07/08/2012

Ausstellung Ed Ruscha im Kunsthaus Bregenz vom 07.07. bis 14.10.2012

07/08/2012

Ausstellungspanorama des ersten Stocks im Kunsthaus mit iPads an den Vitrinen zum virtuellen Blättern in den ausgestellten Büchern

©: Emil Gruber

Old Book Today – Old Book With Wormholes – Old Book Back Then. Acryl auf Leinwand, 2011-2012

©: Emil Gruber

Besucherin vor Gilded, Marbled and Foiled. Acryl auf Leinwand, 2011-2012

©: Emil Gruber

Stock Market Technique, Numbers 1 & 2. Acryl auf ungrundiertem Leinen mit Buch, 2002

©: Emil Gruber

I’m Going To Leave More Notes and I’m Going To Kick More Ass. Bleiche und Acryl auf Viskose auf Karton, 1999

©: Emil Gruber

OH/NO. In Stoff gebundenes Buchobjekt mit silbervergoldetem Ober- und Unterschnitt und Airbrush-Text auf dem Vorderschnitt. Die Worte „OH“ und „NO“ sind diametral zueinander ausgerichtet und nur dann sichtbar, wenn die Buchseiten in entgegengesetzte Richtungen verschoben werden, 2008

©: Emil Gruber

Stains. Buch mit 75 Mixed-Media-Flecken auf Baumwollpapier sowie einem Blutfleck auf aufklappbarer Schachtel, 1969

©: Emil Gruber

Every Building on Sunset Strip. Ein aus einzelnen Segmenten zusammengeklebtes, durchgehendes Blatt, Leporellofaltung 1966

©: Emil Gruber

Various Small Fires. 16 fotografische Abbildungen, 1964. Twentysix Gasoline Stations 26 fotografische Abbildungen, 1962. Some Los Angeles Apartments. 34 fotografische Abbildungen, 1965

©: Emil Gruber

On The Road. 51 gerahmte Seiten aus einem Künstlerbuch des Romans von Jack Kerouac, 2009. Ed Ruscha meinte einmal: „"Sometimes I give myself assignments to go out on the road and explore different ideas. My books are an example of that." Kerouac und Ruscha hätten sich sofort verstanden.

©: Emil Gruber

In Ed Ruschas 1967 entstandenem Buch „Thirtyfour Parking Lots“ sind Luftaufnahmen von gewaltigen Parkplatzanlagen zu sehen. Sie gehören zu Fabriken, Einkaufszentren oder Vergnügungsparks. Allen Fotos ist gemein, dass sich praktisch keine Fahrzeuge finden lassen. Übrig bleiben geometrische Muster, gigantisch und beeindruckend, aber zum Zeitpunkt der Aufnahme funktionsentleert.

In einem noch früheren Werk „Various Small Fires“ von 1964, das erst nach dem Umschlagen des Einbandes, auf dessen Innenseite „and Milk“ zu lesen ist, den ganzen Titel preisgibt, finden sich unter anderem Aufnahmen von einem brennenden Streichholz, einem entzündeten Gasherd oder einer rauchenden Frau. Nach einer Reihe solch feuriger Motive ist auf der letzten Seite ein auf einem Tisch stehendes Glas Milch zu sehen.

In „Twentysix Gasoline Stations“ fotografierte der Künstler Tankstellen auf dem Weg zu seinen Eltern zwischen seinem Wohnort Los Angeles und Oklahoma.

1965 stellte er eine Panoramakamera auf die Ladefläche eines Pickups und fotografierte so Stück um Stück „Every Building on the Sunset Strip“. Das Buch wurde als Leporello gestaltet und hat voll ausgebreitet eine Länge von siebeneinhalb Metern. Die einzelnen Aufnahmen der Gebäude wurden grob ineinander verwoben, die beiden Straßenseiten stehen sich Kopf an Kopf gegenüber.

Abseits der Titel gibt es in allen frühen Büchern Ed Ruschas keine Texte, kein Vorwort, keine Erklärungen.

Nicht verwunderlich taucht in Analysen oder Besprechungen zu Ed Ruschas Werk meistens sehr früh die Standardformulierung des verunsicherten Kritikers auf: „Seine Arbeiten entziehen sich immer wieder gängigen Kategorisierungen.“

Als Zusatzalbtraum aller RezensentInnen scheut der Künstler selbst die Öffentlichkeit, schwänzt auch durchaus gerne eigene Ausstellungen, die seit Jahren an den prominentesten Plätzen weltweit stattfinden.

In den wenigen mit ihm geführten Gesprächen finden sich dann, um endgültig jede Hoffnung, Ed Ruscha näherkommen zu können, fallenlassen zu müssen, selbstbewusste, aber karge Aussagen wie:

„When I am planning a book, I have a blind faith in what I am doing. I am not inferring I don't have doubts, or that I haven't made mistakes. Nor am I really interested in books as such, but I am interested in unusual kinds of publications.“ (Ed Ruscha in einer Diskussion mit John Coplans )

Normalerweise setzt dann hier der Kritiker an, – um zu retten, was nicht zu retten ist – die Kunstgeschichte der Moderne auszupacken. Es eröffnet sich ein Analogie-, Assoziations- und Zitatenreigen von mehr oder weniger bekannten Philosophen, Schriftstellern und anderen Geistesgrößen, um eine Interpretation des Künstlerschaffens wirkungsvoll über die textliche Rampe zu bringen.

Oder aber man ist so erfrischend ehrlich wie Catharina Graf, die ihre Arbeit über Ruschas Fotobücher mit „Und übrig bleibt das Häh?“ betitelte.

Ruscha selbst nennt eher lakonisch den legendären Anarchobandleader Spike Jones, für den er als Zwölfjähriger als Laufbursche arbeitete, neben Walt Disney Cartoons, den Werbematerialien und Rechnungsbelegen in unterschiedlichsten Handschriften auf seines Vaters Schreibtisch als erste Inspirationsquellen. Erst viel später kamen Jasper Johns und Robert Rauschenberg dazu. Deren Arbeiten veranlassten ihn, seine Ursprungsidee, Gebrauchsgrafiker zu werden, aufzugeben.

Ed Ruscha hat also durchaus einen dadaistischen Zugang zur Kunst. Er kombiniert höchstes handwerkliches Können mit überbordender Fantasie und ist in Malerei und Buchgestaltung genauso souverän zuhause wie in Fotografie oder im Filmemachen.

Ob er 1972 für die documenta 5 einen Schriftzug aus Ameisen entwickelte oder später mit der „Boy Scout Utility Modern“ einen – wie er diesen selbst launisch bezeichnete – „Buchstabenstil ohne Stil“ schuf, Ruscha bleibt ein neugieriger Pfadfinder – jedoch ohne Uniform und Regelwerk.

Im ebenfalls im Kunsthaus Bregenz zu sehenden, unter seiner Regie 1975 entstandenen Kurzfilm „Miracle“ bastelt ein verdreckter Mechaniker in einer heruntergekommenen, vor Müll strotzenden Werkstatt an einem desolaten Ford Mustang. Eine attraktive Frau ruft an und will ein Rendezvous mit ihm. Der Mechaniker vereinbart ein Treffen in ein paar Stunden mit ihr. Doch die Begierde, den defekten Vergaser des Autos wieder flott zu bekommen, obsiegt. Mit jedem Arbeitsschritt mehr am Auto, räumt sich ohne dazugehörige Erklärung die Werkstätte selbstständig auf, wird der schmutzige Overall des Mannes sauberer. Das abendliche Tête-à-Tête verliert gegen die Lust, nach dem Umdrehen des Zündschlüssels den wieder anspringenden Motor zu hören.

Doch warum ist ständig eine Stubenfliege groß im Bild zu sehen?

Wir könnten nun Psychoanalyse betreiben oder Metaphern anstrengen. G’scheit reden also. Oder wir halten es mit einer Besucherin, die im letzten Stock des Kunsthauses ganz fasziniert vor den großformatig in Trompe-l’œil-Technik gemalten Büchern stand und zu mir sagte: „Das ist so schön, ich könnte hier stundenlang bleiben.“ So eine Aussage adelt einen Künstler mehr als jede Kritik.

 

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