05/12/2010

Zum 80er:
Architekt Eilfried Huth im Gespräch mit seinem Kollegen und Freund Bernhard Hafner.

TEIL 1

05/12/2010

Architekt Eilfried Huth als Moderator bei der Veranstaltung "Young Blood", 2006 im Stadtmuseum Graz. Foto: (c) Max Wegscheider

Architekt Eilfried Huth, wichtiger Vertreter der "Grazer Schule" und Begründer der Partizipation im steirischen Wohnbau, feierte am 1. Dezember seinen 80er. Aus diesem Anlass führte Kollege und Freund Bernhard Hafner mit dem Jubilar für GAT das nachfolgende Gespräch.

TEIL 1

Hu(th): In Deinem liebenswürdigen Versuch einer Würdigung stoße ich auf Deine Anmerkung „… erst drittens ging es ihm um die Architektur des Wohnbaus, ohne den vom Markt geprägten Wohnbau in den USA gekannt zu haben“. Hier möchte ich anmerken, dass ich während meines Studiums 1950 bis 1956 eine freundschaftliche Beziehung zur Leiterin des Informationscenters der United States in Graz hatte, die mir laufend die Architekturzeitschrift „arts & architecture“ von 1952 an zukommen ließ, die ich später auch abonnierte. In meinem Zeichensaal war ich der einzige Nicht-Kriegsteilnehmer. Diese waren in erster Linie interessiert, so schnell wie möglich das Studium abzuschließen. Ich reagierte allerdings auf die damalige Polarisierung der anderen Zeichensäle, die sich einerseits stark an Mies und andererseits an Corbu orientierten. Durch „arts & architecture“ bin ich auf Craig Ellwood gestoßen, der ja, beeinflusst von Mies van der Rohe, einen eigenständigen ökonomischen Weg gewählt hatte, der mich sehr interessierte. Die Wohnbauten von Craig Ellwood, die mich u.a. durch ihre „Fassadenlosigkeit“ beeindruckten, wurden zum Diskussionsthema und führten bei Kollegen auch zu epigonaler Nachahmung. In meiner „Info-Quelle“ waren im Editorial Advisory Board u.a. Richard Neutra, Marcel Breuer, Raphael Soriano, Harry Seidler und natürlich auch Craig Ellwood angeführt und laufend publiziert. Im Studium hat sich der Einfluss dieser „Quelle“ in meinen Entwurfsarbeiten niedergeschlagen, dazu kam ein weiterer Umstand aus meiner privaten Sphäre. Meine „Jugendliebe“, ausgewandert 1948, Stewardess der Braniff, kommunizierte mit mir über ihre Hotelstationen von Los Angeles, Mexico City, Lima bis in den Süden nach Buenos Aires. Sie versorgte mich von 1954 bis 1956 mit der Zeitschrift „Arquitectura Mexico“. Von ihr bekam ich einen Satz Dias von der damals im Entstehen begriffenen Villen-Siedlung „El Pedegral Los Angeles“ in Mexico City, deren Initiator u.a. Luis Barragan war. Dieser regte mich mit seiner Farbigkeit außerordentlich an und wir führten darüber gegen Ende meiner Studienzeit in den Zeichensälen heftige Diskussionen, im Besonderen mit Raimund Abraham, der seit 1955 im Nebenraum arbeitete. Unter den wenigen Begegnungen und Auseinandersetzungen mit Lehrenden waren in diesem Zusammenhang die oft weit in die Nacht hinein reichenden Diskussionen mit Professor Reicher, zuständig für Innenausbau, maßgebend.

So, im Wesentlichen ausgerüstet durch mein Studium, stand der Plan fest, möglichst bald aus persönlichen Gründen nach Südamerika auszuwandern. Allerdings kam ich nur bis Leoben …

Ha(fner): Ich bin weiter gekommen, bis an den Pazifik, und bin doch wieder hier gelandet. Es ist traurig, dass man aus lebensentscheidenden Fehlern nur lernen darf, die Lehre aber nicht beherzigen kann. Mit dem Hinweis auf den vom Markt geprägten Wohnungsbau in den USA meinte ich etwas anderes. Erstens, das Wohnungsangebot an bestehenden Wohnungen zum Recycling und an Neubauten, beide mit einem reichhaltigen, jeden marktfähigen „Geschmack“ befriedigenden Angebot und der unabhängig vom Baustil gebotenen Lebensqualität. Hierbei spielt die Mobilität der amerikanischen Bevölkerung eine große Rolle. Zweitens, die Bauweise des von einfach zu schulenden Arbeitern ausführbaren Holzbaus für Ein- und Mehrfamilienhäuser bis drei Geschoße. Diese war, zumindest zu meiner Studienzeit, hier gänzlich unbekannt. Ein Beispiel als Hinweis zum Unterschied:

Eine mit einem aus England an die Medical School der UCLA berufenen Arzt verheiratete Sekretärin, Nancy, hatte mich und Barbara einige Male in das Haus, das sie und ihr Mann am San Vicente Boulevard in Santa Monica gekauft hatten, eingeladen. Sie ersuchten mich, einen Vorschlag für eine Änderung des Dachstuhls zu machen, bei dem die Mittelstütze entfallen und ein hoher Wohn-Essraum entstehen sollte. Ich bemühte mich um Einfachheit: Das Ballon- und Platform-Framing hatte ich nicht studiert, und so schlug ich einen Binder mit doppeltem Unter- und Obergurt samt einfacher Ausfachung vor, eine Art Brettelbinder. Beim nächsten Besuch sagte man mir, man hätte den Vorschlag Craig Ellwood gezeigt. Dieser hätte gemeint „Ja, so macht man es wohl in Europa. Hier aber macht man es einfacher“. Ich habe Ellwood nicht getroffen, aber seine Häuser waren mir bekannt. Eines war auch von Gottwald zum Gegenstand einer fortgeschrittenen Hochbau-Übung an der TH gemacht worden.

Du hast Dich nach dem Stahlbau in Leoben mit Domenig aber nicht dieser Bauweise, sondern dem Stahlbeton als Konstruktions- und stilistischem Material zugewandt und die größeren Freiheiten, die er gegenüber dem allgegenwärtigen Ziegel bot, genützt.

Hu: Dazu einige Anmerkungen zur Geschichte des Wettbewerbes Pädagogische Akademie der Diözese: Der Ausschreibungstext für den Wettbewerb war in der Formulierung sehr „offen“, das war einer der Gründe, warum Domenig, der in Wien bei Perotti arbeitete, und ich in Leoben mit neuer Befugnis an diesem Wettbewerb teilnehmen wollten. Zusammen mit Fritz Lorenz (später Architekt in Salzburg) haben wir in Wien diesen Wettbewerb entwickelt. Domenig war beeindruckt von der Schweizer Architektur der damaligen Zeit (Hochschule St. Gallen) Die mögliche konstruktive Freiheit, die durch Verwendung von Sichtbeton zu erwarten war, war der Hintergrund, das Raumprogramm umzusetzen. Von Anfang an war die Idee, an eine innere Wegführung durch das gesamte Gelände mit entsprechenden Platzerweiterungen und Zuordnungen von Freiräumen, die sich auf die örtliche Situation bezogen haben, die unterschiedlichen Raumgruppen volumensökonomisch anzudocken. Wir hatten trotz zusätzlicher Raumangebote für Erweiterungen die mit Abstand geringste Kubatur, ein Grund, warum der Bauherr für dieses Projekt zu gewinnen war.

Nach Erzählungen aus dem Kreis der Jury war unser Projekt bereits ausgeschieden, da das mangelhaft ausgeführte Modell (3 Kartonschichten pro Geschoß) den Eindruck erweckte, dass die Hauptbauteile bis zu 12 Geschosse hoch waren. Architekt Hildebrand, der einige Zeit mit Walter Förderer in einem Büro zusammen arbeitete, brachte unser Projekt nach genauer Überprüfung wieder in das Verfahren ein. Eine plakative Graphik und die niedrige Kubatur taten das Übrige.

Deine Anmerkung zur Bauphysik einige Zeilen weiter entspricht wohl dem allgemeinen Klischee über Bauphysik und Sichtbeton, so hat u.a. ein gewisser Professor Schaup (Bauphysik-Guru aus München) nach genauer Untersuchung unseres Bauwerkes nach etwa 10 Jahren keinerlei Bauschäden feststellen können und dies „dem Weinklima“ von Graz zugeschrieben. Wir haben uns allerdings vor Baubeginn gerade zu diesem Thema sehr genau vor Ort in der Schweiz bei zahlreichen Sichtbetonbauten, vor allem bei Schulen, informiert.

Zur Wärmedämmung, die bei uns innen liegend vorgesehen wurde, ergab sich die Schweizer Erfahrung, dass die monolithische Bauweise des Sichtbetons, vor allem der innen liegenden Konstruktionsteile einschließlich der eingebundenen Geschoßdecken (bis zu 25 cm Stärke bei Schulbauten) eine hervorragende Speichermasse darstellt und die Wärmezufuhr über Radiatoren großflächig mit relativ niedriger Temperaturspreizung angesetzt wurde. Bis heute sind so gut wie keine Bauschäden aus der Bauweise entstanden, wenn man von einer undichten Stelle im Bereich der Aula, von Anfang an vorhanden, absieht.

Soweit zur Pädagogischen Akademie......

Ha: Das Bauwerk ist auch gut gealtert, bauphysikalisch genügt allein der Energiehaushalt den heutigen Anforderungen nicht mehr. Für damals war eure Bauphysik sogar vorbildlich: An der TH gab es sie nur als Freigegenstand und am Unterricht gab es nicht mehr als ein halbes Dutzend Teilnehmer, mich eingeschlossen. Von meiner letzten Arbeit her weiß ich, dass die Diözese die Anlage auf wärmetechnische Verbesserungen hin untersuchte und sich schließlich, auch aus Respekt vor der Architektur, gegen eine solche Maßnahme entschied.

Zur Frage „Ragnitz“, womit ich das durchgearbeitete Projekt ab 1967 meine, hast Du sicher etwas hinzuzufügen. Du sagtest einmal, ihr hättet am Modell seit dem Winter 1966/67 gearbeitet, wobei der Sohn des damaligen Vizebürgermeisters Stöffler das Modell gebaut habe.

Hu: Zuerst einmal – da stimme ich Dir voll zu – haben wir uns mit Architekturtheorie zur eigenen Wegfindung kaum beschäftigt, aber durch die unterschiedlichsten Informationen, soweit sie damals möglich waren, haben wir uns sehr wohl für unsere Arbeit zu orientieren versucht, auch mit einem besonderen Anspruch, der sich vom damaligen allgemeinen Baugeschehen absetzt. Wir mussten – und das zu unserem Vorteil – jeweils auf reale Auftragssituationen bei unseren Entwürfen eingehen, das heißt, Vorstellungen des Bauherrn oftmals radikal und überzeugend transformieren und aus den Möglichkeiten unseres Informationsstandes heraus handeln.

So haben wir den Auftrag für eine Studie einer Wohnverbauung in der Ragnitz 1964 erhalten und an die Erfahrungen des Entwurfes für die pädagogische Akademie angeknüpft. Wieder gab es die Idee einer internen, ausgeprägten Wegführung (obere und untere Gasse), an die Wohneinheiten, vorerst ihrem Volumen nach, zur Sonnenseite hin angedockt, und an der Schattenseite das Raumangebot mit Arbeitsräumen, Büros, Ordinationen etc. ergänzt. Genauso wie in Eggenberg haben wir in der Ragnitz eine mehr oder weniger endgültige - für uns wichtige – stadträumliche Figur festgelegt.

Ha: Dieses Projekt von 1965 ist, wenigstens in Erscheinung und Konstruktion, ganz ähnlich einem Wettbewerbsentwurf für Völs bei Innsbruck: eine städtebauliche Figur, noch im konventionellen Sinn raumbildend, als Platten- und Stützenbau konstruiert, auf deren erdüberschütteten Ebenen unterschiedliche Gebäude – Wohnungen und Büros – an Wegen und Ebenen übergreifenden Lufträumen angeordnet sind. Es entsprach einer Idee noch vor der Zeit der ARCHEGRAMME, nämlich auf künstlichen Plattformen ein Stück Erde entstehen zu lassen. Bei diesem Projekt konnte ich also vor dem Winter 1963/64 als Planer im Büro der Werkgruppe strukturale Architektur noch nicht so wie später entwickeln. Später habe ich im langen Gedicht „Space, Time and Architecture? RAUMZEITARCHITEKTUR!“ in Erinnerung daran geschrieben: „und der steirische Bauer, von ihrem Schatten / getroffen, wird barhäuptig verweilen und wissen: von wo / der Schatten kommt, dort ist die Stadt und nicht dort, / wo die grün-weiße Tramway fährt.“ Jedenfalls sehe ich in der Entwicklung von Völs zu den Projekten für die Universität Salzburg und den Arbeiten der Ausstellungen 1965 und besonders von 1966 einen gewaltigen Schritt, der sich in meinem Kopf vollzogen hat und allmählich gereift ist, und ohne den ich ein ganz anderer Architekt wäre, als ich es danach war und heute bin.

Hu: In der weiteren Bearbeitung in der Benennung von Größenordnungen, Leitungsführungen, Erschließungen haben wir konstruktive Überlegungen eingeführt, so u. a. eine Rohbaustruktur, die sich an der Dichte einer Kugelpackung orientierte, mit hexagonalen Elementen, ähnlich den Überlegungen, die wir für eine Raumgitterstruktur für ein großes Kirchendach für St. Martin in Klagenfurt 1962/63 begonnen hatten.

Selbstverständlich haben wir Einflüsse von verschiedenen Seiten wahrgenommen, dazu zählen auch die Aktivitäten, die auf der TH in den Zeichensälen sich entwickelt haben. Für mich spielte natürlich auch die Begegnung mit Konrad Wachsmann 1958 in Salzburg eine gewisse Rolle.

Ha: Wachsmanns Einfluss sehe ich im Kirchendach für St. Martin, nicht in der Letztversion für die Ragnitz. Du weist selbst auf die Kirche von Gsteu hin und auf die durchgehende Verwendung eines Rasters, wie ihn auch Roland Rainer als Professor in Graz zwischen innen und außen gefordert hat. Aber klar, bei der Reduktion strukturaler Architektur auf Erschließung und das ausbaufähige, konstruktive Gerüst muss das Tragsystem ausgearbeitet werden. Das wurde es dann ja auch bei euch. Es gab doch damals ähnliche Bauten unter Verwendung von Tragwerksrastern; eines aus Italien oder der Schweiz?

Hu: In deinen Anmerkungen zu Domenig und Huth (D & H) beschreibst du den Einfluss deiner Ausstellung „Struktureller Städtebau“ in der Neuen Galerie, der uns zum Projekt Ragnitz anregte. Das mag für die Ausarbeitung im Detail für die Ausstellung im Forum Stadtpark vielleicht stimmen, der Entwurf des Projektes Ragnitz wurde allerdings dem Bauherrn schon Anfang 1965 vorgelegt und wurde erst später für die Ausstellung im Forum aus der Schublade geholt.

Ha: Das ist das Projekt, von dem und nur von dem ich spreche.

Hu: Unsere beiden Arbeiten für die Olympischen Spiele 1972 in München wurden 1970 durch Behnisch beauftragt, Anlass war die Publikation über unser Ausstellungsgebäude Trigon 67 in Graz. Die Wahl der Konstruktion mit Gerüstbauelementen erfolgte aus meiner Erfahrung aus der Bergbau-Ausstellung 1962 in Leoben, noch als freier Mitarbeiter bei Architekt Donau. Und bei diesem Projekt wieder ist im Hintergrund meine Begegnung mit Konrad Wachsmann in Erinnerung. Die Münchner Projekte haben also eine sehr direkte Linie von der Bergbau-Ausstellung über Trigon 67 zum Restaurant Nord und zum stark formal ausgeprägten Restaurant-Pavillon in der Schwimmhalle. Alle diese Projekte waren als temporäre Installationen ausgearbeitet. Das Projekt Stadt Ragnitz, das wir für den Wettbewerb in Cannes ein zweites Mal überarbeiteten, ist erst wieder für unser Projekt Floraskin 1971 im Auftrag der Weltbank für Marokko eine konzeptionelle Grundlage gewesen.

TEIL 2 des Gesprächs folgt in zwei Wochen, am Sonntag, dem 19. Dezember 2010, in der Reihe sonnTAG.

EILFRIED HUTH wurde am 1.12.1930 auf der Insel Java geboren. Er studierte von 1950-56 an der Technischen Hochschule in Graz Architektur. Seine freischaffende Tätigkeit begann er 1960. Von 1963 bis 1975 führte Huth mit Günter Domenig ein gemeinsames Büro in Graz und München. Huth war bis Februar 2005 Professor für Gebäudelehre und Entwerfen an der Hochschule der Künste in Berlin. Foto: IAKK, TU Graz

BERNHARD HAFNER wurde 1940 in Graz geboren. Er studierte an der Technischen Universität Graz und an der Harvard University. Hafner war Professor und Gastprofessor an der University of California, Los Angeles (bis 1974), Cornell University (1974), University of Texas, Arlington (UTA, 1977-79) und am New Jersey Institute of Technology (2000, 2005). Er ist seit 1976 als freischaffender Architekt tätig und betreibt seit 1980 ein Architekturbüro in Graz. Außerdem ist er Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten und theoretischer Texte zur Architektur.

VERANSTALTUNGSHINWEISE:

_ FREITAG, 10.12.2010, 19.00 Uhr

HDA Graz, Mariahilferstraße 2

"150 Jahre für die Architektur"

Geburtstagsfest für Eilfried Huth und Klaus Kada (Kada wird im Dezember 70; Anm. d. Red.)

_ DIENSTAG, 14.12.2010, 19.00 Uhr

TU Graz, HS 1, Rechbauerstraße 12

GRAZ MASTER LECTURES #04: Jesko Fezer (DE)

Jesko Fezer gratuliert Eilfried Huth mit seinem Vortrag zum 80. Geburtstag. Der Berliner Architekt war Student und Assistent bei Eilfried Huth an der Hochschule der Künste Berlin. Im Anschluss an den Vortrag findet an der TU eine kleine Geburtstagsfeier für Eilfried Huth statt.

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