufgeführt worden waren. Die algorithmisch komponierte Musik, sagte er, verstehe er als eine „existenzielle Gefahr“ für sich, indem er solcherart „überflüssig“ gemacht werde. Ob Kunst oder nicht, ließ er aber offen.

Als wir noch so gut wie keine Computer verwendeten, zeigte Peter Weibel 2001 die Ausstellung Im Buchstabenfeld in der Neuen Galerie Graz. Im Untertitel hieß die Schau apodiktisch die zukunft der literatur, während von Künstlicher Intelligenz damals noch keine Rede war. Vorgestellt wurden Medienkunstwerke, Schreibmaschinen nämlich, die programmbasiert auf Computern mit Internetverbindung Texte schreiben konnten.
Neben anderen waren wir damals fasziniert von David Gabriels Poetry Machine, einem hermetischen Automaten, einem Programm, dessen Funktionsweise uns grundsätzlich beschrieben wurde, während wir nur In- und Output beobachten konnten: Irgendwelche Sprachfetzen wurden per Tastatur eingegeben, auf deren Basis die Maschine längere Texte verfasste, die über Audiofunktion wiedergegeben wurden. Es klang, weil’s schon so heißt, wie Poesie: „… hätte gewünscht, während meines Sprechens eine Stimme ohne Namen zu vernehmen, die mir immer schon voraus war. Ich wäre es dann zufrieden gewesen, an ihre Worte anzuschließen, sie fortzusetzen, mich in ihren Fugen unbemerkt einzunisten“ … und so weiter. (nach dem Katalog Peter Weibel (Hg.): IM BUCHSTABENFELD. die zukunft der literatur; Graz, 2001.)

Poetry Machine verfügte über einen Textspeicher, aus dessen Material sie (es?) über den eingegebenen Text assoziierte, ihn erweiterte. Kamen in der Eingabe Worte vor, die sie (es?) noch nicht kannte, wurden Bots ins Internet geschickt, um Informationen zu beschaffen. Die Bots bewerteten das gefundene Wortmaterial und sendeten es zurück an das System. Nach meinem Verständnis funktionierte David Gabriels Textgenerator in früher Form wie heute gebräuchliche GANs (generative adversarial networks, erzeugende gegnerische Netzwerke). Ein GAN ist die Zusammenführung zweier neuronaler Netze, die Muster erkennen, ausmustern beziehungsweise Muster bestätigen, die dann zu einem Output führen. Das erste Netz generiert Datenmengen (übersetzt als Bilder, Text, Ton etc.), während das zweite Netz Datenmengen vergleicht und entscheidet, ob sie gewünschten, programmierten Daten entsprechen. Rückblickend, 22 Jahre nach der Präsentation solcher Maschinen, bleibt jedenfalls der Eindruck, dass über die Zukunft der Literatur nichts ausgesagt wurde. Wer wollte beurteilen, ob der von Maschinen (ohne Bewusstsein) erstellte Text im Vergleich zu jenem von Autorinnen oder Autoren verfassten irgendwelchen literarischen Wert haben kann?

GANs können malen wie Rembrandt, können Gesichter erkennen, komponieren wie Gustav Mahler und wahrscheinlich auch wie Kurt Schwertsik, sollte es dafür je einen Bedarf geben. Ob wie bei Galatea nach den Metamorphosen Ovids die Kunst(fertigkeit) die Kunst (meint die Künstlichkeit) verbirgt, ist eigentlich nicht die Frage bei Aufführungen von Mahlers 10. Symphonie (in einer Finalisierung durch KI). Vielmehr frage ich nach dem wie immer gearteten Sinn des Produkts (Bild, Musik, Text) über die Demonstration hinaus, dass es möglich ist. Zugutehalten muss man den Algorithmen allerdings, dass sie analytisches Werkzeug sein können, das uns Aufschluss gibt über Malweisen, Duktus, Kompositionsverfahren oder vielleicht typische Schreibweisen. Für mich naheliegend ist immer gleich der Betrug, indem eine Autorin, ein Autor vorgeben könnte, das Werk entstammte seinem Gehirn und nicht der Kapazität der Maschine.

Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich beschreibt in seiner Kolumne (art, Januar 2021) nun eine Maschine, an der man mittels eines kurzen Texts (Prompt) vorgibt, was auf einem neuen gegenüber einem bestehenden Bild zu sehen sein soll. Der Fotograf Jörg M. Colberg zog die Bilder seines Bandes Vaterland (2020) durch das Programm Dall-E. Wie bei einer Bildbeschreibung, so Ullrich, bestimmt man „mithilfe von Worten Inhalte, Stil, Komposition oder Atmosphäre“. Die Ergebnisse des Verfahrens klebte Colberg über die 2020 publizierten Fotografien eines Exemplars von Vaterland, nämlich jeweils jene Konstruktion aus dem Programm, die „am besten die Funktion des Originals erfüllt“, die dem Original also in gewisser Weise ähnlich ist. Dall-E funktioniert offenbar wie die oben beschriebenen GANs. Es vergleicht Tausende Bilder aus dem Internet mit dem vorgegebenen. Die Autorschaft der generierten Fotos sieht Ullrich unter anderem damit gegeben, dass Colberg seine Prompts, die Betriebsanweisungen, formuliert und im Grunde wie andere Künstler mit Found Footage arbeitet. Und Ullrich schließt, dass angesichts dieses Verfahrens der Sprachsteuerung der Kunst das Wort zugrunde liegt: „Am Anfang war das Wort“.
Abgesehen davon, dass es sich hier nur um eine Form der Befehlseingabe handelt (wie ich inzwischen auch zu meinem Auto sprechen kann, worauf diverse Aufträge gestartet werden) und in Computerprogrammen eben per Maus Funktionen abgerufen werden, führt mich Ullrichs Artikel um Anfang und Wort zu einer anderen Frage um Henne oder Ei.

Lewis Mumford überlegte in seinem Mythos der Maschine am Beispiel von prähistorischen Steinwerkzeugen, die über die Zeiten als verbleibende Artefakte an uns gekommen sind, ob nicht für deren Fertigung und Gebrauch gesprochene Sprache vonnöten gewesen sein müsste. Internalisiertes Wissen, wie es Richard Sennet in Handwerk bezüglich Stradivaris Geigenbau nennt, müsste – wie anders? – mittels Sprache auch in der Steinzeit weitergegeben worden sein. Denke ich nun an die wahrscheinlich 38.000 Jahre alten Höhlenmalereien in Lascaux und die noch viel älteren Faustkeile, dann müsste doch gerade für die Fertigung der nahezu fotorealistischen Felsmalereien ein wie immer geartetes (sprachliches) Kommunikationsmedium schon zuvor ausgebildet worden sein.

Vielleicht ging der Kunst somit die Sprache voraus und es war nie anders, als dass man in Anwendung von Dall-E die Bilder zuerst, wie zuletzt als Interpretation, bespricht?
Ohne Sprache keine Bilder?

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Anmerkung der Redaktion: Der Künstler David Gabriel ist auch als David Link (aka Gabriel) bekannt.

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