05/10/2016

GAT berichtet über den Roundtable Steiermark im Fokus – Perspektiven der Raumplanung am 28. September 2016 im Grazer HDA, der den Abschluss des 14-teiligen Themen- schwerpunkts Im Fokus: RAUMPLANUNG bildete.

Veranstalter
GAT mit freundlicher Unterstützung der Abteilung 16, Land Steiermark, dem Stadtplanungsamt Graz, der ZT-Kammer Steiermark & Kärnten und des Haus der Architektur in Graz.

05/10/2016

v. l. n. r. Gerlind Weber, Harald Grießer, Karl Petinger, Bernhard Inninger, Daniel Kampus, Richard Resch, Gerhard Vittinghoff

©: Martin Grabner

v. l. n. r. Harald Grießer, Karl Petinger, Bernhard Inninger

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Gerlind Weber, die Moderatorin des Abends

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Markus Bogensberger, HDA Graz

©: Martin Grabner

Stimmen aus dem Publikum

©: Martin Grabner

Abschluss und zugleich Resümee des Themenschwerpunkts RAUMPLANUNG auf GAT war der Roundtable: Steiermark im Fokus – Perspektiven der Raumplanung am 28. September 2016 im Grazer HDA. Spannend und trotz aller Offenheit sehr energisch moderiert von Raumordnungsexpertin Gerlind Weber diskutierten Harald Grießer von der Abteilung 17, Landes- und Regionalentwicklung, Karl Petinger vom Raumordnungsbeirat der steirischen Landesregierung, Bernhard Inninger, Leiter des Stadtplanungsamtes Graz, die Raumplaner Daniel Kampus und Richard Resch, der wie Gerhard Vittinghof auch im Raumplanungsausschuss der ZT-Kammer Steiermark & Kärnten vertreten ist.
Nach einleitenden Worten von Markus Bogensberger (HDA) und Susanne Fritzer (GAT), und einer kurzen Vorstellung der Podiumsgäste durch Adina Camhy (GAT), wurde zunächst der IST- Zustand der österreichischen Raumplanung erörtert, und schnell wurde deutlich, wie komplex das Feld ist, und dass es auf mehreren Ebenen nicht nur einer Reform, sondern eines radikalen Paradigmenwechsels bedarf.

Die oft nur in Bruchstücken angesprochenen Themenkreise reichten von den finanziellen Grundlagen der Raumordnung und Raumplanung (1) über deren organisatorische und instrumentarische Gegebenheiten, von Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung über die Imagepflege kleiner Ortszentren in ruralen Gebieten, über Zukunftsfragen wie Energieraumpolitik und Zuwanderung:

Die finanzielle Frage pendelt sich zwischen Finanzausgleich und Wachstumshörigkeit ein. Das höchst intransparente System des österreichischen Finanzausgleiches zwingt Gemeinden, ständig neues Bauland auszuweisen, um Einwohner bzw. Betriebe anzulocken, um „Kopfgeld“ zu lukrieren. Hier sehen einige eine Alternative in einer Orientierung am deutschen System, in dem die Länder eine gegenüber dem Bund deutlich stärkere Stellung einnehmen, und die Zuteilung des Geldes an den tatsächlich anstehenden Aufgaben bemessen wird.

Der zweite, vielleicht noch wichtigere ökonomische Aspekt betrifft das neokapitalistische Dogma des ewigen Wachstums. Gerlind Weber fragt zu Recht, ob das bisherige Narrativ, „aus Grünland wird Bauland“, und das in alle Ewigkeit, jemals umgedreht werden kann. Die Notwendigkeit des Rückbaus steht im Raum, vor allem, wenn, wie Karl Petinger ausführt, der Neubau gar nicht das Problem darstellt, sondern der Erhalt und die Sanierung des in den 60er und 70er Jahren extrem angewachsenen Infrastrukturnetzes. Die Notwendigkeit einer Folgekostenabschätzung bei der Ausweisung von neuem Bauland, die bis jetzt auch nur ansatzweise und lückenhaft besteht, könnte durch einen generellen Umwidmungsstopp also bald „überholt“ sein, wäre da nicht die Realität: Noch immer sieht man in vielen, vor allem kleineren Gemeinden, dass neues Bauland auf überdimensionalen Plakaten angepriesen wird, während in den Ortskernen zunehmend deprimierender Leerstand herrscht.

Ganz klar muss auch angesprochen werden, dass urbane Ballungszentren derzeit eine gegensätzliche Entwicklung nehmen als die sich ausdünnenden ruralen Zentren und ihr Umland. Um im urbanen Kontext adäquat zu reagieren, bräuchte man, so Bernhard Inninger, andere, feiner abgestimmte Werkzeuge, um die gewünschten höheren Dichten bei gleichzeitiger besserer Nutzung des städtischen Raumangebotes zu erreichen.

Wir sollten ohnehin die Frage stellen, welche Instrumente in der Raumordnung tragen wirklich, welche sind überholt, welche sollten mehr Gewicht bekommen anstatt nur „pro forma“ abgehandelt zu werden?  
Die Formalpapiere innerhalb der Raumordnungshierarchie sind geduldig, Landesentwicklungsprogramm und -leitbild,  Regionales Entwicklungsprogramm und –leitbild, Örtliches Entwicklungskonzept samt Entwicklungsplan, Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan (so es ihn überhaupt flächendeckend gibt) überstehen selten den nächsten politischen Wechsel…
Generell wird die Schwerfälligkeit und der hohe Verwaltungsaufwand bei geringem output beklagt; eine im Instanzenzug simplere, aber durchsetzungskräftigere Raumplanung könnte auch wieder den Einbezug der Bevölkerung in die Thematik erleichtern, BürgerInnenbeteiligung ermöglichen. Hier knüpft allerdings eine weitere drängende Frage an: Wer übernimmt letzten Endes die Verantwortung, etwa für übergeordnete Standortentscheidungen? Der einzelne Bürger/die einzelne Bürgerin würde sich das – sofern er/sie nicht gerade Eigeninteresse im Sinn hat - sicher nicht wünschen, aber warum wird den dafür ebenfalls nicht ausgebildeten BürgermeisterInnen und GemeinderätInnen diese Verantwortung ständig aufgebürdet?
Wenn Raumplanung keine Flächenpolitik, keine zweidimensionale Nutzflächenbeschreibung, sondern aktive, zukunftsorientierte, prozesshafte Gestaltung des Raumes sein soll, dann müsste diese Querschnittsmaterie auch von all jenen SpezialistInnen bearbeitet (und verantwortet!) werden, die dafür qualifiziert sind: dazu gehören neben den RaumplanerInnen gleichberechtigt auch VerkehrsplanerInnen, ArchitektInnen, RaumsoziologInnen, UmweltsystemwissenschafterInnen, etc.  Entscheidend wäre auch die Beteiligung der ExpertInnen der betroffenen Lebenswelt, der EinwohnerInnen – genau diese Frage stellt sich aber kaum inmitten der Diskussion, wo man sich eher um die mangelnde Bewusstseinsbildung und fehlende Sensibilisierung der Bevölkerung zu wundern scheint. 
Dass aber gerade die drängenden Fragen der gängigen Raumordnung und -planung an den „Laien“, den „normalen Menschen“ meist vorbeigetragen werden, weil die bestehenden Gremien ganz gerne unter sich bleiben, wird kaum thematisiert. Vielleicht wäre eine eigene Bodenerhaltungs- oder Raumentwicklungslobby nötig, um jene unsichtbaren Errungenschaften der Raumplanung zu erzeugen, die aus Nicht-Gebautem bestehen?

Die politischen Entscheidungen selbst werden graduell demokratischer, meint Inninger, wenn im Gegensatz zum früheren, sich gegenseitig den Ball zuspielenden Zwei-Parteien-System jetzt mehr Fraktionen wirklich überzeugt werden müssen.

Aber ob Entscheidungen für den Aufbau und Erhalt von den geforderten „multifunktionalen“ Räumen auf einer eher örtlichen oder überörtlichen Ebene gefällt werden – die Kompetenzen gehören exakter abgegrenzt, die Aufgabenstellung jeweils genauer definiert – auch im Sinne der vorher angesprochenen nötigen Vereinfachung.

Dazu kommt aber erschwerend, dass die Gemeindestrukturreform zwar größere Gemeindegebiete geschaffen hat, die allerdings auch nur eine grobe Annäherung an tatsächliche raumstrukturelle Gegebenheiten darstellen. Nicht nur aufgrund der maßgeblichen Agrarstruktur hat zum Beispiel die Obersteiermark mehr Gemeinsamkeiten mit den bergigen Regionen Kärntens oder Salzburgs als mit dem Hügel- und Vulkanland der Oststeiermark, auf tatsächliche innere oder logische Zusammenhänge kann oftmals nur in ungenügender Form eingegangen werden (2).

Vor allem aus dem nach und nach auftauenden Publikum kamen Fragen zu den wenig angesprochenen Zukunftsthemen Klimawandel und Energieraumplanung, Ressourcenendlichkeit und Knappheit der Mittel oder soziodemografischer Wandel inklusive Migration und Integration, die Forderung nach dem Einsatz innovativer Technik im Sinne eines digitalen Raummonitorings und/oder „sozialer Technik“, die sich auch mit den gesellschaftlichen Implikationen der Siedlungsstrukturen auseinandersetzt. Das Podium war sich zwar darüber einig, dass genau diese Fragen im Zentrum eines eingehenden, weiterführenden Diskurses stehen sollten, den Rahmen eines einzigen Gesprächsabends aber sprengen würden. Einer der wesentlichsten Sätze des Abends und gleichzeitig ein gutes Fazit: „Das Fehlen von gesamtgesellschaftlichen Visionen prägt auch die derzeitige Raumordnung.“


(1) Die beiden Bezeichnungen Raumplanung und Raumordnung werden oft synonym verwendet; Raumordnung entspräche eigentlich der politischen Lenkungsaufgabe, die durch Gesetzgebung die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen und Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Teilräumen erwirken soll. Raumplanung umfasst formelle wie informelle planerische Prozesse zur Steuerung der Siedlungsentwicklung.

(2) Das Fehlen einer „Rahmenkompetenz“ des Österreichischen Bundes für eine verbindliche, gesamtstaatliche Raumordnung wurde interessanterweise nicht einmal mehr erwähnt? Auch die Funktion der ÖROK (Österreichische Raumordnungskonferenz) wurde nicht angesprochen.

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