24/01/2011
24/01/2011

Kjetil Thorsen, vom norwegischen Architekturbüro Snøhetta, bei seinem Vortrag in Graz... (Foto: George Kaulfersch)

... und danach im Gespräch mit Freunden und Kollegen aus seiner Studienstadt. (Foto: George Kaulfersch)

Der Showroom von bene und Zumtobel war bis in den letzten Winkel gefüllt. (Foto: George Kaulfersch)

Das Büro von Snøhetta in Oslo, 2004 (Foto: Marte Garmann Johnsen)

Kivik Art Center, 2007 (Foto: Gerry Johansson)

Petter Dass Museum, 2007 (Foto: Åke E. Lindmann)

Fischereimuseum auf Karmøy, 1996 (Foto: Jiri Havran)

Snøhetta auf Snøhetta: Pavillon im Dovrefjell Nationalpark, 2011 (Fotomontage: Snøhetta)

Bibliothek in Alexandria, 2000 (Foto: Nils Petter Dale)

Neue Norwegische Nationaloper und Ballet, 2008 (Foto: Birdseyepix - Christopher Hagelund)

King Abdulaziz Center for World Culture, in Bau (Rendering: MIR)

Ras Al Khaimah Convention Center, in Bau (Rendering: MIR)

Snøhetta Works – Vortrag von Kjetil T. Thorsen bei bene und Zumtobel in Graz

Es wirkte fast wie ein Klassentreffen (© Eva Guttmann), als am 12. Jänner zahlreiche ehemalige Studienkollegen und Wegbegleiter in den Showroom von bene und Zumtobel kamen, um dem, vom HDA veranstalteten Vortrag von Kjetil Thorsen zu lauschen. Der TU-Absolvent ist einer der Gründer des norwegischen Architekturbüros Snøhetta, das seit 1989 immer wieder durch seine Vielseitigkeit überrascht.
Eingebettet in eine Reihe von Projekten, von ganz klein bis ganz groß, gab Thorsen einen Einblick in die Arbeitsweise des Büros, das an den zwei Standorten Oslo und New York rund 100 Mitarbeiter beschäftigt. Als besonders wichtig beschrieb er neben der horizontalen Struktur die ständige Veränderung. Die Aufgaben und Rollen werden in wöchentlichen Treffen immer wieder neu verteilt, der Entwurfsprozess kontinuierlich weiterentwickelt. Die permanente Transposition verhindert das Entstehen festgefahrener Meinungen und Muster und sorgt für die sprichwörtliche skandinavische Offenheit.
Der Büroraum an der Waterfront Oslos unterstützt diese Arbeitsweise: An einem überlangen Tisch wird nicht nur täglich gemeinsam gegessen (und fast ebenso oft gefeiert), sondern hier entstehen in langen Diskussionen – die oft weit über die Architektur hinausgehen – Konzepte und Ideen. Gezeichnet werden die Entwürfe bei Snøhetta erst viel später, zuerst müssen die Bilder im Kopf geschaffen werden. Neben dem großen Tisch sind eine Versammlungstreppe, ein Roboter für die digitale Modellproduktion und natürlich die Espressomaschine die wichtigsten Elemente im Büro.

Dem Publikum, ganz in Erwartung neuer Offenbarungen über das Opernhaus in Oslo und die aktuellen Projekte im Mittleren Osten, präsentierte Thorsen zunächst allerdings eine Auswahl kleiner Projekte, teilweise temporäre und readymade-Architektur. Das Kivik Art Center ist das vielleicht kleinstes Museum der Welt. In Pavillons aus Betonfertigelementen werden zeitgenössische Fotografien präsentiert, die über zwei offene Seitenflächen in direkter Wechselwirkung mit der umgebenden Landschaft stehen. Für das Petter Dass Museum in Alstahaug wurde ein 60 Meter langer Streifen aus einem Hügel herausgeschnitten und der Baukörper hineingesetzt. Der schmale Zwischenraum zwischen Gebäude und Erde und das Zusammenspiel der konträren Oberflächen machen den besonderen Reiz dieser „piercing architecture“ aus. Das Fischereimuseum auf Thorsens Heimatinsel Karmøy ist ein Gebäude, das als Meterware gebaut werden kann. Je nachdem wie viel Geld zur Verfügung steht, wird es einfach länger oder kürzer. Gerade im Entstehen ist das Projekt Snøhetta auf Snøhetta inmitten der beeindruckenden Naturlandschaft des Dovrefjell Nationalparks: ein aus Holz gefräster, skulpturaler Pavillon zum Beobachten von Rentieren (und vielleicht auch zur Steigerung deren ästhetischen Bewusstseins, wie Thorsen hofft). Dovre ist übrigens das Bergmassiv dessen höchster Gipfel Snøhetta der Namenspate des Büros ist. Gemeinsam ist den Projekten der stark kontextuelle Ansatz und die intensive Beschäftigung mit der Landschaft. Und sie zeigen, dass die Größe wirklich nicht wichtig ist.

Der Horizont ist die Grundlage des Erlebens von Architektur. Er präsentiert sich jedem Menschen anders und verändert sich ständig mit der Position des Auges. Die im Jahr 2000 fertiggestellte Bibliothek in Alexandria bricht nicht nur die Horizontlinie, sondern auch mit Gewohnheiten: die dominante, ruhige Bogenform, die der Bewegung eines Eisschnellläufers in seiner Ruherunde nachempfunden ist, unterbricht den orthogonalen Rhythmus der Stadt und versucht Geschwindigkeit herauszunehmen. Die Architektur wird zum sozialen Werkzeug.
Beim neuen Opernhaus in Oslo, für das Snøhetta unter anderem mit dem Mies van der Rohe Preis 2009 ausgezeichnet wurde, fließt wieder das Spiel mit dem Horizont ein. Die geneigten Ebenen vermitteln zwischen Himmel, Wasser und Erde und ermöglichen neue Sichtweisen und Nutzungsmöglichkeiten: Man muss nicht mehr unbedingt in die Oper gehen, sondern kann auch nur auf ihr Dach steigen. Die uneingeschränkte Begehbarkeit ohne jeden Konsumzwang schafft ein gemeinsames Eigentumsgefühl des öffentlichen Raums. Dieser ist funktional nicht determiniert, es gibt nichts zu kaufen und er wird für alles verwendet: für Konzerte, Motocross-Stunts, für einfach alles, was nicht explizit verboten ist. Das Dach selbst ist als Kunstwerk definiert, sonst wäre es sogar im vergleichsweise liberalen Norwegen nicht realisierbar gewesen, da es mit mehr als nur einer Bauvorschrift bricht. Wie schon beim Sandvika Kulturzentrum befinden sich die Proben-, Arbeits- und Werkstättenräume großteils an der Glasfassade, weil sie der Ort sind, wo die Menschen arbeiten, wo immer etwas los ist. So vermitteln sie zwischen Kunst und Öffentlichkeit.

In Saudi-Arabien wird gerade am King Abdulaziz Center for World Culture gebaut, das neben Museum, Bibliothek, Learningcenter und Konzertsälen auch das erste öffentliche Kino des Landes beherbergt. Der Grundgedanke des Entwurfs aus mehreren, an riesige Steine erinnernde Volumen ist das Schlusssteinprinzip. „Es würde auch wirklich zusammenbrechen, würde man den mittleren Baukörper entfernen“, so Thorsen. Die Fassade besteht aus einem unendlich scheinenden Rohr, das in zahllosen parallelen Schlingen gewickelt ist und so den Raum aus einer Linie heraus definiert. In den Rohren schützt eine Kühlflüssigkeit die Gebäude vor der extremen Hitze, wo Fenster gebraucht werden, werden die Rohre einfach zu Lamellen flach gedrückt. Der Innenraum wird, symptomatisch für die immer größere Rolle des verantwortungsbewussten Umgangs mit der Umwelt und natürlichen Ressourcen, vom Vorarlberger Martin Rauch ganz aus Stampflehm gestaltet.
Mit Filmausschnitten und viel Humor gab Kjetil Thorsen anhand der Entwicklung des Ras Al Khaimah Convention Center für den Kronprinzen der Vereinigten Arabischen Emirate einen Einblick in die Zusammenarbeit mit Auftraggebern, die in Dimensionen und Kategorien denken und entscheiden, die uns unbekannt sind und oft schon skurril anmuten. Ganz groß eben.

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