07/07/2014

Gespräch mit Hans Schnitzer, stellvertretender Leiter des Instituts für Prozess- und Partikeltechnik der TU Graz, über Smart City, Gebäudeeffizienz und Lehre an den Hochschulen im Rahmen des Fokus ENERGIE BAU KULTUR.

07/07/2014
©: Redaktion GAT GrazArchitekturTäglich

Hans Schnitzer ist stellvertretender Leiter des Instituts für Prozess- und Partikeltechnik der TU Graz.

©: Josef Schiffer

Univ.-Prof. Hans Schnitzer von der TU Graz (Institut für Prozess- und Partikeltechnik – IPPT) hat als Vordenker in den Smart City-Projekten der vergangenen Jahre eine Schlüsselrolle eingenommen. GAT führte das Interview mit dem Leiter des Bereichs Abfall- und emissionsfreie Techniken und Systeme (ZETS) anlässlich des Fokus ENERGIE BAU KULTUR in Hinblick auf die Herausforderungen bei neu zu planenden Stadtteilen in Graz. Schnitzers Position lautet im Gegensatz zur real häufig praktizierten Politik der halben Lösungen und Gefälligkeiten: Nachhaltige und Ressourcen schonende Lösungen wird es nur geben, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen – wie zum Beispiel die öffentlichen Bauförderungen – den Trend vom wenig smarten Einfamilienhaus in Richtung intelligenter Gebäudeverbundslösungen in lebenswerten Stadtteilquartieren umleiten können.

Die durch gesetzliche Richtlinien vorgegebene Ausrichtung auf mehr Gebäudeeffizienz, Passivhausstandards und optimierte Energienutzung spiegeln sich in der Hochschullehre bislang nur unzureichend wider. Wo liegen Ihrer Meinung nach Stärken in der Ausbildung und wo gibt es Verbesserungsbedarf bzw. muss sich grundlegend etwas ändern?

Positiv zu vermerken ist, dass wir bei den einzelnen Technologien in der Lehre sehr gut unterwegs sind – Gebäudedesign, Lebenszyklusanalyse, Biomasse- und Solarheizsysteme, Photovoltaik, alternative Antriebssysteme. Das Problem lautet: wie unterrichtet man Systemdesign, das alle diese Disziplinen beinhaltet? Das kommt derzeit nur im Bereich der Forschung vor, wo Studenten in verschiedenen Arbeitsgruppen mitwirken. Beim Reininghaus-Projekt kooperieren wir dafür u. a. mit den Instituten für elektrische Anlagen, Stadtplanung, Gebäudetechnik und Verkehrsplanung.

Was bedeutet das für die Lehre in der Praxis?

Diese Inhalte alle in ein Modell zu packen, ist kein ganz einfacher Prozess. Wir arbeiten derzeit am Entwurf einer Ausbildung für Master- oder Postgraduate-Studien, die diese verschiedenen Materien integrieren sollen. Die große Aufgabe besteht darin, dass wir weg von den einzelnen Disziplinen den Fokus auf umfassende Systeme legen. Dabei stehen wir offen gesagt noch ziemlich am Anfang. Die Fachhochschulen sind in dieser Hinsicht natürlich berufsorientierter, während an den Unis noch immer eher Forschung stattfindet. An der FH Wien gibt es Lehrgänge für urbane Technologien, an der FH Kapfenberg solche für Infrastruktur. Hier streben wir eine stärkere Zusammenarbeit an. Unsere Herausforderung liegt insgesamt darin, multidisziplinär zu werden. Durch die rapide zunehmenden Möglichkeiten der Netzwerk- und Kommunikationstechnologien ist dieser Weg klar vorgezeichnet.

Welche Rolle spielen alternative Energien für die Planung von Smart Cities?

In Zukunft werden Gebäude als Energiespeicher dienen – sowohl von Wärme als auch von Strom. Damit kann man z.B. verbrauchsintensive Phasen überbrücken oder das Elektroauto laden. In Nordeuropa etwa, wo durch einen Überhang an Windkraftanlagen zu gewissen Tageszeiten sehr viel Strom produziert wird, setzt man Power-to-Heat-Systeme ein, die die Energie für Raumwärme in Gebäuden speichern. Dabei können für Wärmenetze auch riesige Speicher von bis zu mehreren Tausend Kubikmetern eingesetzt werden. Dafür ist das optimierte Zusammenspiel zwischen Gas-, Wärme- und Stromnetz eine wichtige Voraussetzung. Der Einsatz alternativer Energien erfordert ein ausgeklügeltes Systemdesign, weil Windenergie regional in stark schwankenden Mengen erzeugt wird oder Strom aus Photovoltaikanlagen nur bei Tageslicht eingespeist wird.

Können Smartmeter den Verbrauch sinnvoll lenken?

Die Smartmeter bringen dem Endkunden letztlich keine entscheidenden Vorteile; diese liegen, wenn überhaupt, eher auf Seiten der EVUs und der Optimierung der Netze. Der zeitversetzte Verbrauch klingt viel besser, als er real etwas bringt. Kühlung und Kochen kann man zeitlich nicht groß umstellen, bzw. wenn ich die Waschmaschine nutze, dann will ich die Wäsche gleich aufhängen und nicht nach dem Heimkommen von der Arbeit. Klassische Nachtstromsysteme sind heute nicht mehr zeitgemäß. Die Umwandlung und Speicherung der Energie in Wärme sollte dann erfolgen, wenn ungenutzter Strom im Überfluss vorhanden ist. 

Und das Photovoltaik-Kraftwerk am Dach?

Die PV-Anlagen boomen trotz hoher Anschaffungskosten. Gemeinschaftslösungen, also der Verbund von mehreren Haushalten, werden benachteiligt, weil die Nutzung und damit die Abrechnung nur über die EVUs abgewickelt werden können, was mit hohen Netzgebühren verbunden ist, obwohl der Strom in Wahrheit nur von einem Nachbar zum nächsten fließt. Hier sind energieautarke Systeme scheinbar nicht erwünscht, weder von staatlicher Seite noch von den EVUs.

Welche gesetzlichen Veränderungen im Bauwesen kommen auf uns zu und wie sollte darauf reagiert werden?

Die Anforderungen an die Effizienz von Gebäuden werden sich ab 2020 für alle privaten Neubauten deutlich verschärfen. Ab dann gelten mit den EU-Vorgaben zum Passivhausstandard strikte Richtlinien für energieeffizientes und umweltschonendes Bauen. Das bedeutet auch, dass sich in der Ausbildung im Bauwesen sehr bald etwas bewegen muss, um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen. Die Bauträger und -unternehmen sind darauf ebenfalls nicht ausreichend vorbereitet. Die reine Kostenfrage ist heute bereits sekundär, im Geschoßbau liegen die Mehrkosten für Passivhausstandard bei drei Prozent. In die Wettbewerbe und Ausschreibungen wird man Smart-City-Kriterien entsprechend ihrem Stellenwert als Faktoren einbringen müssen. Ein Mangel ist auch, dass bei Förderungen die Lifecycle-Kosten von Gebäuden noch nicht in die Berechnungen einbezogen werden.

Was bedeutet das Smart City-Konzept in diesem Kontext?

Man weiß inzwischen, wie man ein Passivhaus oder ein energieeffizientes Gebäude plant und baut. Die Schwierigkeiten beginnen, sobald man den Verbund vieler Gebäude, auf Ebene ganzer Wohnquartiere betrachtet, wo es den Verbrauch tausender Wohnungen zu koordinieren gilt. Ein weiterer Schritt muss es sein, die Mobilität in diese Konzepte zu integrieren: Das reicht von E-Mobility über Car-Sharing bis hin zum öffentlichen Verkehr. Man muss zukünftig auf die Energiebilanz in einem größeren Zusammenhang schauen statt nur auf die Energieeffizienz oder Dämmwerte eines einzelnen Objektes. Eine wichtige begleitende Maßnahme ist die Absenkung des Stellplatzschlüssels: Für die neue Siedlung in der Roseggerstraße wurden dieser von den üblichen 1,5 auf 0,6 Einheiten verringert, d. h. es gibt dann weniger Parkplätze. Bei den geplanten Verdichtungen in Wohnvierteln geht es gar nicht anders, als die Zahl der Stellplätze zu reduzieren.

Wo sehen Sie die Möglichkeiten der E-Mobility in diesem Kontext?

Der kritische Punkt bei Smart City-Systemen ist die Ineffizienz der berühmten „letzten Meile“ zum Konsumenten. Was passiert z.B., wenn ein gewisser Prozentsatz der Bewohner allabendlich ein Pizzaservice ruft, was dann in x Einzelfahrten resultiert? Oder die zunehmende Zahl an Paketzustellungen bzw. resultierende Pkw-Fahrten, wenn jemand nicht zu Hause ist. Hier liegt großes Einsparungspotenzial, wenn man solche Dienstleistungen mit E-Mobilität ausführen würde. Eine Serien-Produktion dafür geeigneter Fahrzeuge wird im Herbst bei SFL in der Weststeiermark anlaufen. Dieses Elektro-Nutzfahrzeug, kurz ELI, soll in erster Linie als Leasing-Fahrzeug für den Einsatz in Gemeinden dienen. Dazu fungiert es als mobiler Energiespeicher und -quelle für den Einsatz in Gebieten ohne Stromnetz.

Welche Verbesserungspotenziale sehen Sie beim öffentlichen Verkehr?

Es ist ein bewährtes Prinzip, dass Verkehrslinien vor dem Bau von Siedlungen geschaffen werden. Hier liegt es an der Stadt Graz, den Ausbau konsequent zu betreiben und keine halben Sachen zu machen, wie die kurze Verlängerung in die Laudongasse, statt diese bis an die geplanten Endstationen auszubauen. Trotz mancher Gegenargumente ist die nicht erfolgte unterirdische Verbindung von Tram und Bahn am Hauptbahnhof ein Versäumnis gewesen. Auf der anderen Seite wäre es ein innovativer Ansatz statt kostspieliger Verlängerungen der Straßenbahn [für den 7er am LKH Ragnitz verlauten geplante Kosten von 27 Mio. Euro für 500 Meter, J.S.] für kürzere Strecken kleine Elektrobusse mit schnellen Ladezyklen einzusetzen.

Warum hat man den Eindruck, dass sich hier insgesamt relativ wenig bewegt?

Der Druck zur Veränderung ist scheinbar nicht ausreichend, weder vonseiten der Politik noch der BürgerInnen. Ich bin immer wieder erstaunt, was sich in Graz, an den Kennzeichen leicht ersichtlich, allein an innerstädtischem Pkw-Verkehr abspielt – die Bequemlichkeit der Menschen ist offensichtlich sehr groß. Die viel bemühten Kosten für CO2-Zertifikate sind, was den Individualverkehr betrifft, kaum wirksam, weil pro Liter Treibstoff nur etwa 3 Cent an Strafzahlungen anfallen, während der Fiskus zugleich rund 70 Cent an Steuern und Abgaben lukriert. Die Position des Staates ist hier zwiespältig, denn aus unternehmerischer und budgettechnischer Sicht hat er kein Interesse am Energiesparen. Das Elektroauto wird sich aufgrund der Anschaffungskosten und mangelnder Reichweite im privaten Bereich in größeren Stückzahlen vorerst nur als Zweitfahrzeug etablieren können.

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