08/06/2014

gat.st veröffentlicht in der Serie young theory  theoretische Diplomarbeiten und Dissertationen, die im Zusammenhang mit Architektur, Städtebau und Umwelt stehen.

Ungenutzt und umgenutzt – kritische Betrachtung des Umgangs mit dem Bestand der weststeirischen Bauernhäuser des 17./18. Jahrhunderts von Michaela Böllstorf ist 2013 als Diplomarbeit an der TU Graz entstanden.

Betreuer:
Ao.Univ.-Prof.i.R. Dipl.-Ing. Dr.techn. Architekt Univ.-Doz. Holger Neuwirth, Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften der TU Graz (akk)

Die Arbeit liegt in der Bibliothek der TU Graz auf

08/06/2014

Die unterschiedlichen Haustypen der Steiermark – mittig liegend das weststeirische Haus. (aus: Spielhofer: In alten Bauernhäusern leben, S. 136)

Der Grundriss von vulgo Thommi zeigt die typische Dreiteiligkeit des Erdgeschoßes. Der Mittelflur trennt Kammer und Stube von einander. (Archiv akk)

vulgo Leitnerhansl, 1972 (Foto: Holger Neuwirth)

Im Vergleich dazu vulgo Leitnerhansl 2013. Viel hat sich nicht geändert. (Foto: Michaela Böllstorf)

vulgo Thommi, 1973 (Foto: Holger Neuwirth)

Der Standort von vulgo Thommi 2013. Das Bauernhaus musste einem Neubau weichen. (Foto: Michaela Böllstorf)

©: Petra Kickenweitz

Heimat, ein Begriff, den sicherlich jeder schon einmal verwendet haben dürfte, ohne sich Gedanken gemacht zu haben, was er genau bedeutet. Jedoch denken die meisten sofort an die Region, in der sie geboren sind und in der die Landschaft mit ihrer Architektur das Erscheinungsbild ihrer Heimat prägt. Diese Heimat entstand durch die sich über Jahrhunderte entwickelnde Siedlungslandschaft der Region. Gerade das Bauernhaus steht hierbei für die Lebens- und Baukultur. Je nach Region – in den unterschiedlichsten Hauslandschaften – sind sie Zeugen einer alten, einfachen und zunächst dem reinen Nutzen verschriebenen Kultur, die den Charakter der Region prägen.

Durch mangelnde Aufmerksamkeit ist es traurige Tatsache, dass alte Techniken, Handwerkerfähigkeiten, Traditionen und mit ihnen auch die einfachen, anonymen Bauwerke von einst verschwinden. Die Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Wirtschaftsförderung von Erzherzog Johann beginnende industrielle Revolution prägt seitdem immer mehr das Bild unserer Welt. Technische Neuerungen machen die oben angesprochenen kulturprägenden Elemente „nutzlos“ und ersetzen sie Stück für Stück. Zudem strömen immer mehr neue Rohstoffe auf den Markt, die „veraltete“ Rohstoffe wie Holz ersetzen. Handwerk und Landwirtschaft werden von Industrie und Maschinen abgelöst. So ist es nicht verwunderlich, dass die Anzahl der Bauern immer weiter abnimmt und Bauernhöfe im traditionell geführten Sinne heutzutage keinerlei Überlebenschance haben.
Mehr und mehr verschwindet damit eine charakteristische Kultur- und Siedlungslandschaft. Nur sehr wenige Zeitzeugen einer bäuerlichen Kultur von einst haben der Zeit getrotzt und sind heute noch erhalten geblieben.

Um dem weiteren Rückgang dieser Träger einer traditionellen Baukultur entgegenzuwirken, besteht die einzige Möglichkeit der Erhaltung in einer sensiblen Weiter- oder Umnutzung. So kann ein Teil Geschichte – ein Stück Heimat – bewahrt werden. Eine neue, mehr und mehr aufkommende Bauaufgabe entsteht und stellt den Architekten auf die Probe: das Bauen im Bestand bzw. die Revitalisierung. Doch diese Bauaufgabe erfordert nicht nur die Kenntnis der heutigen, sondern auch der früheren Bauweise sowie ein behutsames Eingreifen in die bestehende Bausubstanz. Trotz der Tatsache, dass die alten Strukturen der ländlichen Architektur erhalten werden sollten, muss man sich vor Augen führen, dass die beste Erhaltung alter Bausubstanz entsteht, wenn sie weiter genutzt wird. Eine Umnutzung des Gebäudes und eine Adaptierung für eine neue Generation – und damit verbunden Veränderungen am Gebäude – sind unabdingbar. Viele der Bauernhäuser sind heute in einem baufälligen Zustand und entsprechen den aktuellen Ansprüchen an eine Behausung in keinem Fall. Vielerorts fehlt es an einer zeitgemäßen technischen Gebäudeausstattung, wie Sanitäreinrichtungen und Heizungen – vom Komfort ganz zu schweigen. Der Lebensstil hat sich, verglichen mit dem 17. bzw. 18. Jahrhundert, enorm gewandelt, die Anforderungen sich geändert. So gilt es, einen Kompromiss zwischen der alten Bautradition, den vorgefundenen Gegebenheiten und den Ansprüchen von heute zu finden.

Die Arbeit beschäftigt sich mit eben diesem Problem, fokussiert sich jedoch auf die hölzernen Bauernhäuser der Weststeiermark. Diese sind gekennzeichnet durch den typischen Mittelflur, der den länglichen Grundriss in drei Teile teilt und das Haus somit von der Traufseite begangen wird. Eine damals typische Rauchstube ist nur in den seltensten Fällen noch vorhanden. Dafür ist die sog. Wiederkehr – ein im 90° zum Bestand versetzter Anbau – häufig anzutreffen. Weitere Umbauten in Form von Mauerungen – meist abgetreppt – wurden mit der neuen Feuerschutzverordnung nötig und ersetzten teilweise die in Blockbauweise aufgeschichteten Hölzer, die in den Ecken verkämmt oder verzinkt sind, auf einem steinernen Fundament und einem Schwellenkranz ruhen und ab einer Höhe von circa 2/3 hervorspringen um einen Dachvorsprung auszubilden. Hierauf und auf auskragenden Deckenbalken lagert nun das steile Satteldach mit dem meist dreifach verschalten Giebel unter diesem sich in der Wand eine für die Weststeiermark typische Fensteranordnung in zwei Ebenen befindet, welche aus drei bis fünf Fenstern bestehen kann, wobei die oberen Fenster heute meist kleiner sind als die unteren.
Dieses Idealbild der weststeirischen Bauernhäuser finden wir heute rund um Stainz vor, wo die meisten Bauten erhalten blieben. Ganz anders ist das Bild rund um Ligist: Hier sind viele Bauernhäuser ihrer neuen Nutzung angepasst worden und haben mit dem Urtypus nur in seltenen Fällen noch etwas gemein, mussten neueren Bauten weichen oder sind dem Verfall überlassen worden. Eine weitere Vorgehensweise wie ein solches Bauernhaus erhalten werden kann zeigt sich im Bezirk Voitsberg, wo ein Bauernhaus von einem Grundstück auf ein anderes transloziert wurde.

All diese Veränderungen der Bausubstanz – sei es nun Abriss, Verfall, Um- oder Weiternutzung –  vollzogen sich vor allem durch die Anpassung an neue Bedürfnisse oder einen Besitzerwechsel und leider nicht immer auf behutsame Art und Weise, sodass sowohl Nutzung als auch kulturelles Erbe gesichert werden konnten. Daher ist immer vorher zu überlegen, ob man das Gebäude – vor allem in seiner typischen Bauweise - erhält oder sich doch lieber für einen Neubau entscheidet.

hannes

- nur alles - auf vulgo Thommi, 1973/2013 möchte ich lieber nicht eingehen ...
aber - vulgo Leitnerhansl 1972/2013 - auch tragisch - wenn man meint hier hat sich nicht viel geändert ...
lg hannes

Sa. 14/06/2014 7:06 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+