30/10/2013

Symposium zu
Herbert Eichholzer

Ort: Institut für Kunst im öffentlichen Raum
Marienplatz 1, 8020 Graz
Mi. 30.10.2013
17.00h - 19.00h

Im Rahmen der Ausstellung
Pavillon – Hommage à Herbert Eichholzer
Ort: Rondo (Gartengelände),
Marienplatz 1, 8020 Graz
Dauer: bis 31.10.2013
Sa. 11.00-13.00 Uhr, Di. bis Fr. 15.00-17.00 Uhr

30/10/2013

Herbert Eichholzer (1903 - 1943)

Mehrere Anläufe zu einer unmöglichen Aufgabe

„Nicht zu lügen ist zwar etwas leichter, als die Wahrheit zu sagen, aber immer noch verlogener, als nichts zu sagen. Man muss aber etwas sagen, es wird einem ständig abverlangt.“ Leo Trotzki, Kunst und Revolution 

Über Herbert Eichholzer zu sprechen, verbietet sich eigentlich. Viele fühlen sich immer berechtigt, über alles zu sprechen. Wer sicher im Pavillon sitzt, sollte nicht über Eichholzer referieren. Fünfzehn Minuten Schweigen für Eichholzer wäre der beste Beitrag.

Über Eichholzer dürften nur Tote sprechen. Oder zumindest Menschen, die ihr Leben im Widerstand aufs Spiel gesetzt haben. Die könnten dann von ihren Motiven sprechen. Und vielleicht nicht nur von den vordergründig politischen, denn die liegen auf der Hand. Sie müssten also über etwas sprechen, das ihnen selbst wahrscheinlich nicht bewusst ist. Auf ein Selbstopfer läuft Widerstand oft hinaus. In der Hoffnung, dass dieses Opfer nicht umsonst sein werde.

Ich habe mir oft vorgestellt, mit meinen Verwandten, die im Wider-stand waren, darüber zu sprechen. Die mit dem Leben davongekommene Tochter meines in Mauthausen verstorbenen, höchstwahrscheinlich getöteten Großonkels Johann Preiss, wollte sich dazu nicht äußern. Und wahrscheinlich hat sie recht gehabt. Jedes Wort wäre falsch, weil unangemessen gewesen. Es gibt keine Sprache dafür. Aber wie soll man dann darüber berichten? Denn berichten muss man, das ist klar. Schweigen wäre totschweigen, ein nochmaliges Töten der Opfer. Ein Schweigen wäre im Sinn der Täter. Das wollen die Täter doch immer, dass über ihre Taten geschwiegen wird. Einmal muss es genug sein, sagen sie, bevor noch etwas gesagt worden ist. Die Vergangenheit muss ruhen, wir sind ein gutes Grab für die Vergangenheit, in uns ist Platz für viel Vergangenheit, unsere Taten sind ja keine Taten, sondern Untaten, darum können wir für sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Darum also doch sprechen, im Bewusstsein der Fragwürdigkeit dieses Bemühens. Die Toten sind ja immer die besten Zeugen. Sie legen Zeugnis ab für ihr Leben, in Briefen, in Texten, im Offensichtlichen ihrer Handlungen.

Eichholzer hatte eine Stimme, die zu uns noch heute sprechen kann. Aber verstellt er seine Stimme in den Briefen nicht? Zu verstehen ist er ja nicht leicht. Wenn er in den Wald geht, nimmt er in Kauf, Bären zu begegnen. Mir scheint, er will es sogar. Er sucht die Gefahr oder nimmt sie nicht wahr. Und zuletzt ist er Kreaturen erlegen, deren Ge-fährlichkeit die von Bären weit übersteigt.

Man müsste sich ihn vielleicht in privaten Situationen vorstellen. Beim Spiel mit dem von ihm entworfenen Kinderspielzeug. Im Gespräch mit Freunden. Er würde dann im Ton seiner Briefe sprechen. Aber man möchte das nicht unbedingt simulieren, in der Manier histo-rischer Romane. Man käme sich wie ein Schwindler vor.

Ein Lebenslauf, den man liest, ist etwas anderes als ein Leben, das ge-lebt wird. Wir waren nicht dabei. Das ist, was Zeitzeugen den Spätgeborenen gerne vorwerfen, ihr wart ja nicht dabei, ihr habt es nicht erlebt, ihr habt keine Ahnung. Dabei haben gerade Zeitzeugen auch nur einen winzigen Fetzen vom großen Bild sehen können, den nehmen sie dann fürs Ganze. Und ihre Zeugenschaft ist so unverlässlich wie die Wahrnehmung.

Wie Eichholzers Leben verlaufen ist, wissen wir oder glauben es zu wissen, von seinem Ende her gedacht. Über allem, was er tut, schwebt dieses Ende. Wir können spekulieren, wie sein Leben verlaufen hätte können, wenn er bestimmte Schritte nicht gesetzt hätte, wenn er etwa nicht aus der Türkei nach Österreich, das damals gar nicht Österreich hieß, zurückgekehrt wäre. Man würde ihn dann heute nur als Architekten kennen. Es wäre ihm wohl im landläufigen Sinn besser ergangen. Aber niemand wird mehr verehrt als ein Held. Und dass man an ihn denken soll, hat er sich in einem seiner Briefe aus der Haft ge-wünscht. „Wenn einmal die Saat aufgegangen, wenn unser damaliges Wollen sichtbare Früchte tragen wird, wenn das Verständnis für unse-re Art auch da bei uns unten einmal anklingt, dann (…) denkt an Eu-ren Herbert.“ (Brief an Gustav von Scheiger, 6.12.1942, einen Monat vor seiner Hinrichtung.)

Ist die Saat „bei uns unten“ aufgegangen? Hätte die heutige Staatsform seine Billigung? Eher nicht, gemessen an der sozialistischen Utopie. Aber denken darf man an ihn sogar öffentlich, ohne verhaftet zu werden. Soll uns das genügen? Und hat uns ein jahrzehntelanger Pragmatismus nicht verdorben für jede Vision, die über den Tellerrand schaut? Und erscheint dann jede Handlung, die das eigene kleine Wohlleben nicht zum einzigen Maßstab erhebt, als unverantwortlich? Obwohl sie genau das Gegenteil ist. Im falschen Leben verkehrt sich alles. Der Angepasste ist Herr seines Geschicks, der Revolutionär ein Narr, der Künstler ein Zulieferer der Unterhaltungsindustrie.  

Eichholzer und die anderen Widerständigen beschämen uns. Wer könnte von sich behaupten, zu solchen Handlungen fähig zu sein? Es könnte uns ja ein Härchen gekrümmt werden. Eichholzer blieb in der Aussicht auf seine Auslöschung erstaunlich gefasst. Er schreibt: „Nun geht es wohl dem Ende zu. Es ist keine solche Nervenprobe, wie Du glaubst, man schließt mit dem Bewegten ab und bleibt beim ‚ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht‘.“ Spricht er sich hier selber Mut zu, ist die Gelassenheit gespielt? Und flüchtet er sich deshalb zu Schiller, ins Zitat? Sein Anwalt, der die letzten Stunden mit ihm verbrachte, hatte den Eindruck, dass Eichholzer „ruhig (…) und ausgesöhnt mit seinem Schicksal“ gestorben sei. Allein der Begriff „Schicksal“ will so gar nicht zu Eichholzer passen. Wer an ein Schicksal glaubt, lehnt sich nicht auf, der schickt sich in alles.

Alles, was wir sehen, könnte auch anders sein. Alles, was wir erleben, ist nur eine Möglichkeit. War Eichholzer als Architekt womöglich der Konstrukteur seines Lebensweges? Ist er auch darin dem Goldenen Schnitt verpflichtet? Entspricht das Verhältnis des Ganzen zu seinem größeren Teil auch dem Verhältnis des größeren zum kleineren Teil? Soviel Harmonie können wir in seinem gewaltsam verkürzten Leben, das als Bruchstück erscheint, nicht erkennen. Zu unrund läuft hier manches, wir sehen eher einen Getriebenen am Werk. Einen Bauplan für das Leben gibt es nicht. Schon gar nicht in Zeiten, wo man leicht unter die Räder kommt.

Die austrofaschistischen wie die nationalsozialistischen Machthaber versucht Eichholzer über seine Ziele zu täuschen. Ob er seine Gegner sträflich unterschätzt oder offen verhöhnt hat, ist schwer zu entscheiden. So will er in seiner Verteidigungsschrift „Mein Weg“ dem Gericht weismachen, seine Aktivitäten seien ein Versuch gewesen, Nationalsozialisten und Kommunisten im Interesse des Reichs zu vereinen. Der Nationalsozialismus sei nämlich fortschrittlich und in Opposition zum Kapitalismus. Vielleicht ist diese Strategie von Verzweiflung diktiert, Eichholzer kann schwerlich angenommen haben, dass man ihm glauben werde. Aber die Aussichtslosigkeit seines Unternehmens ist wahrscheinlich der blinde Fleck eines Widerstandskämpfers. Er muss sich in diesem Punkt selber täuschen, sonst kann er nicht agieren. Das irrationale Element darin könnte der Schlüssel zu einem Verständnis sein.

Fast alle Widerstandszellen waren unterwandert, darum der geringe Erfolg ihrer Aktivitäten. Eichholzer wurde durch den Gestapo-Spitzel Kurt Koppel verraten, der im zentralen KPÖ-Apparat über alle Informationen verfügte. Koppels Motiv war es vermutlich, als Jude der Vernichtung zu entgehen. Er konnte nach dem Krieg untertauchen, welche Identität er angenommen hat, ist unbekannt. Angeblich ist er nach Palästina gegangen, zur Verantwortung konnte er nie gezogen werden. Seine Spur verliert sich, wie man so sagt, intensiv gesucht wurde nicht nach ihm, ihn zu finden wäre für mehrere Seiten unangenehm gewesen. Er ist verschwunden, als sei er selbst ein Opfer. Und als Opfer der Zeitumstände können wir ihn sehen, allerdings ist unklar, wann seine Spitzeltätigkeit begonnen hat. Falls Koppel wirklich schon im Spanischen Bürgerkrieg die Fronten gewechselt hat, könnten Margarethe Schütte-Lihotzky und andere wohl recht haben, die ihm Gewinnsucht oder Geltungsdrang nachsagen.

Wahrscheinlich war es ein ganzes Bündel an Motiven. Eine heillose Verstrickung. Handeln wir oder werden wir gehandelt? Wenn es keine Willensfreiheit gibt, wie manche Neurobiologen behaupten, gibt es auch kein Heldentum. Und selbst die Täter-Opfer-Dialektik ist aufgehoben. Die Frage der Schuld wird gegenstandslos. Bei solchen Über-legungen kann einen Schwindel befallen. Und dieses Schwindelgefühl wäre vielleicht jeder Erörterung weit überlegen.

(Aber an diesem Punkt kommt man nicht weiter. Noch ein Anlauf.)  

Es gibt in Österreich viele historische Beispiele für die brachiale Niederschlagung von Aufständen und Revolten. Die beamteten Historiker haben in der Folge aus Loyalität zu den etablierten Mächten die Ereignisse sehr häufig nur aus der Sicht der Obrigkeit beschrieben und beurteilt und somit den Widerstand in einem wirksamen Nachzugsverfahren ein zweites Mal diskreditiert und eliminiert. So wurden Revolutionäre hierorts vielfach zuerst physisch vernichtet und dann totgeschwiegen. Und in ihrem Gefolge kamen dann die Essayisten, die dar-aus das Klischee formten, dass der Untertanengeist zur genetischen Ausstattung der Österreicher gehört.
(Hubert Christian Ehalt)

Eichholzer hat ein Nachleben, wir befinden uns gerade darin. Er ist womöglich präsenter als zu seinen Lebzeiten. Der Kalte Krieg verhinderte eine breite Würdigung des Widerstandskampfs. Zu sehr galten seine führenden Aktivistinnen und Aktivisten als Repräsentanten des feindlichen Kommunismus, ihr Kampf als Auseinandersetzung zwischen zwei totalitären Systemen. Nun haben Eichholzer und viele an-dere ja nicht dem Stalinismus zum Sieg verhelfen wollen, sondern mit Eichholzers Worten dem „echten Sozialismus“. Wolfgang Neugebauer schreibt dazu: „Die kommunistischen Widerstandskämpfer (…) hatten humane Ideale, sie strebten eine sozial gerechte, demokratische Gesellschaft an, sie wollten vor allem mit ihrer ganzen Kraft dem Faschismus entgegenwirken, sie wollten an der Befreiung ihres Landes, an der Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich mitwirken. Diese Intention, die mit dem Leben bezahlte Einsatzbereitschaft und ihr Mut sind zu respektieren und zu würdigen, was immer damals und später im Namen des Kommunismus geschah.“

Nun ist also nicht geschwiegen worden. Ich habe den Eindruck: Das bleibt zu sehr dem Allgemeinen verhaftet. In dem dafür vorgesehenen sachlichen Ton, der den Schrecken diskret fernhält.
Ein Gedicht vielleicht. Aber das Gedicht kommt über die Zeilen nicht hinaus:

Getötet wird man auf vielerlei Art
Im Nationalsozialismus vergast oder geköpft
Im Neoliberalismus ausgehungert

Noch ein Anlauf:
Im Traum begegnet Eichholzer dem Bären. Der Bär unterhält sich mit ihm ganz vernünftig. Er legt ihm die Tatze auf die Schulter, er sagt: „Du solltest mehr für Tiere bauen. Ich zum Beispiel hätte gerne eine schöne Höhle.“

Ganz zuletzt, stelle ich mir vor, erkennt Eichholzer, worum es ihm wirklich gegangen ist. Während das Beil niedersaust.

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