25/11/2014

Die Urban Future Global Conference fand am 18. und 19. November 2014 im Messe Congress Graz statt, wo über 1000 KonferenzteilnehmerInnen aus 43 Ländern die Zukunft der Städte diskutierten.

Mehr als 190 ReferentInnen sprachen zu den Themen Mobility, Ressources/Energy, Communications, Living & City Planning und Government

GAT berichtet in 4 Teilen:

City Planning
Die, 25.11.2014

Communications
Mi, 26.11.2014

Living
Do, 27.11.2014

_ Urban Future Bar
Fr, 28.11.2014

25/11/2014

Das Foyer der Urban Future Global Conference glich einer Messe für Smart Technical Solutions. Aber es braucht mehr, um smart zu sein.

©: Martin Wiesner

Western Harbour in Malmö: ein Stadtteil mit menschlichem Maßstab und für die Geschwindigkeit von FußgängerInnen geplant.

©: Martin Grabner

Das Erbe der autogerechten Stadt in Stockholm. Die schwedische Hauptstadt arbeitet hart und erfolgreich daran, den Raum den Menschen zurückzugeben.

©: Martin Grabner

Süßes Reininghaus: Der Investor Erber, Pionier im zukünftigen Stadtteil Graz-Reininghaus, bot auf der Urban Future Global Conference das erste Quartier (Entwurf: Atelier Thomas Pucher, Realisierung ab 2015) als Torte zum Verkosten an.

©: Martin Grabner

Dass schon mehr als 50% der Menschen auf dieser Erde in Städten wohnen, wissen wir inzwischen, beginnt doch in den letzten Jahren jeder zweite Vortrag oder Artikel über Stadtentwicklung damit. Dieser jetzt leider auch. Sich mit Städten und deren Zukunft zu beschäftigen, macht aber unabhängig von dieser plakativen Tatsache Sinn. Denn sie sind zumeist älter als die Staaten, in denen sie liegen und anders als diese mehr als abstrakten Konstrukte und administrative Einheiten. Städte sind für einen großen Teil der weltweiten Wertschöpfung verantwortlich (und für 95% aller Patente), identitätsstiftend und offener und multikultureller. Ihre Dichte und Diversität erlaubt Reibung, Opposition und Entwicklung. „Städte sind unsere Vergangenheit und unsere Zukunft“, prophezeite der Politik-Theoretiker Benjamin R. Barber auf der Urban Future Global Conference, die am 18. und 19. November 2014 in Graz stattfand.

Über 1000 Teilnehmer, darunter mehr als 190 Sprecher, fanden ihren Weg in die Stadthalle, um sich dort darüber auszutauschen, wie Städte Smart Cities werden können und was solche überhaupt ausmacht. Eines vorweg: Die Vertreter des sehr heterogenen Teilnehmerfeldes werden alle mit ihrer jeweiligen Meinung wieder nach Hause gehen. Nicht nur, weil das enorm dichte Programm in bis zu acht parallelen Panels ablief, sondern weil es die Veranstalter offenkundig (fast) jedem recht machen wollten. Fünf Streams bedienten die Themen Mobility, Ressources/Energy, Communications, Living & City Planning und Government. Trotz dieser Themenvielfalt und vielen erstklassigen Vortragenden aus allen Bereichen war die Schlagseite in Richtung Industrie und Wirtschaft nicht zu übersehen. Im Foyer war eine regelrechte Messe aufgebaut, wo neben den lokalen Smart City-Akteuren auch Autokonzerne ihre Version einer smarten Stadt präsentieren durften. Wundern sollte das allerdings niemanden, bewarb die veranstaltende Full-Service-Agentur cb-Brand die Veranstaltung auch nicht mit akademischen Inhalten, sondern vor allem als Ort zum Netzwerken und Geschäftemachen. Neben der fast nicht vorhandenen Einbindung der Grazer Universitäten unterstreicht auch der Umstand, dass keine Conference Proceedings geplant sind, die Positionierung.

Das soll aber die Qualität zahlreicher Beiträge nicht mindern, die sowohl in den Panels als auch in den Keynotes und den Graz Talks, die beide holistisch angelegt waren, zu hören waren. Hier beeindruckte neben dem früheren Londoner Bürgermeister Ken Livingstone, dem oben erwähnten Benjamin R. Barber und dem Nachhaltigkeitsexperten und Bestseller-Autor Alex Steffen auch „Stargast“ Jeremy Rifkin. Der Soziologe und Ökonom entwarf in seiner Keynote den paradigmatischen Wandel, an dessen Beginn wir uns gerade befinden. Die umfassende Digitalisierung von Kommunikation, Energieverteilung und Mobilität generiert die 3. industrielle Revolution: ein neues ökonomisches und gesellschaftliches Narrativ, dessen Herz Collaborative Commons und die Sharing Economy sind und das die erste neue Bewegung seit Kapitalismus und Sozialismus darstellt. Die Entwicklung basiere auf der Reduktion der Grenzkosten auf fast null (Grenzkosten sind die Kosten, die bei der Produktion von weiteren Exemplaren eines einmal hergestellten Produkts anfallen) und mache demnächst ihren nächsten großen Schritt mit der Etablierung des 3D-Drucks und eines Internet of Things. Die Hubs mit der dafür nötigen Infrastruktur werden die Städte sein.

Technology is the answer. But what was the question?

Dieser markante Ausspruch von Cedric Price aus den 60er Jahren, den Dan Hill von Future Cities Catapult zitierte, beschreibt sowohl den Fokus vieler Beiträge der Konferenz als auch ein grundlegendes Dilemma der Smart-City-Diskussion. Niemand wird müde zu betonen, dass der Mensch im Zentrum stehen müsse, dass soziale Nachhaltigkeit ein essenzieller Faktor sei, dass man nie auf das Bottom-up vergessen dürfe. Sobald es konkret wird, drängen sich jedoch nur allzu leicht technische Lösungen, die Infrastruktur und einfach messbare Fakten in den Vordergrund. Ob die Probleme, die man mit ausgefeiltem Hightech zu lösen versucht, nicht durch kleine Verhaltensänderungen gänzlich vermeidbar wären, thematisierten nur einige der Beiträge. Ob Lowtech mit weniger Aufwand und ohne neue Fehleranfälligkeit und Abhängigkeiten zu erzeugen die gleichen Qualitäten erzielen kann, war bestenfalls ein Randthema. Hill kritisierte die Dominanz der Infrastruktur in der Stadtentwicklung, die nie mehr als ein Werkzeug werden dürfe. Denn war es nicht diese Dominanz, mit dem (Verkehrs-)Ingenieure in der Nachkriegszeit den einst pulsierenden Rhythmus der Städte zerstörten? „We have to reinforce the idea of the city as a public good!“ Sharing- und Pop-up-Initiativen seien die Pioniere dieser Rückeroberung der Straßen und Städte durch ihre Bewohner.

Der größte Attraktor für Menschen sind andere Menschen

Zahlreiche Referenten des Living & City Planning Streams berichteten über Strategien verschiedenen Maßstabs, die teilweise schon erfolgreich umgesetzt wurden. Mit Western Harbour wurde etwa in Malmö ein Stadtteil für die Geschwindigkeit der Fußgänger entwickelt, während in Umea, der Europäischen Kulturhauptstadt 2014, Kultur und eine „gendered landscape“ der Ausgangspunkt aller Planungen sind. Auf der IBA Hamburg oder beispielsweise bei dem Active Urban House in Frankfurt wird deutlich, wie Smart Buildings und Smart Grids zusammenspielen müssen, um ihre Potenziale auszunutzen, und wie der bewusste Umgang mit dem eigenen Ressourcenverbrauch nicht durch Zwang oder Erziehung, sondern über spielerische Zugänge erreicht werden kann.

So unterschiedlich Städte sind, so unterschiedlich sind die Herausforderungen an sie. Für wachsende europäische Städte werden sie vor allem in der Alterung der Bevölkerung, der Migration (die gleichzeitig das größte Potenzial der Städte ist, denn die Stadt braucht das Neue und das Marginale: Einwanderer, Künstler, Studenten, um sich weiter zu entwickeln) und dem menschheitsgeschichtlich neuen Phänomen der Single-Haushalte liegen, wie Martin Walker vom Global Business Policy Council in seinem mitreißenden Vortrag Why Cities are like Wine argumentierte. Wie darauf zu reagieren sei, darin waren sich die meisten Stadtplaner einig: mit einer Entwicklung der Städte nach innen, also eine qualitative und quantitative Verdichtung mit mehr Diversität, Multifunktionalität und kleinteiligen Strukturen, der Stabilisierung von Peripherie und den Vorstädten sowie einer Eindämmung des motorisierten Individualverkehrs. Insgesamt müssen Städte flexibler und resilient geplant werden, denn eines ist nicht planbar: die Zukunft. Schließlich dachte man in den 1960er Jahren noch, die autogerechte Stadt wäre smart.

Verkehr: Die unangenehme Nebenwirkung von Mobilität

Die urbane Mobilität ist ein Schlüsselfaktor erfolgreicher Stadtentwicklung und das am heißesten diskutierte Thema – weil es jede und jeden unmittelbar betrifft. Auch auf der Urban Future Konferenz zeigten sich die unterschiedlichen Überzeugungen von Stadtplanern und der Industrie. Letztere, nachvollziehbarerweise besonders die Autoindustrie, argumentiert mit ausgefeilten technologischen Raffinessen für die weitere Notwendigkeit des eigenen Autos. Kleiner, sparsamer, selbstfahrend (etwa dem Paketboten mit seinem Tablet wie ein mit Paketen bepackter Esel folgend). Aber selbst das smarteste und vollkommen emissionsfreie Auto (obwohl auch der Strom für E-Mobility erst erzeugt werden will!) braucht noch immer eines: Platz. Platz, der in einer dichten und attraktiven Stadt der kurzen Wege für Fußgänger und Radfahrer, Cafés und Grün, für nicht kommerzielle Aneignung da sein sollte.

Ganz wird man das Auto nicht ersetzen können, hängt das Mobilitätsverhalten doch nicht nur vom Zeit- und Kostenfaktor ab, sondern auch von Qualitäten, die das Auto unbestritten hat. Die Dichte an privaten Autos in der Stadt sollte aber durch alle anderen Transportmittel so weit wie möglich ersetzt werden. Auch mit Maßnahmen wie einer City-Maut, die in Graz bekanntermaßen bei einer Befragung abgelehnt wurde. In der City of London wurde schon 1993 die Traffic and Environment Zone eingeführt und das Stockholmer Modell der Congestion Tax reduziert seit 2006 den Verkehr nachhaltig um 20%, wie Vertreter der beiden Städte referierten. Ein Mobilitätskonzept, das nicht nur die Verkehrsprobleme lindert, sondern ein starkes Signal Richtung Zukunft ist, stünde auch Graz gut. Und ein solches muss von der Politik kommen, wie die völlig jenseitige Idee von mehr und günstigeren Parkplätzen in der Innenstadt eines Grazer Juweliers beweist. Auf ähnliche Begehrlichkeiten viel größerer Kaliber antwortete Londons Victor Callister deutlich: „You are in the wrong city!“

Und Graz?

Der Gastgeberin, mit dem Smart City-Projekt und der Holding Graz stark vertreten, wurden ausgiebig Rosen gestreut. Die Stadtteilentwicklung rund um die Helmut-List-Halle wird aus einer gesunden Distanz durchwegs positiv wahrgenommen und braucht den internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Mittlere Städte wie Graz können für die zukünftige urbane Entwicklung als Experimentierfeld für Innovationen dienen und Dynamiken auslösen, die sich auf andere Bereiche und andere Städte übertragen können. Bürgermeister Siegfried Nagl hob in seinen Statements auch die Rolle der Kultur – Hochkultur und Lebenskultur – für eine lebenswerte Stadt hervor. Apropos Bürgermeister: Nagls Londoner Ex-Kollege Livingstone plädierte eindringlich dazu, bald zu handeln: Schon als Margret Thatcher 1979 gewählt wurde, hätten ihre wissenschaftlichen Berater sie auf den Klimawandel hingewiesen. Ihre überlieferte, nicht besonders weitsichtige Antwort: „Don’t tell me to worry about the weather.“ Die Herausforderungen sind schon lange bekannt und es ist an der Politik, den richtigen Weg einzuschlagen. Die Smart City ist dabei ein Werkzeug (und nicht mehr!), um einen neuen Weg städtischen Lebens zu ermöglichen.

schrutka

Rem Koolhaas argumentiert sehr scharfsinnig, dass die Proklamation einer "smarten" Stadt, für die bisherige Dummheit impliziert.
Von diesem Ausgangspunkt analysiert er sehr stimmig die damit einhergehende (Bild-) Sprache und die Verschiebung der Kompetenzen und Verantwortung in der Stadtplanung vom Architekten zum Techniker. Sehr treffend beschreibt Herr Grabner in seinem Artikel, dass das Auto bei "smarten" Projekten immer noch prominent vorm Hauseingang steht - allerdings mit Strom aus der Steckdose "befeuert" und mit grünem Mascherl dran. Durch die Vereinnahmung von gesellschaftlichen Themen durch Technologiekonzerne wird das Interesse soweit verlagert, dass (für die Technologiekonzerne) im "besten" Falle nicht einmal mehr über die Möglichkeit eines Verzichts nachgedacht wird.
Immer mehr Technologie (und das ist symptomatisch) soll helfen das System Stadt in den Griff zu bekommen. Die Maschinenstadt verspricht uns vor einer diffusen Gefahr, dem Klimawandel, zu retten. Die Ängste werden durch geschicktes "Marketing" in gewünschte Bahnen gelenkt, und ein Denken außerhalb der Box wird gekonnt unterbunden.
Sowie beim Statussymbol Auto wird aber auch im Maßstab des Gebäudes oder der Stadt darüber nachgedacht werden müssen, ob die Probleme die die Technik vorgibt zu lösen, als solche real sind und nicht durch andere Maßnahmen gänzlich vermieden werden könnten.
Jener Wertewandel den Koolhaas beschreibt, erscheint jedenfalls besorgniserregend und verdient es beachtet zu werden.

Mo. 01/12/2014 1:25 Permalink
schrutka

Jomo Ruderer hat sich interessante Gedanken über die Smart City gemacht:
"Der Smart City Begriff ist ein Kind des Neoliberalismus. Und wie so viele Begriffe, die sich in diesem Kontext durchsetzen, ist es ein Begriff, den wir nicht verneinen können. Wir können nicht gegen Smart City sein, ebenso nicht gegen E-Demokratie und auch nicht gegen ökologisches Handeln, Vernetzung, Nachhaltigkeit und Effizienz sein. [...]"
http://minilexikon-architektonischer-modebegriffe.tugraz.at/index.php/mo...

Fr. 30/01/2015 5:02 Permalink
86er

"When we look at the visual language through which the smart city is represented, it is typically with simplistic, child-like rounded edges and bright colours. The citizens the smart city claims to serve are treated like infants. We are fed cute icons of urban life, integrated with harmless devices, cohering into pleasant diagrams in which citizens and business are surrounded by more and more circles of service that create bubbles of control."
Ob die Torte von Erber bewusst Koolhaas persifliert? Oder ist das eine schöne Koinzidenz die beweist das Koolhaas so falsch nicht liegen kann?
Wahrscheinlich doch eher unfreiwillig komisch.

Do. 27/11/2014 10:29 Permalink

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