01/12/2009
01/12/2009

Schulinvestitionsprogramm für Bundesschulen in Österreich 2009-2018

Schulinvestitionsprogramm für Bundesschulen 2009-2018 - Steiermark

Ausstellung „Fliegende Klassenzimmer“ im Kunsthaus Mürz, Mürzzuschlag. 14.11.2009-21.02.2010

Futurum Schule in Schweden lässt das Konzept Klassenzimmer hinter sich. Fotos: Gerlinde Knaus

Abseits politischer Fronten ist längst unbestritten: Neue Schulkonzepte brauchen neue Räume. Denn die Architektur ist der dritte Pädagoge.

31 steirische Bundesschulen sollen mit einem Kostenvolumen von 158 Millionen Euro bis 2018 saniert, erweitert neu gebaut werden. Insgesamt sind es 1,7 Milliarden Euro, die Bundesministerin Claudia Schmied in Österreichs Bundesschulbau für die „besten Schulen für alle Kinder“ investieren will. Um der Wirtschaft einen Impuls zu geben, hat die Bundesregierung schon für heuer und 2010 ein Konjunkturpaket geschnürt und 600 Millionen Euro „vorgezogen“ – den Löwenanteil bekommen allerdings Wien, Niederösterreich und die anderen Bundesländer. Für die Steiermark heißt es: bitte warten. Sie bekommt aus diesem Topf 26 Millionen Euro und den Rest bis 2018. Es gehe nicht darum, dass die die Erneuerung des steirischen Bundesschulbaues "irgendwann realisiert werden, wie der Landesschulratspräsident beteuert, jetzt benötigen Wirtschaft und Schulen einen Input“, hieß es heuer im Grazer Gemeinderat in einem mehrheitlich angenommen dringlichen Antrag der ÖVP und der Grünen. Gemessen an der Schülerzahl (13% aller österreichischen SchülerInnen besuchen eine Bundesschule) wären für die Steiermark 70 Millionen Euro durchaus adäquat, hieß es heuer im Grazer Gemeinderat in einem mehrheitlich angenommen dringlichen Antrag von der ÖVP und den Grünen. Das war Anfang des Jahres. Geschehen ist aber seitdem nichts. Gemeinderat Gerhard Spath (ÖVP) berichtet, dass er bis heute - acht Monate später – weder eine Antwort vom Ministerium noch von Landeshauptmann Franz Voves bekommen habe.

Wofür ist das Geld?
Wofür wäre das Geld? Die Rede ist von Erweiterungen für die Nachmittagsbetreuung, Generalsanierungen der Werkstätten, Neubauten von Sonderunterrichtsräumen und Turnsälen. Dafür würde die „viel zu geringe Bereitstellung“ von Geldern für die steirischen Bundesschulen bei weitem nicht reichen. Von pädagogischen Innovationen, die mit dem Schulbau korrespondieren, ist allein durch die Praxis des stets zu knappen Budgets erst gar nicht die Rede – auch in anderen Bundesländern nicht. Offen bleibt in den einschlägigen Konzeptpapieren wie die neuen pädagogischen Ansprüche für „die besten Schulen für alle“ aussehen?

Raum ist der 3. Pädagoge
Es ist weitgehend bekannt, welchen neuen pädagogischen Konzepten ein Schulbau entsprechen sollte. Die Entwicklung in Richtung Gesamt- und Ganztagsschulen sind bei ErziehungswissenschafterInnen und PädagogInnen unumstritten. Die Rede ist von offenen, flexibel gestaltbaren Wohn- und Lernlandschaften. Gelernt werden soll nicht mehr nur in Klassenzimmern, sondern projektbezogen in der Gesamtheit des Raumes. Loris Malaguzzi (1920-1994), Begründer der sogenannten Reggio-Pädagogik, sah das Kind als Forscher und nannte den Raum den dritten Pädagogen (der erste der Lehrer, der zweite der Mitschüler), weil er seinen Einfluss auf das Lernen für sehr wichtig hielt.

Mehr als Nachmittagsbetreuung
Das Konzeptpapier für den Schulbau befasst sich mit demografischen Entwicklungen, Schülerströmen und den Auswirkungen des Projektes „Kleinere Klassen“. Geht es nun einfach darum, das Bestehende zu erhalten, die Klassenschülerhöchstzahl auf 25 zu verkleinern und für die Ganztagsbetreuung Küchen und Speisesäle zu integrieren? Werden für den gemeinsamen Unterricht der 6-14jährigen die Volksschulen und Bundesschulen zusammengelegt? Versteht man unter Ganztagsschule eine„ bloße Addition der Nachmittagsbetreuung mit dem traditionellen langen Unterrichtsblock am Vormittag“, fragt Bildungsexperte Helmut Seel in seiner „Reflexion über das Ganze der Schulreform“. Seel fährt in seinen Ausführungen fort: „Eine echte Ganztagsschule hingegen müsste eine leistungspsychiologisch begründbare Verteilung von Unterrichts- und Betreuungseinheiten über den ganzen Schultag vorsehen sowie erzieherisch relevante Gelegenheiten des Zusammenlebens bieten…“ Eine „echte Ganztagsschule“ setzt daher eine andere Raumgestaltung als die bisher übliche voraus.

Baustelle Schule
In Österreich werden kaum neue Schulen gebaut, da der große Bestand der Schulbauten flächenmäßig den zukünftigen Bedarf decken wird. (In der Steiermark zum Beispiel ist übrigens nur ein einziger Neubau geplant: das BG/BORG Kadettengasse). Die „neue Schule“ müsste meist durch Umbau an bestehenden Gebäuden verwirklicht werden. Doch können bestehende Bauten den künftigen, geänderten Unterricht auch funktionell aufnehmen – sind dort neue Lernformen, wie fächerübergreifende Projektarbeit, überhaupt möglich? Wie sehen architektonische Anpassungen aus? Die „Arge Baustelle Schule“ (Edeltraud Haselsteiner, Maja Lorbek, Gerhild Stosch, Robert Temel) hat in dem Forschungsprojekt „Baustelle Schule…“ im Programm „Haus der Zukunft“ die Möglichkeiten der Erneuerung durch Schulsanierungen untersucht. Die Ergebnisse werden in einem Leitfaden, der demnächst erscheinen soll, zusammengefasst. Darin sind modellhafte und abstrahierte Umbaukonzepte dargestellt. Die Umbautypologien enthalten beispielsweise Angaben über die räumlich-funktionelle Reorganisation im Hinblick auf die Nutzung als Gesamtschule und die thermisch-energetische Sanierung. Interessant sind die darin beschriebenen Szenarien, die veranschaulichen, wie das Gesamtschulkonzept im Bestand untergebracht werden kann und wie sich die Schule für Stadtteilzentrum öffnen kann.

Experimentelle Pädagogik und experimenteller Schulbau wurden in Österreich zuletzt während der Bildungsreform in den 70ern praktiziert. Eine Vielzahl innovativer Schulbauten entstanden während dieser Zeit. Aktuell gibt es in Österreich keine öffentlichen Schulen, die neue Formen von Architektur und Pädagogik in der Praxis erproben - wie zum Beispiel in Deutschland (Helene Lange Schule in Wiesbaden, die Laborschule in Bielefeld) oder Schweden (Futurum-Ganztagsschule).

Futurum-Schule
Die Futurum-Schule in der Nähe von Stockholm ist mittlerweile eine Vorzeigeschule von internationaler Bedeutung (GAT berichtete). Das 12.000 m2 große Gebäude stammt aus den 70er Jahren und wurde pädagogisch und räumlich komplett umgestaltet. Die Außenansicht der „Futurum Skola“: ein schmucker Flachbau mit viel Glas und Holz in rot, gelb und taubengrau. Innen bietet die Schule Raum für rund 1.000 SchülerInnen (im Alter von 6 bis 16 Jahren). Sechs „kleine“ mit jeweils rund 160 SchülerInnen in einer „großen Schule“. Die „Futurum Skola“ hat das Konzept Klassenzimmer hinter sich gelassen. Sie ist sozusagen klassenlos, sieht den Raum als dritten Lehrer, hat keine Schulglocke, keine Stundenpläne, keine Noten und bringt Kinder mittels „Logbuch“ zur Matura – all das für Eltern kostenlos. Die Kerngedanken des Zukunftsmodells: Fächerübergreifendes Projektlernen, Wochenpläne, flexibler Schulstart, Team-Kleingruppen-Arbeit und andere experimentelle Arbeitsformen gehören zum neuen Programm. Die neue Schule soll die Möglichkeiten der neuen Technik nutzen und die veränderte Gesellschaft widerspiegeln.

Zauberwort „Flexibilität“
Das Gesamtschulmodell, eine Schule für alle, unabhängig von Leistung und Herkunft ist in Schweden seit Jahrzehnten Normalität. Die „Futurum Skola“ gilt auch im eigenen Land als sehr fortschrittlich. Die Räume sind hell und von freundlicher Farbigkeit. Raumgruppen folgen einem Farbkonzept (gelb, orange, pink, rot, grün, blau). Verschiedene Materialien, wie Holz, Glas, Textilien geben den Räumen mehr sinnliche Qualität. Frontalunterricht gibt es hier so gut wie gar nicht mehr. Jede der sechs „kleinen Schulen" besteht aus ein Ensemble von Räumen, die sich meist um einen etwas größeren, zentralen Raum, gruppieren. Die Zusammenstellung verschieden großer Räume zu einer Gruppe ermöglicht eine große Flexibilität: Bemerkenswert ist, dass die Räume durch die Anordnung der Möbel und durch flexible Raumteiler, jene strenge und starre Ausrichtung verlieren, die uns so typisch für Schulen vorkommen. In jeder kleinen Schule gibt es auch einen großzügig und freundlich gestalteten Arbeits- und Rückzugsraum für LehrerInnen, die an der Schule größte Wertschätzung genießen. Statt feststehender Stundenpläne gibt es Gleitzeiten. Für die SchülerInnen beginnt der Unterricht mit einer einstündigen „Flex-Zeit“. Wer möchte, kann später den Schultag beginnen und dafür am Nachmittag länger bleiben. Freizeitaktivitäten sind Teil des Arbeitsprogrammes.

Die Vision von der Architektur als 3. Pädagoge ist in der Futurum-Schule längst eingelöst worden. Auch viele Beispiele in Deutschland und in anderen Ländern Europas zeigen, dass Schule für Menschen, die dort leben und lernen, schön sein kann. Das Kunsthaus Mürz zeigt derzeit in der Ausstellung „Fliegende Klassenzimmer“ sehr eindrucksvoll, wie der architektonische Raum das Lernen und Lehren beeinflusst. BesucherInnen können sich über die Entwicklung des Schulbaus informieren, den Umgang mit Raum in 1:1-Installationen spielerisch erforschen und eigene Visionen für die „Schule der Zukunft“ zu entwickeln.

„Fliegende Klassenzimmer. Eine interaktive Ausstellung über orte zum Wachsen für alle von 6 bis 99 Jahren“ im Kunsthaus Muerz, Mürzzuschlag. Zu sehen bis 21. Februar 2010.
www.kunsthausmuerz.at

Baustelle SCHULE - Nachhaltige Sanierungsmodelle für Schulen
Im Rahmen des Forschungsprojektes „Baustelle Schule“ vom Innovationsministerium im Rahmen der Programmlinie „Haus der Zukunft“ wurden modellhafte Umstrukturierungs-, Erweiterungs- und Sanierungskonzepte für den aktuellen Schulbestand erarbeitet. Das „Handbuch Schule“ – ein Leitfaden zur innovativen und nachhaltigen Sanierung von Schulen, wird demnächst erscheinen.

Verfasser/in:
Gerlinde Knaus, Bericht
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