24/06/2009
24/06/2009

Stadtteil Graz-Reininghaus, Blick aus Südwesten. Foto: Asset One, Claudio Alessandri

Der Falter erscheint wöchentlich, jeweils am mittwoch. www.falter.at

Die Krise gefährdet den neuen Stadtteil in Graz-Reininghaus.

Alles ist perfekt geplant, wie immer, wenn Asset One zu einem Symposion lädt: Eine Asset-One-grüne Linie führt vom Tor über das riesige Areal der Reininghausgründe zum Veranstaltungsort, das Buffet hält die Teilnehmer bei Laune, der Zeitplan stimmt auf die Minute, obwohl an diesem Tag Wohnbauexperten aus Österreich, der Schweiz und Deutschland über komplexe Fragen brüten wie: Welche Wohnformen werden angestrebt? Wie lässt sich das Bedürfnis nach Flexibilität mit Stabilität verknüpfen? Vorstandsvorsitzender Roland Koppensteiner (*), im kurzärmeligen Karohemd, ist gut gelaunt, gibt sich unkompliziert und sagt Dinge wie: „Es geht darum, flexibel zu bleiben und gleichzeitig das Realisieren unserer Vision zu ermöglichen.“

Auf den Gründen der ehemaligen Reininghaus-Brauerei will die Asset One Immobilienentwicklungs AG einen ganz neuen Stadtteil entstehen lassen. Auf einem Gebiet, das mit mehr als 500.000 Quadratmetern etwa so groß ist wie die Grazer Altstadt, soll im ansonsten städtebaulich unschönen Grazer Westen ein zweiter Stadtkern entstehen. Der Asset One gehören 1,2 Millionen Quadratmeter Land in Wien, Salzburg, Schwechat und Graz aus dem ehemaligen Besitz der Brau Union.

Doch nun knabbert selbst dieser Immobiliengigant an der Krise: Das Salzburger Projekt Sternbrauerei liegt derzeit mangels Investoren auf Eis, ein Grundstück in Schwechat, das Asset One immer als strategisch besonders günstig anpries, steht zum Verkauf. Nun verdichten sich die Anzeichen, dass die Wirtschaftskrise auch auf Kosten des neuen Grazer Stadtteils gehen könnte. So erklärt Alexander Doepel, Vertreter des Mehrheitseigentümers und Vorsitzender des Aufsichtsrats von Asset One, im Gespräch mit dem Falter: „Die Krise wird uns dazu zwingen, dass wir die Strategie in Graz-Reininghaus überdenken. Wir können nicht auf ewig zuwarten. Wir werden im Timing Abstriche machen müssen und vielleicht einzelne Flächen nicht in dieses Konzept miteinbeziehen können.“ Entscheidungen darüber seien aber in den zuständigen Gremien noch nicht getroffen.

Die ursprünglichen Pläne lauteten: Bis 2017 einen völlig neuartigen Stadtteil aus einem Guss zu erschaffen, nicht „Mittelmaß von der Stange, sondern eine Vision von Leben und Arbeiten mit Qualität“. Ein ungewöhnliches Vorhaben für ein privates, auf Gewinn ausgerichtetes Unternehmen. Noch ungewöhnlicher ist die Vorgehensweise: Asset One beauftragte eine Werbeagentur, die 32 Meinungsträger aus der Stadt castete. In vier Redaktionsteams zerbrachen sich diese ehrenamtlich den Kopf über die Bereiche Leben, Arbeit, Bildung und Urbanität und reisten etwa nach Kopenhagen oder Barcelona, um sich Ideen zu holen. Das Ergebnis war ein Hochglanzband, in dem davon die Rede ist, dass „mit Gesprächen, Reisen und einem Buch ein Stadtteil gebaut“ würde.

Präsentiert wurde der Band in einem Grazer Nobelrestaurant bei einem Fünf-Gänge-Menü. Manchem Teilnehmer in der Runde der öffentlichen Nachdenker war das viele Geld, das investiert wurde, etwas unheimlich. „Es war immer das Beste vom Besten“, sagt eine, die nicht genannt werden will. Historiker Karl Stocker, der mit seinem FH-Studiengang „Informationsdesign“ einst auch auf die Reininghausgründe übersiedeln hätte sollen, war auch bei der Buchpräsentation. „Das war eine Veranstaltung, wo man sich gefreut hat, dass man zu den honorigen Gästen gehört.“ Irgendwie, so Stocker, wurde er aber auch „das Gefühl nicht los, die wollten sich einschleimen“. Das Ganze war auch Marketingstrategie – langsam sollte so die Marke „Graz-Reininghaus“ entstehen und scharenweise Investoren anlocken.

Zugpferd des Reininghaus-Projekts war von Beginn an Ernst Scholdan, charismatischer Unternehmer mit besten Kontakten zu Wirtschaftsgranden. Der PR-Profi berät große Unternehmen etwa bei Eigentümerwechseln. Auch den Kauf der Brau Union durch Heineken begleitete er, mit anderen Investoren kaufte er deren nicht betriebsnotwendige Grundstücke, die in der 2005 gegründeten Asset One entwickelt werden sollen. Dort hat sich Scholdan aber inzwischen aus dem operativen Bereich zurückgezogen.

Alexander Doepel, der Asset One gemeinsam mit Ernst Scholdan gegründet hat, sitzt heute noch dem Aufsichtsrat vor. Im Gespräch deutet Doepel an, dass Asset One nun möglicherweise davon abgehen müsse, die Reininghausgründe ganzheitlich als neuen Stadtteil zu entwickeln: „Was man nicht bezahlen kann, kann man nicht bestellen.“ In den Details bleibt er vage. Das Projekt Reininghaus sei wirklich international anerkannt gewesen, sagt Doepel, und „ohne das, was mit Lehman Brothers passiert ist, wäre es vielleicht sogar eins zu eins oder sogar besser umgesetzt worden. Aber heute – von manchen Träumen muss man sich verabschieden.“

Doepel will seine Aussagen aber nicht als Ankündigungen sehen, das seien bloß seine „Phantasien“, die Entscheidungen darüber müsse der Vorstand treffen. Dieser kennt allerdings Doepels Phantasien nicht. Roland Koppensteiner büßt etwas von seiner Fröhlichkeit ein, als ihn der Falter auf Doepels Aussagen anspricht. Ein Szenario, dass einzelne Grundstücke im Randbereich langfristig nicht ins Gesamtkonzept einbezogen werden, kann sich Koppensteiner nur vorstellen, „wenn die Krise noch Jahre dauert. Aber wir sind weit davon entfernt, auch bei einem denkbaren stufenweisen Vorgehen unseren Qualitätsanspruch für Graz-Reininghaus als Stadtteil aufzugeben.“ Doepel sieht das offenbar anders: Bis Herbst, so meint er zum Falter, müsse klar sein, in welche Richtung es geht.

Die Stadtpolitik gibt sich auf Veränderungen vorbereitet und kämpferisch. Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP), seit kurzem auch für die Stadtplanung zuständig: „Wir waren nicht bereit zu sagen: Wir werten alle Grundstücke auf, machen den Eigentümer reicher und sind auch noch verantwortlich für alles, was Geld kostet.“ Mittlerweile sei klar: „Ohne massive Unterstützung der Stadt klappt es nicht.“ Nagl ist auch dagegen, dass nun, wie zu hören ist, klassische Wohnbauträger ein paar Hundert Wohnungen hinstellen, da dies nicht dem angekündigten großen Wurf entspräche. Genau den sieht auch Finanzstadtrat Gerhard Rüsch (ÖVP) gefährdet: „Wir haben die Sorge, dass scheibchenweise Grundstücke verkauft werden. Eine Filetierung und einen Verkauf der Gustostückerln würden wir nicht akzeptieren.“ Wie will die Stadt das aber verhindern? Nagl frohlockt: „Wenn es noch keine Widmungen gibt, kann ein Investor ja nichts tun.“

Mehr noch: Finanzstadtrat Rüsch bestätigt, dass er sogar über Grundstückskäufe nachdenkt – als eine von mehreren „Möglichkeiten, wie die Stadt ihren Einfluss erhöhen kann“. Auch der Bürgermeister kann sich das „vorstellen“, denkt aber eher an Beteiligungen an Gesellschaften, die sich etwa um Ansiedlungen auf dem Areal kümmern: „Projekte umsetzen können ja nur Unternehmen, ich kann mir vorstellen, dass man als Stadt in Gesellschaften einsteigt.“ Das ideale Leitprojekt hofft er bereits gefunden zu haben: Nagl will unbedingt das von der TU Graz forcierte Kompetenzzentrum zu „Sustainable Energy“ in Reininghaus haben: „Das würde mehr als 300 Jobs bedeuten.“

Vorstandsvorsitzender Koppensteiner würde sich freuen, wenn sich die Stadt selbst stärker unternehmerisch in Graz-Reininghaus engagierte: „So könnten Bedenken, dass die Stadt Infrastrukturleistungen vorfinanziert und nur ein privater Developer profitiert, ausgeräumt werden. Ich sehe die Stadt durchaus auch als strategischen Partner bis hin zum finanziellen Einstieg.“

Die gemeinsamen Planungsarbeiten von Stadt und Asset One laufen jedenfalls. Seit kurzem hat die Stadt einen eigenen Koordinator für das Projekt abgestellt. Im Frühling will man eine „Entwicklungszielvereinbarung“ abschließen, erklärt Stadtbaudirektor Bertram Werle – einen Vertrag, in dem etwa geklärt wird, wer wie viel für eine Straßenbahnverbindung, einen öffentlichen Park oder Kindergärten zahlen soll. Stadt und Asset One teilen sich auch die Kosten für drei Architektenteams, die seit März werken – je eines zu den Themen städtebauliche Nutzung, Grünraum und Verkehr. Bis Herbst soll daraus ein einheitlicher „Rahmenplan“ entstehen, so Werle.

Für das Städtebauliche ist Thomas Pucher auserkoren worden. Von seinem Büro im sechsten Stock eines Hochhauses am Grazer Hauptbahnhof sieht er direkt zu den Reininghausgründen. Der junge Architekt baut derzeit in Saudi-Arabien ein neues Zentrum für die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) – einen 160 Meter hohen Turm. Er rechnet damit, dass der neue Stadtteil auf den Reininghausgründen frühestens in dreißig Jahren fertig ist. Trotzdem hat Pucher schon eine Vision des Herzstücks: Entlang der alten Poststraße soll ein sehr dicht bebauter Streifen entstehen, der auch die Skyline des neuen Stadtteils prägt.

Würden rundherum einzelne Grundstücke an Investoren verkauft, die nicht ins ganzheitliche Konzept passen, wäre das für Pucher kein Problem: „Wir entwickeln ein Bild von dem Stadtteil, das flexibel genug für Investoren sein soll.“ Natürlich hätte er keine Freude, wenn ein Investor auf die Reininghausgründe eine Fertighaussiedlung stellen würde, aber „wenn das Herzstück passt, kann ich das, was links und rechts davon passiert, relaxter sehen“.

Doch wofür das ganze Nachdenken, wenn im Endeffekt Grundstücke an den Meistbietenden verkauft werden könnten? Aufsichtsrat Doepel: „Ich bin noch immer überzeugt, dass das ein wundervoller Stadtteil wird, Reininghaus wird am Schluss Graz stolz machen.“ Vielleicht fänden sich mit einem neuen Konzept sogar neue Investoren, glaubt Doepel und gibt sein Wort: „Wenn ich die Wahl zwischen einem Investor habe, der das, was wir mit der Stadt und ihren Bürgern entwickelt haben, umsetzen will, und einem, der etwas Hässliches baut, aber mehr bezahlt – ich würde den nehmen, der unser Konzept berücksichtigt.“

Zum Schluss bringt der Aufsichtsratsvorsitzende noch ein Beispiel: „Ein Obsthändler, der seine Zitronen, wenn sie schimmlig sind, zum halben Preis verkauft, ist ein Idiot.“ Viel besser wäre es, das Obst vorzeitig zu einem guten Preis zu verkaufen. „Oder“, sagt Doepel: „Ich suche ein neues Konzept und mache Limonade.“

(*) Wie erst nach Redaktionsschluss bekannt wurde, hat Mag. Roland Koppensteiner, der als Mitglied des Vorstandes Asset One seit 2005 mit aufgebaut hat, mit "Rücksicht auf sich abzeichnende Meinungsunterschiede hinsichtlich der strategischen
Schwerpunktsetzung", in der Aufsichtsratssitzung vom
23.6.2009 die Zurücklegung seines Mandates angeboten. Sein Nachfolger ist der Immobilien-Manager Ing. Gerhard Engelsberger.

Verfasser/in:
Donja Noormofidi, Gerlinde Pölsler, Kommentar; erschienen im Falter Stmk. 26/09
arch di viktor jung

..mit verlaub: dieses projekt war von anfang an nicht nur eine , sondern zwei nummern zu gross für graz!
hier stimmten rein kalkulatorisch die basisziffern "grösse der stadt" mit den erforderlichen investitionen + risiko überhaupt nicht überein!
..ein derartiges projekt kann man in städten über 1 mio einwohner ins auge fassen, aber nicht in graz!
..im klartext: war eigentlich nie richtig ernst zu nehmen..!

Do. 25/06/2009 3:48 Permalink
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